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Fotografin über Angela Merkel: "So ein Leben ist eine einzige große Anstrengung"


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Abschied von Angela Merkel
"So ein Leben ist eine einzige große Anstrengung"

InterviewVon Gerhard Spörl

08.12.2021Lesedauer: 6 Min.
Angela Merkel bei ihrem Zapfenstreich: Die Fotografin Herlinde Koelbl hat sich mehrere Jahrzehnte lang ein Bild der Politikerin gemacht.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel bei ihrem Zapfenstreich: Die Fotografin Herlinde Koelbl hat sich mehrere Jahrzehnte lang ein Bild der Politikerin gemacht. (Quelle: Odd Andersen/ap)

Herlinde Koelbl ist eine der bekanntesten deutschen Fotografinnen. Sie hat Angela Merkel über Jahrzehnte im Bild festgehalten. Ein Gespräch über Macht – und wie sie Menschen verändert.

t-online: Frau Koelbl, vor 30 Jahren haben Sie erstmals Angela Merkel fotografiert. Wie kam sie Ihnen damals vor und dachten Sie: Hier steht ein großes Talent?

Herlinde Koelbl: Natürlich habe ich nicht die Kanzlerin in ihr gesehen. Was ich aber sehen konnte, war ihre Kraft und ihre Eigenwilligkeit. Und sie wirkte auf mich wie jemand, der sich nicht so leicht entmutigen lässt.

Vor 30 Jahren sahen Sie und ich auch anders aus. Altern Politiker schneller und folgenreicher?

Schneller altern sie auf jeden Fall, weil sie herausgehobene Ämter einnehmen und deshalb andauernd ungemein starkem Druck ausgesetzt sind. Sie leben wie im Schaufenster, werden ständig beurteilt, leben unregelmäßig, müssen ihre Macht absichern. Für Frauen gilt außerdem, dass sie nach ihren Frisuren und Kleidern bewertet werden. So ein Leben ist eine einzige große Anstrengung.

Macht Macht sexy?

Das gilt nur für Männer. Frauen machen Männern eher Angst.

Sie haben ja auch Gerhard Schröder und Joschka Fischer über die Jahre fotografiert. Formt die Macht Männer anders als Frauen?

Die Männerwelt ist noch immer eine eigene Welt, in der Kumpels miteinander konkurrieren, einander unterstützen, zugleich aber auch abschätzig übereinander reden und sich gegenseitig ausstechen. Hingegen müssen Frauen in der Politik noch immer darauf achten, ernst genommen zu werden. Das ist nicht leicht.

Wo im Kanzleramt fanden die Sitzungen statt und wie lange haben sie gedauert?

In einem kleinen Sitzungssaal im Kanzleramt, jeweils für 15 Minuten.

Herlinde Koelbl zählt zu den wenigen deutschen Fotografinnen mit Weltruhm. Berühmt für ihre Langzeitprojekte mit Politikerinnen und Politikern bekam sie Ausstellungen in Seoul und Sydney, New York und Rotterdam. Koelbl fotografierte auch über 30 Jahre hinweg Angela Merkel, daraus entstand das Buch "Angela Merkel. Portraits 1991–2021".

Haben Sie immer dieselbe Kamera benutzt? Durften Sie Möbel schieben, Gardinen zuziehen, für künstliches Licht sorgen?

Ich benutzte immer eine Hasselblad 6xl6 Mittelformatkamera, immer das gleiche Objektiv und die gleiche Blitzlampe mit Schirm. So versuchte ich, größtmögliche Objektivität durch Stil und Technik zu erreichen. Ich gab nie Anweisungen, wie sie zu stehen oder sitzen hatte oder wie sie die Hände halten sollte. Mir ging es um die eigene Körpersprache, damit ich die Veränderungen an und in dem Menschen festhalten konnte.

Wie müssen wir uns das vorstellen: Die Kanzlerin kommt rein, begrüßt Sie und sagt: Dann machen Sie mal?

Ich hatte im Kanzleramt jedes Mal einen Betreuer, das war Herr Brücher. Er begleitete mich in das Zimmer und stand mir auch Lichtmodell. Dann kam die Kanzlerin und wir wechselten ein paar Worte, für Smalltalk haben wir beide keinen Sinn, und dann begannen wir unser Ritual: ein Kopfportrait, sitzend und stehend.

Haben Sie ihr Aufnahmen gezeigt? Wollte Sie die Kontrolle haben?

Wollte sie nicht, sie hat nie gefragt, und ich musste ihr auch nichts vorlegen. Die Aufnahmen sah sie erst im Buch. Das war ungewöhnlich, weil viele Menschen in Machtpositionen auf Imagekontrolle außerordentlich bedacht sind.

Auf welchem Foto sieht Angela Merkel so drein, dass Sie sagen: So ist sie? Und wie ist sie, wenn Sie ganz bei sich ist?

Das Foto von 1991 mag ich besonders gern. Da ist sie noch scheu, ungelenk, dabei aber durchaus selbstsicher und sie schaut wirklich in die Kamera.

Kamen Sie ihr über die Jahre näher?

Na ja, ich will mal so sagen: Sie vertraute mir. Hätte sie mich und meine Arbeit nicht respektiert, wäre es nicht zu den 30 Aufnahmen seit 1991 gekommen. Für die "Spuren der Macht", die im Jahr 1999 erschienen, hatte ich sie auch interviewt und das war wohl für sie die Grundlage für dieses Projekt.

Eigentlich ist der Fotograf ja der natürliche Feind eines Politikers oder einer Politikerin. Fotos können vernichten, siehe Armin Laschet in Erftstadt nach der Flut. Fotos können genauso gut Aura schaffen. Was ziehen Sie vor?

Ich sehe keinen Sinn darin, Politiker oder Politikerinnen zu manipulieren. Ich will ihnen weder schaden noch nutzen, sie weder stabilisieren noch destabilisieren. Ich halte mit der Kamera fest, wie sie sind und wie sie sich verändern. Darum geht es mir.

Im Normalfall sind Politiker Profis, die ihre Masken aufsetzen. Was machen Sie, damit Sie zum Menschen durchdringen?

Vor vielen Jahren schon habe ich mich mit Verhaltensforschung ausgiebig befasst. Elementar ist die Körpersprache. Körper senden Mitteilungen, die ich wahrnehme. Warten ist wichtig und völlige Konzentration, bis ich etwas sehe, was mich weiterleitet. Und dann entsteht, wenn es gut gegangen ist, ein Foto, das ich für mich akzeptieren kann.

Ihre Fotos zeigen, was die Macht mit den Menschen macht. Was haben Sie über Angela Merkel oder Gerhard Schröder gelernt?

Es ist schon so, dass in der Handhabung der Macht der wahre Charakter eines Menschen zutage tritt. Er zeigt sich vor allem im Umgang mit anderen Menschen, die unter ihnen stehen: Gehen sie respektvoll mit ihnen um oder rücksichtslos? Lieben sie das Gepränge, das mit Macht einhergeht, oder bleiben sie eher normal? Stehen sie auf einem Sockel und schauen herab oder nutzen sie ihre Macht nur dann, wenn Wichtiges auf dem Spiel steht?

Sie machen immer Langzeitprojekte – weil es nicht das eine Foto gibt, das die ganze Geschichte über einen Menschen erzählt?

Mir geht es nicht um das eine ultimative Foto, sondern ich will mit meinen Projekten eine Geschichte erzählen. Das ist wie bei einem Musikstück, es gibt einen Auftakt, ein Mittelstück und ein Ende. Und es sind die Gesichter, die uns etwas erzählen.

Als Fotografin haben Sie spät angefangen. Hatten Sie Ihre Begabung übersehen oder waren die Kinder aus dem Gröbsten heraus und Sie konnten durchstarten?

Es begann damit, dass mir vor vielen Jahren ein Freund einen Kodak Tri-X-Film mit hoher Auflösung schenkte, einen seltenen Film, den damals eigentlich nur Journalisten benutzten. Meine Kinder habe ich beim Gummihüpfen fotografiert und dazu habe ich mich mit ihnen ins Gras gesetzt und aus dieser Perspektive ziemlich gute Fotos gemacht.

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Was war Ihr erstes Projekt?

Es hieß "Deutsches Wohnzimmer". Dazu habe ich Menschen aus allen Gesellschaftsschichten in ihren Wohnzimmern fotografiert, schon damals ohne Anweisungen, denn sie sollten sich so geben, wie sie eben waren. Für mich war spannend, ob sie sich berührten oder Abstand wahrten, zu wem sich die Kinder stellten und wie die Eltern sich verhielten.

Wie lange dauerte es, bis Sie bekannt wurden?

Ziemlich lange. Im Jahr 1986 machte ich ein Buch über "Feine Leute". Ich hatte sie bei Opern, bei Festspieleröffnungen und anderen feierlichen bürgerlichen Events über mehrere Jahre hinweg fotografiert.

Die Wirkung eines Fotos liegt in den Augen des Betrachters. Ist das nicht frustrierend für den Fotografen, dass er die Kontrolle aus der Hand geben muss?

Ich weiß es ja schon vorher, dass es so ist. Wenn nach vier oder fünf Jahren ein Buch erscheint, führt es ein eigenes Leben. Ich erinnere mich an ein Projekt, bei dem ich nackte Männer fotografiert hatte. Da waren zwei Männer in inniger Umarmung zu sehen und bei der Ausstellung hörte ich einen Mann sagen: 'Ich verstehe wirklich nicht, was das soll!' Ein anderer Mann hörte das und sagte: 'Für mich ist das der Inbegriff von Liebe.' Ganz offensichtlich sind es die Lebenserfahrungen, die Betrachter zu ihrem Urteil führen. Mit mir hat das dann nichts mehr zu tun.

Hatten Sie Vorbilder, als Sie anfingen? Woran haben Sie sich orientiert?

Als ich anfing, hatte ich schon deshalb keine Vorbilder, weil mir die Szene unbekannt war und die Medienwelt fremd. Ich habe nicht groß überlegt, sondern einfach begonnen und meinen eigenen Weg genommen. Leicht war das nicht.

Ist Fotografieren eigentlich ein einsames Geschäft?

Ja und nein. Nein, weil ich Menschen fotografiere und ihnen begegne. Das bereichert mich ungemein. Ja, weil man früher in der Dunkelkammer und heute beim Sichten und Ordnen des Materials notwendigerweise allein mit sich bleibt.

Angela Merkels Amtszeit ist Geschichte. Haben Sie schon mit Olaf Scholz ein Projekt vereinbart? Mit Robert Habeck? Interessiert Sie Annalena Baerbock mehr?

Mit keinem der dreien habe ich ein Langzeitprojekt vereinbart. Das Privileg, 30 Jahre lang eine Frau zu fotografieren, aus der eine Kanzlerin geworden ist, die uns 16 Jahre regiert hat und nun ihren Abschied nimmt, ist einfach nicht zu toppen.

Und wen haben Sie zu Ihrem Leidwesen noch nicht vor die Kamera bekommen?

Ich hätte zu gerne Fidel Castro fotografiert und interviewt. Der Revolutionär, aus dem ein Diktator geworden ist: sehr facettenreich, dieser Mann. Hat sich nicht ergeben, wie schade.

Frau Koelbl, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Herlinde Koelbl
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