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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der einsame Kampf des Armin Laschet Rettet er sich jetzt selbst?
Armin Laschet hat es sehr weit gebracht – dank mächtiger Verbündeter und Durchhaltewillen. Doch plötzlich funktioniert sein System des Aufstiegs nicht mehr. Und es stellt sich eine Grundsatzfrage: Warum will er eigentlich Kanzler werden?
Am Ende dieses Sommers sieht es kurz so aus, als würde alles gut gehen, als wäre die Methode Laschet ein letztes Mal erfolgreich. Es ist der 23. August, Nordrhein-Westfalen feiert seinen 75. Landesgeburtstag. Armin Laschet, der Ministerpräsident, ist auf die Düsseldorfer Galopprennbahn gekommen, wo die Feier stattfindet. Und er hat prominente Unterstützung dabei: Angela Merkel. Die Frau, deren Nachfolger er werden will.
Der Festakt beginnt, das WDR-Sinfonieorchester spielt, über die Tribüne zieht ein leichter Sommerwind. Es würde passen, wenn nun Kellner Weißwein servierten, aber es erscheint dann nur Veronica Ferres auf der Leinwand. Die Schauspielerin lebt zwar längst in München und singt etwas schief "Happy Birthday". Aber immerhin, sie ist ein Landeskind, geboren in Solingen. Passt dann doch irgendwie.
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Armin Laschet stört das alles ohnehin nicht. Er lächelt fast den ganzen Abend über. Denn er darf neben der Kanzlerin sitzen, das wertet auch ihn auf. Um seine Nähe zu ihr zu zeigen, nennt er sie in seiner Rede "liebe Angela". Die Bilder mit der Weltstaatsfrau sollen ihn ins Kanzleramt tragen, er wähnt sich bereits auf der Zielgeraden.
Klar, die vergangenen Wochen waren für ihn nicht die besten in seiner Karriere. Die Union liegt zu diesem Zeitpunkt nur noch knapp vor der SPD. Aber es gibt ja noch so viele Möglichkeiten, im Wahlkampf zu punkten. Fast fünf Wochen sind es noch bis zum 26. September. Es gibt noch zahlreiche Wahlkampfveranstaltungen, drei TV-Trielle, sehr viel Zeit.
Armin Laschet ahnt an diesem schönen Düsseldorfer Sommertag noch nicht, dass er das schlechteste Ergebnis für die Union bei einer Bundestagswahl holen könnte.
Wächst er in die Rolle des Kämpfers nicht hinein?
Laschet hat es in seinem politischen Leben weit gebracht. Er ist Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Er ist CDU-Chef. Er könnte noch immer Kanzler werden. Um nach oben zu kommen, verfolgte er dabei meistens eine zweifache Strategie: Immer durchhalten und auf Unterstützer setzen. Manchmal halfen ihm mächtige Vertraute beim nächsten Karriereschritt. Und manchmal wartete er einfach ab, bis er allein als Kandidat für einen Posten übrig war.
Doch in diesem Wahlkampf haben beide Methoden nicht funktioniert: Selbst die Kanzlerin hilft ihm kaum, das zeigen seine bescheidenen Beliebtheitswerte. Und der Letzte, der den Kanzler machen kann, ist er eben auch nicht. Denn da ist ja noch Olaf Scholz. Und den hält zumindest eine relative Mehrheit der Bürger für geeigneter.
Weil in diesem Wahlkampf so vieles schieflief, wagt Laschet in der Schlussphase etwas richtig Neues. Es klingt simpel, doch für ihn ist es eine Revolution: Er kämpft. Er will, vielleicht zum ersten Mal in seiner Karriere, ein Amt selbst erringen. Nur: Kann das gelingen? Kann ein Politiker seine Strategie des Aufstiegs radikal ändern und trotzdem erfolgreich sein? Oder verliert Armin Laschet die Wahl, weil die Rolle des Kämpfers nicht zu ihm passt?
Wer verstehen will, warum Laschet in diesem Wahlkampfsommer erst so spät in die Offensive gekommen ist und mit der Rolle auch erkennbar fremdelt, muss seinen Aufstieg näher betrachten. Zu Beginn seiner Karriere läuft vieles reibungslos, er studiert Jura in München, 1987 beschließt er, Journalist zu werden und arbeitet unter anderem bei einem Radiosender als Korrespondent in der damaligen Hauptstadt Bonn. Nebenher schreibt er Reden für die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth. Und zieht 1994 selbst in den Bundestag ein.
Zwei Mal hätte die Karriere vorbei sein können, zwei Mal wird er gerettet
Für Laschet geht es zwar schnell nach oben, doch schon bald muss er gerettet werden. Die Wiederwahl 1998 schafft er nicht. Damals erlebt die Union, was ihr auch dieses Jahr bevorstehen könnte: Die SPD siegt klar, ihr bleibt nur die Opposition.
Laschets junge Karriere hätte vorbei sein können, bevor sie richtig angefangen hat. Doch er hat einen Verbündeten in der Familie, seinen Schwiegervater. Der ist geschäftsführender Gesellschafter des Verlags, der die Kirchenzeitung des Bistums Aachen herausgibt – und macht Laschet zum Leiter des Verlags. Er darf im Dunstkreis von Politik und Medien bleiben.
Der Politik bleibt er aber treu und wird 1999 ins Europaparlament gewählt. Er mag den Job als EU-Abgeordneter, die Idee des vereinten Kontinents liegt ihm wirklich am Herzen. Doch er kennt natürlich auch die Sprüche wie "Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa". Die meisten Karrieren enden in Brüssel, nur wenige fangen dort an. Doch es gibt wieder einen Retter: Dieses Mal ist es Jürgen Rüttgers, der 2005 Ministerpräsident in Düsseldorf wird. Er holt Laschet in sein Kabinett – und schafft dafür sogar ein neues Ministerium: Der erste Landesminister für Integration in Deutschland heißt Armin Laschet. Dass ihn vor allem innerparteiliche Gegner als "Türken-Armin" verspotten, nimmt er hin. Denn das Thema Integration ist ihm wichtig. Er ist nicht nur seiner Partei weit voraus. Und auch das stimmt: Er ist zurück auf der politischen Bühne.
Wie so oft, ist auch Glück dabei. Aber Laschet hat eben auch ein Netz gespannt, das ihn zur Not auffängt, wenn er beim politischen Drahtseilakt mal herunterfällt. Und er macht auch einfach weiter, er hat eine bemerkenswerte Ausdauer. Um im Bild zu bleiben: Er geht immer wieder zurück aufs Drahtseil.
Als die Regierung Rüttgers die Wahl 2010 verliert und die CDU daniederliegt, kandidiert der ehrgeizige Bundesumweltminister Norbert Röttgen für den Job als Trümmermann. Laschet will auch Landeschef werden, unterliegt zwar gegen Röttgen, schmeißt aber nicht hin. Als Röttgen dann die Landtagswahl 2012 krachend verliert und von der Kanzlerin gefeuert wird, übernimmt Laschet.
"Man muss einfach dranbleiben", sagt ein Ex-Minister
Der ehemalige Finanzminister von NRW, Helmut Linssen, der gemeinsam mit ihm im Landeskabinett saß, sagt: "Bei der Niederlage gegen Röttgen hat Laschet glaube ich gelernt: Man muss dranbleiben. Man muss einfach dranbleiben – und man muss sich Verbündete suchen. Dann klappt es auch mal im zweiten oder dritten Anlauf." 2017 wird Laschet, vielleicht auch ein bisschen zu seiner eigenen Überraschung, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.
Im Frühling 2021 kommt sein System des lautlosen Aufstiegs allerdings ins Wanken: Schon der parteiinterne Kampf gegen Friedrich Merz war hart, aber was den CDU-Chef beim Duell um die Kanzlerkandidatur erwartet, ist beinhart. Er setzt sich nach qualvollen Wochen schließlich gegen Markus Söder durch, weil er ein letztes Mal gerettet wird: Die CDU-Urgesteine Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier machen Söder klar, dass er nicht Kanzlerkandidat wird, er gibt schließlich auf.
Spätestens jetzt muss Laschet klar sein: Nur noch abzuwarten, bis andere aufgegeben haben, reicht nicht. Und jetzt steht er wirklich an der Spitze der CDU und der Union. Wer soll ihn da noch retten? Der Kampf ist eröffnet. Und er muss ihn allein führen. Nein: allein, allein.
Deutlich wird das Mitte Juli, als das Hochwasser Teile Nordrhein-Westfalens verwüstet. Als Ministerpräsident eilt Laschet ins Flutgebiet. Natürlich will er helfen, er gehört ja zu den empathischen Politikern. Aber er will eben auch zeigen, dass er Krise kann. Wer das in NRW schafft, kann es auch im Bund. Das soll die Botschaft sein.
"Ich bin vielleicht nicht der Mann der perfekten Inszenierung, aber ich bin Armin Laschet, darauf können Sie sich verlassen." Das hatte er auf dem CDU-Parteitag im Januar erklärt. Und dass er kein Mann der perfekten Inszenierung ist, wird im Juli schmerzhaft deutlich. Sein Engagement im Flutgebiet schnurrt auf ein einziges Foto zusammen: Laschet, herzhaft kichernd, hinter dem Bundespräsidenten, als dieser über die Opfer spricht.
Im Zweifel berichten Medien, dass er trotz allem ein Eis isst
Das Bild ist kommunikativ ein Desaster, die Häme ist gigantisch. Laschet versucht es ein paar Stunden später mit einer Entschuldigung, die allerdings untergeht. Doch sein Kampf ist ab diesem Zeitpunkt auch der Kampf gegen das Image eines Mannes, der nicht kanzleresk ist. Laschet ahnt, dass er sich bald in einer Abwärtsspirale befindet. Deshalb beginnt er umso vehementer für sich selbst zu trommeln.
In den Tagen danach reist er durchs Land, zwischendurch begleitet ihn auch die Kanzlerin. Laschet versucht jetzt, als Kümmerer zu punkten. Er hört sich die Sorgen der Bürger an, zudem organisiert er Finanzhilfen in Höhe von 30 Milliarden Euro. Politik ist erfolgreich, wenn am Ende ein positives Ergebnis steht. Doch Laschet dringt damit kaum durch. Im Zweifel berichten Medien eher, wie er trotz schlechter Umfragewerte scheinbar sorglos ein Eis isst.
Er will zeigen: Ich tue was!
Laschet versucht einen Spagat: Einerseits will er nicht als Getriebener gelten in diesem Wahlkampf. Gleichzeitig wächst der Druck in seiner Partei im Laufe des Augusts ins Unermessliche, allein schon, weil viele CDU-Abgeordnete um ihren Job fürchten. Laschet zündet also in seinem Kampf die nächste Stufe.
Weil die Umfragewerte nicht besser werden, entschließt er sich auf den letzten Metern des Wahlkampfes doch noch dazu, ein Team vorzustellen. Lange wollte er das eigentlich vermeiden. Die Präsentation gerät etwas chaotisch, weil er erst ein "Klimateam" und eine Woche später ein "Zukunftsteam" präsentiert, doch vor allem ist es Laschets Art zu zeigen: Ich tue was, und sei es nur, meine Mitstreiter vorzustellen.
Es dreht sein eigenes System um: Dieses Mal will er andere nach oben ziehen – obwohl er selbst noch gar nicht oben, im Kanzleramt, angekommen ist.
In Laschets "Zukunftsteam" findet sich jedoch, abgesehen von Friedrich Merz und Dorothee Bär, kein einziger prominenter Politiker aus den eigenen Reihen. Mancher in der Partei vermutet, dass so die aktuellen Unions-Minister im Kabinett nicht beschädigt werden sollen. Diese wären ja sonst Minister auf Abruf. Er will endlich in die Offensive, man merkt es Laschet an. Doch weil er sich weder klar zur aktuellen Regierungsmannschaft bekennt noch sich deutlich von ihr abgrenzt, verpufft die Wirkung des "Zukunftsteams" zum großen Teil. Es bleibt eine kleine Attacke.
Anfang September erweitert Laschet seine Strategie um einen weiteren Punkt: den Angriff durch Präsenz.
Der letzte Angriff folgt im zweiten Triell, er wirkt fast bissig
Laschet beginnt nun, ganz Deutschland abzuklappern. Einen Marktplatz nach dem anderen beackert er, mal kommen etwa 100 Zuhörer, mal sind es nahezu 1.000. Vom "Schlafwagen-Wahlkampf", der ihm zu Beginn dieses Sommers vorgeworfen wurde, ist selbst bei seinen Gegnern keine Rede mehr. Kein Fest ist Laschet zu klein, kein Anliegen von Bürgern zu unwichtig. Er hört zu, muntert auf, macht Selfies mit den Zuhörern, die welche haben wollen.
Im persönlichen Kontakt will er jetzt überzeugen. Und oft trifft er dabei auf neugierige Menschen. Ein Rentner im thüringischen Apolda erklärt: "Ich finde es gut, dass er immerhin mal selbst gekommen ist."
Seine letzte große Attacke in diesem Wahlkampf lässt Laschet dann beim zweiten TV-Triell los. Er greift Olaf Scholz an, der ihm in den Umfragen mittlerweile enteilt ist. Er verurteilt etwa, wie sich der SPD-Kanzlerkandidat nach der Durchsuchung in seinem Ministerium über die Justiz geäußert hat: "Wenn die kommen, müssen Sie sagen, hier, ich lege alles offen, und denen nicht vorschreiben, wie sie zu arbeiten haben."
Laschet wirkt jetzt fast bissig, er schießt scharf gegen eine mögliche rot-rot-grüne Bundesregierung. Solche Sätze hätte man ihm vor sechs Monaten nicht im Ansatz zugetraut. Aber beim letzten TV-Triell am vergangenen Sonntag stellt er diese Art von Angriffen wieder ein.
Es ist wie so oft in diesem Wahlkampf: Er wagt sich vor, aber nur ein bisschen. Und er will es bloß nicht übertreiben. Man weiß nicht so recht, was eigentlich seine Linie ist.
Warum will er eigentlich Kanzler werden?
Und es ist auch nicht ganz einfach herauszufinden, warum Laschet überhaupt Kanzler werden will. Er selbst sagt gern, dass es ihm um das Land gehe. Klaus-Peter Grotz, ein ehemaliger CDU-Politiker, der mit Laschet von 1994 bis 1998 im Bundestag saß, sagt: "Wenn man politisch mal aufs Gleis gesetzt ist, dann fährt man weiter. Dann macht man nicht einfach Stopp und begnügt sich mit dem Posten eines Ministerpräsidenten, wenn man die Chance hat, das mächtigste Amt des Landes zu füllen." Die "Süddeutsche Zeitung" mutmaßte, ob Laschet schlicht die "verdammte Pflicht" habe, weiterhin zu kämpfen, weil man sonst als CDU nach 16 Jahren sang- und klanglos das Kanzleramt verlieren könnte.
Doch vielleicht ist eine Mischung aus Pflichtgefühl und der Chance auf ein Amt nicht der beste Treibstoff für den politischen Kampf.
Ein Anruf bei Heribert August in Aachen. Er ist Pfarrer, hat Armin Laschet verheiratet und jedes seiner drei Kinder getauft. Kaum jemand kennt ihn so gut wie er. August ist ein gefragter Mann in diesen Tagen, der "Stern" war da und bald kommt noch das dänische Fernsehen. Als Laschet ihn gefragt hat, ob er Kanzlerkandidat werden solle, da hat August ihm abgeraten. Der katholische Pfarrer sagt: "Manchmal denke ich: Die Menschen verstehen das nicht, dieses Geradlinige vom Armin. Die wollen lieber laute Sprüche." Wenn man so will, hat Laschet es mit den lauten Sprüchen in den letzten Wochen durchaus probiert. Ob die Taktik aufgeht, ist noch völlig offen.
Vielleicht ist Armin Laschet gar kein Mann der Attacke. Und vielleicht merken die Bürger einfach, dass er eine Rolle spielt, die nicht zu ihm passt. Dass er sich verstellt.
Heribert August findet es nur etwas schade, dass Laschet dieses Jahr nicht zu seinem Gartenfest kam – in den letzten Jahren war er immer da, obwohl er schon längst als Ministerpräsident regierte. Laschets Frau habe ihm noch gesagt, dass der Termin im Kalender stehe, am Ende hat es trotzdem nicht geklappt. Der Wahlkampf war dann doch wichtiger.
Man spürt, dass der 74-jährige Pfarrer seinem Vertrauten Laschet den Wahlsieg gönnen würde. Aber er klingt auch nicht ganz traurig, als er sagt: "Ganz ehrlich: Selbst wenn das schiefgehen sollte – daran zerbricht der Armin sicher nicht. Der hat schon so vieles erlebt und nie den Kopf darüber verloren."
- Eigene Recherche
- Persönliche Gespräche mit Heribert August, Klaus-Peter Grotz u.a.