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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Impfende Mediziner "Wir wollten Ärzte vor Drohungen und Anschlägen schützen"
Sie suchten Ärzte, die ihre Kinder frühzeitig impfen – und erlebten die Angst vor Querdenker-Gewalt: Ein Vater erzählt aus Gesprächen mit Hunderten Ärzten.
In Österreich nimmt sich die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr das Leben nach vielen Drohungen und wenig Hilfe vom Staat und ihrer Standesvertretung. Wie groß das Problem für Ärzte ist, die sich in der Corona-Pandemie zum Impfen bekannt haben, weiß vielleicht die Initiative u12Schutz am besten. Ihr Mitgründer hat Hunderte Mediziner gewinnen wollen, sich für das Anliegen verzweifelter Eltern stärker zu engagieren: Der freiberufliche Software-Entwickler und -Berater wünschte sich Mut und Heldentum von den Ärzten – und musste erleben und einsehen, warum Ärzte das nicht aufbringen wollen. Der Vater eines Risikokindes selbst tritt aus Vorsicht als Sebastian Mathis auf, sein richtiger Nachname ist der Redaktion bekannt. Lars Wienand hat seine Geschichte aufgezeichnet:
Die Nachricht vom Tod von Lisa-Maria Kellermayr hat mich wie ein Faustschlag getroffen. Ich hatte Hunderte Ärzten angesprochen und dafür gewinnen wollen, dass sie öffentlich für den Infektionsschutz und für die Impfung von Kindern eintreten. Im Herbst habe ich in meiner Freizeit fast nichts anderes mehr gemacht, als Ärzte anzuschreiben und mit ihnen zu telefonieren. Wir sehen aber, dass wir die Dimensionen der Bedrohungslage für Ärzte unterschätzt haben – und wir hatten einige Vorkehrungen getroffen.
Über die Impfung kann man unterschiedlicher Meinung sein. Zweifel zu haben, macht noch niemanden zum Querdenker. Ich wollte die Impfung für unser siebenjähriges Kind, das schwerbehindert und besonders gefährdet ist. In der Vergangenheit war ich sehr kritisch gegenüber Off-Label-Use im Kinderbereich, also der Verwendung eines Arzneimittels außerhalb des Gebrauchs, für das es zugelassen ist. Aber mir wurde klar, dass Corona für unser Kind eine große Bedrohung darstellt, und es wurde deutlich, dass es einen effektiven Impfstoff gibt, den wir für unser Kind wollten und den andere Eltern auch wollten.
Mit Eltern im Frühjahr 2021 vernetzt
Doch unser Kind damit impfen zu lassen, stellte sich als sehr schwierig heraus. Zunächst dachte ich, ich könnte bei den Berufsverbänden und Fachgesellschaften etwas erreichen, damit Risikokinder geordnet offlabel geimpft werden können. Ich war naiv. Die Verbände haben die Ärzte insgesamt alleine gelassen.
Ich hatte mich schon im Frühjahr 2021 mit anderen Eltern vernetzt, ich bin auch gut mit pflegenden Angehörigen vernetzt. Der Bedarf war groß. Nachdem ich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein Interview gegeben hatte, leitete die Redaktion mir Hunderte Anfragen von Eltern weiter. Die Schilderungen waren oft ergreifend und es war erschütternd, wie sich manche zum Schutz der Kinder völlig isolierten und wie sehr sie auf den Impfstoff hofften. Doch die Fachverbände und Universitätskliniken beharrten dogmatisch darauf, Kinder unter der jeweiligen Altersgrenze nicht zu impfen.
Wir hatten begonnen, eine geheime Liste von Ärzten zu erstellen, die bereit waren, vorerkrankte Kinder offlabel zu impfen. Die führten wir ausschließlich auf Papier, weil wir so große Angst hatten, sie könnte in falsche Hände gelangen. Doch die Nachfrage von Eltern überstieg das Angebot dieser Ärzte um das teils Hundertfache, die Praxen konnten keine neuen Patienten mehr aufnehmen.
Von fanatischen Impfgegnern gab es da bereits drastische Drohungen. Um sinnvoll weitermachen zu können, wandelten wir die u12schutz in eine neue GmbH um; mithilfe betroffener Eltern, die über entsprechendes Wissen verfügten – unter der Adresse eines Büroservices. Damit waren wir anonymisiert; ich selbst trete auch in sozialen Netzwerken und hier nicht mehr mit meinem vollen Namen auf. Recherchierende Eltern hatten deshalb Zweifel, ob wir seriös sind. Es machte uns aber erst möglich, der enormen Zahl von Anfragen Herr zu werden.
Impfgesuche von 15.000 Familien
Als wir dann im November mit der Initiative "Bildung aber sicher" die Petition "Corona-Schutzimpfung für Kinder unter 12 Jahren jetzt ermöglichen" vorbereiteten, lagen uns Impfgesuche von mehr als 15.000 Familien mit entsprechend noch mehr Kindern vor. Wir hatten die Unterstützung vom Kindernetzwerk. Das ist eine Plattform von Selbsthilfe-Elterninitiativen, Selbsthilfeverbänden und Beratungsstellen mit rund 200.000 angeschlossenen Mitgliedern. Doch öffentlich auftreten wollte das Kindernetzwerk aus Sorge nicht.
Wir haben vor der Petition ein Live-Gespräch organisiert mit zwei Ärzten, die mit Klarnamen erklärten, warum sie Kinder unter 12 impfen. Es gab Sorgen, aber trotz 1.200 Live-Zuhörern drang davon wenig in die Querdenker-Bubble. Doch einer der beiden Ärzte wurde danach so mit Anfragen überflutet, dass er das Impfen zeitweilig einstellte.
Ich hatte versuchte, mehr Ärzte dazu zu bewegen, sich öffentlich für die Impfung U12 auszusprechen. Zum großen Teil hatten sie Verständnis für den Wunsch und hätten uns gerne unterstützt. Manche hatten haftungsrechtliche Bedenken. Oft kam aber schon die Angst vor Querdenkern als Grund hinzu, nicht tätig zu werden.
Schutzmechanismen für Ärzte aufgebaut
Ich habe argumentiert, dass man fanatisierten Impfgegnern und Corona-Verharmlosern keine Macht geben darf, indem man aus Furcht seine Meinung nicht sagt. Wir haben gemeinsam mit einem ehrenamtlich arbeitenden Rechtsanwalt versucht, unsere Ärzte vor Drohungen, Anschlägen und Doxxing zu schützen. Wir haben auch einen einfachen Weg geschaffen, uns online Beleidigungen und Bedrohungen, Aufrufe zu Gewalt gegen Leib und Leben oder Eigentum zu melden. Unser Anwalt sichert Beweise IT-forensisch und bringt jeden Fall in unserem Namen zur Anzeige, wir sind da bei einer knapp dreistelligen Zahl angelangt. Wir haben auch Leute abgestellt, die Telegram-Kanäle gesichtet haben, und wir haben beobachtet, ob impfende Ärzte plötzlich massenhaft negative Google-Bewertungen bekommen. Dann haben wir Patienten gebeten, positive Bewertungen dagegenzusetzen.
Ich habe dennoch oft von niedergelassenen Ärzten zu hören bekommen, dass sie um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten, wenn sie ins Kreuzfeuer der Leute geraten, die ich Terroristen nenne.
Ich bin hartnäckig geblieben und habe Heldentum gefordert.
Es lässt sich aber leicht sagen, dass man dem Terror nicht nachgeben darf. Es sieht anders aus, wenn man dort von Ärzten hört, dass sie tatsächlich angegriffen wurden, dass es Farbbeutel gibt, Drohbriefe, Galgen vor der Tür und Mahnwachen.
Es ist kaum mehr zu übersehen, dass dieser Terror tatsächlich die Kraft entwickelt hat, das Gesundheitswesen in unserem Lande zum Schlechteren zu ändern. Lisa-Maria Kellermayrs Schicksal, die Tragödie, die sie in den letzten Monaten schilderte, droht andere Ärzte und Politiker erst recht zum Schweigen zu bringen.
"Wo waren die Fachgesellschaften?"
Das Hässlichste ist, dass diese Ärzte so alleine dastehen. Wo waren die Fachgesellschaften und Verbände, die sich lautstark hinter ihre Mitglieder stellen? Verbände und Funktionäre haben in dieser Pandemie fast noch unverzeihlicher versagt als die Politik. Bei Lisa-Maria Kellermayr wäre es die Pflicht der Verbände gewesen – auch deutscher –, ihr den Rücken zu stärken und die Behandlungsfreiheit und Freiheit der Wissenschaft zu verteidigen, auch den Wachschutz zu bezahlen.
Ich rede da noch gar nicht von manchen prominenten Professoren und Honorarprofessoren, die klare Abgrenzung vermissen lassen. Stattdessen rechtfertigt man Annäherung an zweifelhafte Gruppierungen mit dem Trump'schen Diktum von den "Fine and evil people on both sides", es gebe ja auf beiden Seiten gute und schlechte Menschen. Sollte ein prominenter Politiker oder Wissenschaftler Ziel eines Anschlages werden, dann sind einige der Twitteraccounts auch in der Verantwortung.
Die Kommentarbereiche unter den Tweets mancher dieser Wissenschaftler sind zu Giftbecken verkommen, und dafür sind sie verantwortlich. Mit ein paar Stichworten pfeift man die Hunde herbei. Es wird dann nicht der Tweet, sondern die Hetze darunter zur eigentlichen Botschaft. So etwas nährt das Klima, in dem Ärzte Angst haben müssen.
- Telefonat mit Sebastian Mathis
- bundesregierung.de: Corona-Impfung für Kinder – die wichtigsten Fragen und Antworten
- Twitter: Account Sebastian Mathis