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Zum journalistischen Leitbild von t-online.War Deutschland zu naiv? "Das sind Leute, die auf unsere Grundwerte spucken"
Bei "Markus Lanz" wurde kontrovers darüber diskutiert, wie man Israel am besten unterstützen kann und warum sich das Land keine Schwäche erlauben darf.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Michael Roth, bekundete bei "Markus Lanz" seine Solidarität mit Israel und mahnte an, es sei jetzt nicht der Zeitpunkt, dem Land kluge Ratschläge zu erteilen.
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Vielmehr solle man die Israelis dabei unterstützen, die palästinensische Terrororganisation Hamas, die Israel vernichten wolle, selbst zu vernichten. "Dass das nicht mit schönen Bildern verbunden ist und dass das auch schrecklich werden wird, muss allen klar sein. Aber jetzt ist die Zeit, um deutlich zu machen: Israel ist das Opfer", sagte der SPD-Politiker am Mittwochabend bei seinem Auftritt in der ZDF-Talkshow.
Die Gäste:
- Michael Roth, SPD-Außenpolitiker
- Florence Gaub, Politologin
- Deborah Feldman, deutsch-amerikanische Bestsellerautorin
- Ahmad Mansour, Extremismusforscher
- Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios in Washington
Der Politologin Florence Gaub ging diese Einschätzung zu weit. "Unsere Rolle ist, Israel dabei zu unterstützen, die richtige Antwort zu finden, anstatt jetzt markig und vielleicht eigentlich noch schlimmer für alle Beteiligten mit starker Gewalt draufzuhauen", befand die Militärexpertin.
Darüber, wie man Israel am besten zur Seite stehen und langfristig zu einer Lösung in der Region beitragen könnte, gab es in der Talkrunde abweichende Ansichten. Der Extremismusforscher Ahmad Mansour machte an Äußerungen wie jener von Gaub fest, dass man in Europa das Wesen des Staates Israel noch immer nicht verstanden habe.
"Der Nahe Osten funktioniert anders, die Mentalität ist anders", schickte der deutsch-israelisch-palästinensische Psychologe seinen Ausführungen voran. Wenn Israel jetzt Schwäche zeige und nicht in der Lage sei, erfolgreich zurückzuschlagen, werde es gefressen. "Es gibt so viele Kräfte im Nahen Osten, die genau diese Schwäche beobachten, abwarten", so Mansour.
Ist Benjamin Netanjahu politisch am Ende?
Der israelische Staat sei gegründet worden, damit Juden sich nicht mehr in Schränken und Kellern vor Leuten verstecken müssten, die sie abschlachten wollten, habe in dieser Hinsicht beim Angriff durch die Hamas aber vollständig versagt. "Dieses Trauma, dieses Erlebnis, das wird den gesamten Nahen Osten und auch Israel komplett verändern", vermutete der Islamexperte. Zudem prognostizierte Mansour, dass der umstrittene israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Konflikt politisch nicht überleben werde.
Eine Überlegung, die von Elmar Theveßen aus US-amerikanischer Sicht bestätigt wurde. "Auch hier ist man fest davon überzeugt, dass Benjamin Netanjahu mit seiner rechten Regierung eigentlich erledigt ist", berichtete der ZDF-Korrespondent aus Washington. Man stärke ihm im Weißen Haus nur deshalb demonstrativ den Rücken, weil es wichtig sei, dass Israel in dieser Situation Stärke beweisen könne, so der Journalist.
Die Hoffnung, dass die gegenwärtige Krise die Chance bieten könnte, die israelische Demokratie wieder zu stabilisieren und eine gemeinsame Vision für die Zukunft des Landes zu entwickeln, äußerte Deborah Feldman. Die deutsch-amerikanische Bestsellerautorin ("Unorthodox") mit Wurzeln im orthodoxen Judentum ließ allerdings keinen Zweifel am traumatischen Charakter der Ereignisse.
"Es ist einfach nicht zu verkraften"
"Es ist eine Zäsur. Es wird unser Gefühl für Sicherheit in der Welt für immer verändern", erklärte die Autorin. Das Sicherheitsversprechen, für das Israel gestanden habe, habe sich in Luft aufgelöst, sagte Feldman und resümierte: "Es ist einfach nicht zu verkraften."
Gaub bestätigte aus militärischer Perspektive, dass die Attacken durch die Hamas auf gewisse Weise unglaublich gewesen seien. Die Terrororganisation habe Israel auf hochintelligente Weise an der Nase herumgeführt und auf der gegnerischen Seite "ein Versagen der Vorstellungskraft" provoziert. Die Politikwissenschaftlerin nannte dies "eine extreme strategische Leistung".
Einig war man sich in der Runde, dass die Auswirkungen des zugespitzten Konflikts auch in Deutschland dauerhaft zu Veränderungen führen müssten. "Wir waren zu naiv", konstatierte etwa Roth mit Blick auf den aus islamischen Kulturkreisen importierten Antisemitismus. "Verschiedenheit braucht Regeln, braucht Gemeinsamkeiten, und da reicht das formaljuristische Bekenntnis zum Grundgesetz in Deutschland nicht aus", sagte der Sozialdemokrat mit Blick auf pro-palästinensische Demonstrationen im Anschluss an den Angriff auf die israelische Zivilgesellschaft. "Ich finde, jetzt ist der Punkt erreicht, wo wir bestimmte Dinge eben nicht mehr aushalten dürfen", meinte der SPD-Politiker.
"Das sind Leute, die auf unsere Grundwerte spucken", bekräftigte Mansour. Man habe in Deutschland unterschätzt, welche Probleme mit einer multireligiösen, multikulturellen Gesellschaft verbunden seien. "Multikulti bedeutet Herausforderung, bedeutet Arbeit, bedeutet klare Regeln", resümierte der Extremismusforscher.
- ZDF: "Sendung 'Markus Lanz' vom 11. Oktober 2023"