Auch über Minister Grünen-Basis soll erstmals über Koalitionsvertrag abstimmen
Früher legten die Grünen auf Parteitagen fest, ob und mit welchem Personal sie regieren wollen. Das soll sich nun ändern. Rund 120.000 Grünen-Mitglieder sollen entscheiden.
Die Grünen wollen ihre rund 120.000 Mitglieder über einen möglichen Koalitionsvertrag und ihre personelle Aufstellung in einer neuen Bundesregierung abstimmen lassen. Einen entsprechenden Antrag des Parteivorstands beschlossen die etwa 100 Delegierten eines kleinen Parteitags in Berlin bei nur einer Enthaltung.
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Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Grünen, dass es eine Urabstimmung über einen Koalitionsvertrag auf Bundesebene gibt. Bei ihren ersten beiden Regierungsbündnissen mit der SPD 1998 und 2002 stimmten noch Parteitage über die Koalitionsverträge ab. Auf Länderebene hat es solche Mitgliederentscheide aber schon gegeben.
Nach Angaben von Bundesgeschäftsführer Michael Kellner soll die Abstimmung weniger als zwei Wochen beanspruchen. Das bedeutet, dass Koalitionsverhandlungen bis Anfang Dezember abgeschlossen werden müssten, um die neue Regierung noch vor Weihnachten vereidigen zu können.
Roth, Hofreiter und Kretschmann sollen sondieren
Der beschlossene Leitantrag beinhaltet auch die personelle Aufstellung der Grünen für die anstehenden Sondierungsgespräche. Ein zehnköpfiges Team soll mit SPD, Union und FDP die beiden Koalitionsoptionen ausloten. Es kommt eine sogenannte Ampel-Koalition mit SPD und FDP und ein sogenanntes Jamaika-Bündnis (benannt nach den Landesfarben) mit Union und FDP in Frage.
Dem Sondierungsteam gehören an: die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck, die Bundestagsfraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, die Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann, Parteigeschäftsführer Michael Kellner, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die bisherige Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, der Europaparlamentarier Sven Giegold und die stellvertretende Parteivorsitzende Ricarda Lang. Zur Vor- und Nachbereitung der Gespräche wird ein weiteres 14-köpfiges Team gebildet, dem unter anderen der frühere Parteichef Cem Özdemir und der ehemalige Umweltminister und Fraktionschef Jürgen Trittin angehören.
Sollten die Sondierungsgespräche mit einer Empfehlung für Koalitionsverhandlungen abgeschlossen werden, wird bei den Grünen ein kleiner oder großer Parteitag darüber entscheiden. Kellner empfahl, bei einer Ampel-Koalition einen kleinen Parteitag entscheiden zu lassen.
"Man spürt eine Lust, vielleicht Wagemut im Land"
Die Grünen-Spitze erhielt von dem kleinen Parteitag außerdem das Mandat für Sondierungen zur Bildung einer Bundesregierung. Parteichefin Baerbock unterstrich, dass ihre Partei nicht auf eine Koalition unter Führung der SPD oder der Union festgelegt sei. Klarer Maßstab sei die Erneuerung – für Klimaschutz, für eine liberale Gesellschaft, für echten gesellschaftlichen Zusammenhalt, so Baerbock. "Das heißt, in Gespräche offen zu gehen." Nach ersten Gesprächen mit der FDP kommen die Grünen am Sonntagabend mit der SPD unter Kanzlerkandidat Olaf Scholz zusammen. Am Dienstag ist ein Treffen mit der Union geplant.
"Wenn wir uns nicht komplett dämlich anstellen, werden wir in den nächsten vier Jahren diese Regierung nicht nur mittragen, sondern maßgeblich mitbestimmen", sagte Habeck. Die Grünen wollten helfen, aus der Bundestagswahl etwas Gutes zu machen: "Man spürt eine Lust, vielleicht einen Wagemut im Land, dass aus diesem Wahlergebnis auch etwas Gutes werden kann."
Als kleiner Parteitag wird der Länderrat bezeichnet, der das oberste Beschlussgremium der Grünen zwischen den Parteitagen ist. Ihm gehören die 16 Mitglieder des Parteirates, Delegierte aus den Landesverbänden, die Spitze der Bundestagsfraktion, Europaparlamentarier sowie Vertreter der Grünen Jugend an.
- Nachrichtenagentur dpa