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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Union vor möglichem Laschet-Rücktritt Ach, Armin!
Eine Ampelkoalition ist wahrscheinlicher denn je, die Union wird wohl in der Opposition landen. Weil der Schock in der Partei so groß ist, werden Rufe nach einem radikalen Schnitt immer lauter.
Jana Schimke ist eine kampferprobte CDU-Politikerin. Die 42-Jährige gilt als erzkonservativ, oft wird sie für ihre Standpunkte angegriffen, auch aus der eigenen Partei. Schimke ficht das nicht an. Wer am rechten Rand der Union segle, dürfe sich eben nicht so leicht einschüchtern lassen, findet sie.
Doch an diesem Mittwoch klingt die sonst so forsche Konservative fassungslos, als sie am Telefon sagt: "Es ist bitter. Wir haben 16 Jahre regiert, jetzt bleibt nur die Opposition." Es wird kurz still in der Leitung. Dann fügt Schimke noch hinzu: "Ich hoffe, wir ziehen die richtigen Schlüsse daraus."
Andere Parteifreunde von ihr werden noch deutlicher: "Es ist schlicht ein Desaster, wir verabschieden uns nun aus der Regierung", sagt einer. So klingen viele CDU-Funktionäre an diesem Tag, es ist ein großes Klagelied. Und der Grund dafür ist eine Pressekonferenz vom Vormittag.
Und jetzt?
Um 11 Uhr stellte sich FDP-Chef Christian Lindner vor die Hauptstadtpresse und erklärte, er wolle eine Ampelkoalition mit den Grünen und der SPD sondieren. Dabei werde es "keine Parallelgespräche" mit der Union geben. Zuvor hatten die Grünen bereits ihre Bereitschaft für eine Ampelkoalition signalisiert.
Damit ist klar: Die Konservativen landen nicht auf der Regierungsbank, sondern in der Opposition. Häufig wird der Begriff "Zäsur" im Politikjournalismus inflationär verwendet, doch hier trifft er tatsächlich zu. Denn nach 16 Jahren endet für CDU und CSU aller Voraussicht nach die Zeit der Macht.
Und jetzt? Jetzt brechen neue Zeiten an.
Manch ein Christdemokrat scheint das noch nicht recht glauben zu können. Die Partei wirkt wie ein schwankendes Schiff: Teile der CDU sind nur resigniert, andere klammern sich noch immer an die Hoffnung, doch irgendwie mitregieren zu können – wie auch immer das dann gehen soll. Und an der Basis kommt bereits die Forderung nach einem Umbau der Parteistrukturen auf.
Einige ranghohe Christdemokraten signalisierten am Mittwoch schnell: Das war's. Wirtschaftsminister Peter Altmaier twitterte: "Soeben hat der Ampel-Zug den Bahnhof verlassen", als stünde die Union am Gleis und könnte nur noch hinterherschauen. Die Vize-Parteivorsitzende Julia Klöckner sprach davon, sich "inhaltlich und personell zu überprüfen". Und Markus Söder, der CSU-Chef, erklärte: "FDP und Grüne haben sich entschieden für diesen Weg der Ampel. Den müssen sie jetzt auch konsequent gehen."
Genial? Oder Realitätsverweigerung?
Doch der CDU-Chef wollte auf diesen Akzeptanz-Kurs nicht so recht einschwenken. Noch immer nicht. Armin Laschet war an diesem Mittwoch gerade in Düsseldorf, er regelte dort seine Nachfolge als NRW-Ministerpräsident. Und als Markus Söder eine Mitteilung an Journalisten verschicken ließ, dass er um 13 Uhr eine Pressekonferenz plane, stellte sich Laschet blitzschnell vor die Kameras. Wenigstens dieses Mal wollte er früher dran sein als sein ewiger Widersacher.
Es war 12.45 Uhr, als Laschet erklärte: Die Ampel-Sondierungsgespräche müsse man "respektieren", aber: "Wir stehen bereit als Gesprächspartner CDU und CSU." Er hörte sich so an, als wäre Jamaika weiterhin eine völlig realistische Machtoption.
Während seine Parteifreunde in Berlin bereits den Gang in die Opposition erklären, glaubt Laschet offenbar weiterhin daran, dass er Kanzler werden könnte. Ist das nun besonders klug? Ein genialer Schachzug des ewigen Aussitzers, der es am Ende mal wieder allen zeigt und doch noch Kanzler wird?
Oder ist es pure Realitätsverweigerung?
Es ist zumindest ein Zeichen dafür, wie schwer sich die CDU mit dem Abschied von der Macht tut. Selbst enge Vertraute von Laschet rechnen damit, dass sein Rücktritt eher eine Sache von "Tagen als von Wochen" sei. Ach Armin, heißt es mitleidig.
"Allein an Laschet hat es nicht gelegen", heißt es
Doch die Partei steht vor einem noch größeren Problem: Mit dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen ist nicht nur Armin Laschet vorerst am Ende seiner politischen Möglichkeiten. Mit ihm ist auch der Mechanismus gescheitert, der ihn nach oben getragen hat: ein enges Geflecht von Versprechungen und Abhängigkeiten, von Seilschaften und Ritualen. Die Parteigranden Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier haben Laschet mit dem CDU-Präsidium erst zum Kanzlerkandidaten gemacht. Sie haben ihn durchgesetzt gegen den erklärten Willen der Basis. Und dann ist er gescheitert. Und sie eben auch.
Eigentlich müsste deshalb das gesamte Präsidium zurücktreten, fordern bereits einige in der Partei. Fritz Güntzler, CDU-Vizechef in Niedersachsen sagt: "Die Mitglieder bei uns erwarten, dass sich der gesamte Bundesvorstand auf einem Parteitag Anfang des nächsten Jahres neu zur Wahl stellt." Ähnlich klingt Elisabeth Motschmann, eine der erfahrensten Parlamentarierinnen der CDU. Sie meint am Mittwochmittag: "Ich war gerade auf einer Veranstaltung an der Basis, dort gibt es die einhellige Meinung: Im jetzigen Zustand sollte sich die CDU grundsätzlich erneuern: Sowohl inhaltlich als auch personell. Und allein an Armin Laschet hat es nicht gelegen!"
Kanzler Markus Söder?
Nun fordern viele mehr Beteiligung der Mitglieder, ein nochmaliges Schäuble/Bouffier-Szenario dürfe sich auf keinen Fall wiederholen. Die CDU müsse sich wandeln, die Macht der Funktionäre gebrochen und stärker an die Mitglieder übergeben werden. Es wäre, wenn man so will, die Sozialdemokratisierung der Union.
Es könnte jetzt also das große Aufräumen beginnen. Und der Triumphator könnte ausgerechnet Markus Söder sein. Bei seiner Pressekonferenz am Mittwoch sagte er: "Es wird eine Ampel kommen. Sollte die fundamental scheitern, dann kann man sehen, wie die Lage wieder ist."
Die Lage wird in ein paar Wochen mit einer bestimmten Gewissheit so sein, dass Armin Laschet womöglich nicht mehr CDU-Chef ist, aber Söder sich noch im Amt befindet. Bis die CDU sich neu sortiert hat, dauert es ohnehin. Es gibt mehrere Interessenten für die Laschet-Nachfolge, es bräuchte einen Parteitag. Zeit, die man bei den Christdemokraten nicht hat, falls doch noch schnell eine Jamaika-Regierung gebildet werden soll – und dann könnte eben der große Auftritt des Christsozialen Markus Söder folgen.
Auch wenn gegenwärtig eine Ampel-Regierung das wahrscheinlichste Szenario ist: Die Chancen von Markus Söder, Kanzler zu werden, sind derzeit so gut wie zuletzt im Frühjahr.
- Eigene Recherche