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Streit um Böllerverbot: "Eine kleine Änderung und Feuerwerk wäre vom Tisch"


Streit um Böllerverbot
"Dann wäre das Feuerwerk vom Tisch"

MeinungVon t-online, MTh

Aktualisiert am 30.12.2022Lesedauer: 4 Min.
Silvesterknaller in der Hand eines Mannes: Das Böllerverbot wird kontrovers diskutiert.Vergrößern des Bildes
Silvesterknaller in der Hand eines Mannes: Das Böllerverbot wird kontrovers diskutiert. (Quelle: Imago Images / Gottfried Czepluch)
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Die Menschen feiern den Jahreswechsel gern mit Feuerwerk. Zwei Pyrotechniker und zwei Krankenhausmitarbeiter diskutieren die Silvester-Tradition.

Silvester 2020 und 2021 war für die Pyrotechnik-Branche keine leichte. Das Verkaufsverbot für Feuerwerk, das in der allgemeinen Debatte vereinfacht als Böllerverbot bezeichnet wurde, brachte miese Umsätze. Dieses Jahr darf wieder verkauft werden – und der Run auf Pyrotechnik ist groß.

Wie schon vor der Coronapandemie flammte auch in den jüngsten Tagen wieder die Diskussion darüber auf, ob Feuerwerk nicht grundsätzlich verboten werden sollte. Zwei Pyrotechniker und zwei Krankenhausmitarbeiter haben unterschiedliche Meinungen.

"Wer Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren"

Ingo machte seinen Pyrotechniker-Schein vor zehn Jahren und beglückt seitdem hobbymäßig viele Menschen mit seinen aufwendigen Feuerwerken. Er spricht sich klar gegen ein Böllerverbot aus. Zwar bedauere er jede Person, die durch Böller und Ähnliches zu Schaden komme, doch sei beispielsweise der Straßenverkehr ebenfalls gefährlich. "Auch ein Auto kann zur Waffe werden", sagt er. Es komme aber keiner auf die Idee, Fahrzeuge zu verbieten.

"Die Unfälle im Zusammenhang mit pyrotechnischen Gegenständen sind in fast allen Fällen einem unsachgemäßen Umgang und einem übermäßigen Alkoholkonsum geschuldet." Deshalb appelliert er an die Vernunft der Bevölkerung, keine Knallkörper provokativ auf Personen zu richten und mit Alkohol sparsam umzugehen, wenn man Feuerwerk abbrennen will.

Dass die Diskussion über ein Böllerverbot bei Politikern auf offene Ohren stoße beziehungsweise diese ein solches selbst fordern, liege daran, dass die Pyrotechnik – im Gegensatz zu Autos – über eine sehr kleine Lobby verfüge. "Ein Böllerverbot ist schnell ausgesprochen und leicht umzusetzen", beklagt Ingo und unterstellt Deutschland eine grundsätzliche Verbotskultur.

"Die Kundschaft würde ihr Feuerwerk im Ausland kaufen. Die Politik würde nichts erreichen, außer der Wirtschaft zu schaden, Arbeitsplätze zu vernichten und die Sicherheit aufs Spiel zu setzen." Der "Feuerwerkstourismus", wie Ingo ihn nennt, würde massenhaft nicht zugelassene Feuerwerkskörper nach Deutschland bringen, die – in Verbindung mit Alkohol – Leichtsinnigkeit verursachten, provokatives Verhalten schürten und damit das größte Gefahrenpotenzial besäßen. "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren", fasst der Pyrotechniker zusammen.

"Die Bilder der Verletzten haben sich eingefressen"

"Ich kann das Zeug nicht leiden", entgegnet Anke Schulz und begründet ihre Abneigung unter anderem mit ihrer beruflichen Erfahrung: "Ich habe schon einmal auf einer Unfallchirurgie gearbeitet und die Bilder der Verletzten haben sich eingefressen", verrät sie. "Außerdem leiden die Tiere darunter und der Krach ist unerträglich. Ich war schon einmal drei Tage lang taub, weil jemand einen Polenböller in den U-Bahn-Schacht geworfen hatte."

Anke Schulz verweist darauf, dass Böllern in anderen Ländern schon lange verboten ist und Deutschland sich dem anschließen solle. Jedoch spricht sie sich nicht gegen jede Art von Feuerwerk aus: "Raketen reichen und sind schön anzuschauen, aber Knaller braucht keiner."

"Ein Böllerverbot könnte unkontrollierbare Folgen haben"

"Ich bin Arzt und hatte früher an Silvester mehrmals Dienst in der Notaufnahme eines größeren Klinikums im Rheinland", lässt Dr. med. Rainer Korff t-online wissen. Im Gegensatz zu Anke Schulz habe er keine einzige Verletzung durch Böller gesehen. "Probleme hatten wir hingegen mit Alkoholvergiftungen, Schnittwunden nach reichlichem Alkoholkonsum, Stürzen im Rausch und anderen alkoholbedingten Verletzungen", berichtet er.

"Wenn man also wirklich die Notaufnahmen entlasten will, sollte die Politik geeignete Maßnahmen ergreifen, den Alkoholkonsum zu Silvester zumindest etwas einzuschränken. Den Verkauf von Feuerwerk zu verbieten, wird dagegen keine Entlastung bringen", meint der Mediziner und stimmt mit Pyrotechniker Ingo überein: "Diese Aktion könnte auch kontraproduktiv sein: Viele werden sich illegale Böller besorgen oder sogar selbst etwas basteln, mit unkontrollierbaren Folgen."

"Zum Jahreswechsel wird es bald Tote geben"

Helmut arbeitet seit 30 Jahren als Pyrotechniker, "mit entsprechender Ausbildung und sprengstofflicher Erlaubnis", wie er verrät. Er erklärt, dass der Begriff Böllerverbot nicht ganz zutreffend sei. "Beim legalen Silvesterfeuerwerk der Kategorie F2 gibt es keine wirklichen Böller, sondern Kracher, Knaller und Ähnliches. Die dürfen allesamt nur Schwarzpulver enthalten und einen Schalldruck von maximal 120 Dezibel erzeugen."

Anders sehe das bei den in Deutschland illegalen sogenannten Polenböllern aus. "Diese enthalten einen Perchlorat-Aluminiumsatz, einen sogenannten Blitzsatz, und haben eine zigfache Wirkung von Schwarzpulver. Das sind dann tatsächlich Böller!"

Silvesterfeuerwerk bestehe aber nicht nur aus Knallartikeln, sondern zum Großteil aus Raketen, Batterien, Vulkanen und sonstigem Leuchtfeuerwerk. Das alles könne man nicht in der Frage nach einem "Böllerverbot" zusammenfassen.

"Allerdings hat sich Silvesterfeuerwerk im Laufe der Jahre gewaltig gewandelt. Waren es 1993 noch 27 Gramm brennbare Masse, die ein Feuerwerkskörper damals enthalten durfte, sind es heute 500 Gramm Nettoexplosivmasse. Und hier liegt genau das Problem: Immer höher, lauter, teurer!"

Helmut ist mittlerweile gegen den Verkauf und das Abbrennen von Silvesterfeuerwerk. Seiner Aussage nach teile die Mehrzahl seiner Kollegen diese Haltung. "Die Hobbyzündler, wie wir sie nennen, tragen in großem Maße dazu bei, dass die Akzeptanz für Feuerwerk allgemein in der Bevölkerung immer mehr abnimmt."

Feuerwerk werde überwiegend von jungen Leuten gekauft, die seiner Beobachtung zufolge nicht verantwortungsvoll damit umgehen. "Die Zeiten, als Papi mit den lieben Kleinen ein paar Raketen im eigenen Garten gezündet hat, sind Vergangenheit."

Der Pyrotechniker hält die Diskussion für "so aktuell und brisant wie nie zuvor". Bei mittlerweile 350 Tonnen beschlagnahmtem illegalem Feuerwerk werde das Ergebnis sein, "dass es zum Jahreswechsel nicht nur Schwerverletzte, sondern auch bald Tote geben wird", vermutet er und zeigt sich gleichzeitig verwundert, dass die Politik trotz Warnungen vonseiten der Polizei, des Gesundheitswesens, des Ärztepräsidenten Klaus Reinhardt sowie der Umwelt- und Tierschutzorganisationen nichts dagegen unternimmt.

"Eine kleine Änderung in der Sprengstoffverwaltungsvorschrift und das private Silvesterfeuerwerk wäre, zumindest gesetzlich, vom Tisch. Was das illegale Feuerwerk angeht, sind die entsprechenden Gesetze längst vorhanden, sie müssen nur konsequenter umgesetzt werden. Ich hoffe, dass sich Umwelt- und Tierschützer sowie der gesunde Menschenverstand durchsetzen und der Verkauf sowie die Verwendung von Feuerwerk für Privatleute generell verboten wird."

Verwendete Quellen
  • Zuschriften von bzw. Telefonate mit zwei Pyrotechnikern und zwei Krankenhausmitarbeitern. Einzelne Protagonisten möchten anonym bleiben, weshalb wir sie nur beim Vornamen nennen.
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