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SPD-Stratege über Schwarz-Rot: "Lage ist für beide Seiten heikel"


Schwarz-rote Koalitionsverhandlungen
"Das schadet allen"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 02.04.2025 - 07:23 UhrLesedauer: 6 Min.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (l.) und SPD-Chef Lars Klingbeil: Die Sondierungsergebnisse stoßen bei Ökonomen auf Kritik.Vergrößern des Bildes
Seit ein paar Tagen per Du: CDU-Chef Friedrich Merz (l.) und SPD-Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)
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Bei den schwarz-roten Koalitionsgesprächen gilt die SPD bisher als die geschicktere Verhandlerin, in der Union wächst die Unruhe. Der frühere SPD-Wahlkampfmanager Matthias Machnig widerspricht – und sieht beide Seiten in einem Dilemma.

Eine halbe Billion Euro Schulden für die Infrastruktur, ein höherer Mindestlohn, dazu eine Reform der Schuldenbremse: In den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen scheint die SPD bisher die Nase vorn zu haben. Die Zugeständnisse der Union erwecken fast den Eindruck, als hätte die SPD die Wahl gewonnen – und nicht etwa ihr schlechtestes Ergebnis seit 140 Jahren eingefahren.

Der Vizepräsident des SPD-Wirtschaftsforums, frühere Staatssekretär und Landesminister Matthias Machnig (SPD) sieht das anders: Das Finanzpaket sei kein Coup der Genossen gewesen, sondern eine Notwendigkeit. In zentralen Fragen wie der Steuer- und Wirtschaftspolitik gebe es keine Einigung, auch beim Migrationsthema sieht er bislang keine Fortschritte. Machnig, selbst ein erfahrener SPD-Verhandler, warnt: Wenn die sich anbahnende schwarz-rote Koalition die Wirtschaftskrise nicht überwinde, werde sie "schneller an Akzeptanz verlieren, als ihr lieb ist".

t-online: Herr Machnig, wie laufen die Koalitionsverhandlungen aus Ihrer Sicht?

Matthias Machnig: Es ist ungewöhnlich, dass die Öffentlichkeit mit Papieren überschwemmt wird. Die Koalitionäre hatten Vertraulichkeit verabredet. Was der taktische Zweck hinter diesen Leaks sein soll, hat sich mir noch nicht erschlossen, weil dadurch erkennbar wird, wer für welche Position steht. Am Ende wird es einen Abzählreim geben, wer in welchem Bereich gewonnen hat. Das schadet allen. Das größere Problem ist aber, dass ich bisher keine klare Linie sehe, weder in der Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik noch in der Priorisierung von notwendigen Reformen.

Aber für die SPD läuft es gar nicht schlecht, oder? 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur, Reform der Schuldenbremse, ein Bekenntnis zu 15 Euro Mindestlohn, die Migrationswende nur in Abstimmung mit den EU-Nachbarn – man könnte fast meinen, die SPD hätte die Wahl gewonnen.

Das Finanzpaket erklärt sich eher durch den Trump-Moment. Nach dem Eklat im Weißen Haus zwischen Trump und Selenskyj mussten Deutschland und Europa eine Antwort finden. Die Befürchtung war, dass Trump sich in seiner State-of-the-Union-Rede noch weiter von der Nato entkoppeln würde. Die Staats- und Regierungschefs der EU reagierten mit einer massiven Erhöhung der Verteidigungsausgaben und wollen dafür die europäischen Schuldenregeln lockern. Der Druck auf Deutschland war entsprechend groß, Union und SPD nutzten ihn, um das Finanzpaket zu schnüren. Für die SPD war das ein akzeptabler Weg, für Friedrich Merz ein bequemer Ausstieg aus dem Kartenhaus namens CDU-Wahlprogramm, das mit der Realität wenig zu tun hatte.

Berichten zufolge treten die Sozialdemokraten professioneller und sortierter auf als die Unionsverhandler. Für aktuelle Zahlen können die Genossen etwa auf Regierungsdokumente aus den SPD-geführten Ministerien zurückgreifen. Sehen Sie kein besonderes Verhandlungsgeschick Ihrer Parteikollegen?

Ich sitze nicht mit am Tisch, daher kann ich die Kolportage in den Medien nicht überprüfen. Ich jedenfalls kann keine klare Linie erkennen, weder bei der Union noch bei der SPD. Eine Lösung für den unterfinanzierten Verteidigungshaushalt zu finden, war eine Notwendigkeit, ebenso für die marode Infrastruktur. Aber in der Migrationsfrage gibt es lediglich semantische Kompromisse, auch beim Mindestlohn gibt es nur eine vage Einigung. Wie die Koalition die milliardenschweren Haushaltslöcher und die Defizite in den Sozialversicherungen beseitigen will, ist ebenfalls unklar. In der Wirtschafts- und Innovationspolitik, also bei der Frage, wie Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum jenseits der Finanzpakete gefördert werden sollen, bleibt nebulös.

Merz soll mit großem Selbstbewusstsein, aber oft schlecht vorbereitet in die Verhandlungen gehen. Auch hätten Unionsleute in den Arbeitsgruppen während der Gespräche Experten um Rat gebeten, weil ihnen eigene Ideen fehlten. Sie waren selbst mehrmals in Koalitionsverhandlungen eingebunden – was schließen Sie daraus?

Einerseits, dass eine gute Vorbereitung entscheidend ist, um die eigene Linie durchzusetzen. Wer die finanzpolitischen Zwänge und rechtlichen Implikationen seiner Vorschläge nicht zu Ende denkt, kann von einem professionell auftretenden Verhandlungsgegner ausgespielt werden.

Und andererseits?

Das Wahlprogramm der Union war kein Regierungsprogramm, sondern das Programm einer Oppositionspartei. Dass ihre Vorschläge nicht gegenfinanziert waren, das wusste jeder kundige Zeitungsleser. Jetzt kommt die Union in der Wirklichkeit an und muss massive Abstriche machen, etwa bei der Aufnahme neuer Milliardenschulden. Das hat zu einem Unbehagen in der Partei geführt, das, wie ich aus CDU-Kreisen höre, in der Breite viel größer ist, als man das in Berlin im Moment wahrhaben will.

Wie groß ist es Ihrer Einschätzung nach?

Wenn einer der Vordenker der CDU, der Herr Professor Rödder, der mal die Grundwertekommission geleitet hat, über den Parteiaustritt nachdenkt, dann ist das ein Alarmzeichen. Der Druck auf Friedrich Merz ist enorm, er muss sich fragen: Was bleibt vom Kartenhaus des CDU-Wahlprogramms am Ende noch übrig? Merz steht vor dem Problem, dass er jetzt liefern muss, für seine Partei und seine konservativen Wähler. 73 Prozent werfen ihm vor, Wahlbetrug begangen zu haben, weil er zum Beispiel vor der Wahl neue Schulden und eine Reform der Schuldenbremse ausgeschlossen hatte. Für Merz geht es jetzt um alles, um seine Glaubwürdigkeit und Legitimität.

Wird die SPD ihm die Hand reichen? Führende Unionsleute warfen den Genossen zuletzt eine Blockadehaltung vor.

Auch die SPD steht unter Druck, in den nächsten Tagen zu liefern. Die bisherigen Vereinbarungen sind vage, auf zentralen Feldern gibt es noch überhaupt keine Einigung. Die SPD wird Zugeständnisse machen müssen, aber auch sie steht vor einem Glaubwürdigkeitsproblem. Sie hat bei der Wahl nur 16 Prozent bekommen, ein historisch schlechtes Ergebnis. Die Lage ist für beide Seiten heikel, die Legitimationsgrundlage dieser Regierung ist schmal. Sie hat zwar eine Mehrheit im Parlament, aber nicht einmal 50 Prozent der Wähler haben sie gewählt. Laut ersten Umfragen haben beide Parteien nach der Wahl sogar noch an Zustimmung verloren.

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Wer hat denn bisher am meisten gepunktet bei den Verhandlungen?

Die Grünen. Sie haben beim Infrastrukturpaket sichergestellt, dass damit zusätzliche Investitionen finanziert und keine Haushaltslöcher gestopft werden. Außerdem haben die Grünen 100 Milliarden mehr für Klimaschutzmaßnahmen durchgesetzt und erreicht, das Ziel der Klimaneutralität 2045 im Grundgesetz zu verankern. Auch die Einberufung einer Kommission zur Reform der Schuldenbremse mit einem klaren Zeitplan geht auf sie zurück. Die Grünen sind bisher die großen Gewinner.

Welches Thema fehlt Ihnen am meisten in der aktuellen Debatte?

Ich vermisse eine ernsthafte Diskussion um die wirtschaftliche Zukunft dieses Landes. Schwarz-Rot muss vor allem ökonomisch liefern. Wenn sie es nicht schaffen, Deutschland aus der rezessiv-stagnativen Phase zu holen, wird die Regierung schneller an Akzeptanz verlieren, als ihr lieb ist.

Mit dem Infrastrukturprogramm haben Union und SPD doch schon mal gute Rahmenbedingungen für eine Wirtschaftswende geschaffen, oder?

Für gewisse konjunkturelle Effekte, ja. Aber das Programm hat nicht zwingend Auswirkung auf das, was notwendig ist, nämlich Potenzialwachstum. Also die Frage, wie wächst die deutsche Wirtschaft in den nächsten Jahren, welche Zukunftsinvestitionen sind notwendig? Sanierte Straßen und Schulen führen nicht notwendigerweise zu Potenzialwachstum. Dazu bräuchte man entweder eine Unternehmenssteuerreform …

... die die SPD lieber später als früher haben will.

Zu Recht, weil eine Unternehmenssteuerreform immer hohe Mitnahmeeffekte erzeugt und nicht automatisch zu mehr Investitionen führt. Die klügere Alternative ist eine Investitionszulage, mit der diejenigen Unternehmen direkt unterstützt werden, die real in den Standort Deutschland investieren.

Also der "Made in Germany"-Bonus, den die SPD im Wahlkampf versprochen hat.

Zum Beispiel. Aber auch das reicht nicht. Die Regierung braucht eine klare Industriepolitik, um den Standort wettbewerbsfähiger und resilienter zu machen. Auch sind die Effizienzpotenziale bei den Kosten der Energiewende noch lange nicht ausgeschöpft.

Das Verhältnis zwischen Merz und Klingbeil galt mal als besonders schwierig, jetzt duzen die beiden sich seit ein paar Tagen. Wie schätzen Sie das ein?

Anstatt über Inhalte zu diskutieren, ist das eine der Top-Meldungen der letzten Tage. Das lässt tief blicken. Kein Problem in Deutschland ist gelöst, wenn Friedrich Merz und Lars Klingbeil sich duzen. Kein einziges.

Man könnte es als Annäherung zweier ehemaliger Gegenspieler deuten, von deren Zusammenarbeit nun viel abhängt. Ist das kein positives Signal?

Es ist bedeutungslos. Du oder Sie sagt nichts über das reale Vertrauensverhältnis. Auch in der Ampel wurde viel geduzt. Es gibt keine Freundschaft in der Politik, weder in einer Partei noch über Parteigrenzen hinweg.

Klingbeil selbst sieht es als ersten Schritt in ein Vertrauensverhältnis mit Merz. Wie wichtig ist Vertrauen bei Koalitionsgesprächen?

Sehr wichtig. Aber die Frage, wie belastbar die Aussagen der Führungsleute sind, ist für beide Parteien noch offen. Jetzt sind Union und SPD noch in den Flitterwochen. Das Vertrauen wird erst dann auf die Probe gestellt, wenn unvorhergesehene Dinge passieren und Konflikte entstehen. Das hat man in der Ampel gesehen: Je schwieriger die Lage wurde, desto stärker misstraute man sich. Es gibt auch keine Ewigkeitsgarantie: Das Vertrauen jetzt in den Koalitionsverhandlungen ist eine Momentaufnahme und sagt nichts aus. Es ist fast wie in der Ehe: "Bis dass der Tod uns scheidet", sagen Eheleute vor dem Traualtar, aber ein paar Jahre später ist das Vertrauen zerbrochen.

Sehen Sie Merz und Klingbeil in einer Art Zwangsehe?

In einer Zwangskoalition. Das Vertrauen muss immer wieder neu erarbeitet werden. Wer wen duzt oder sich angeblich persönlich gut leiden kann, ist vollkommen unerheblich. Es geht um knallharte Interessen und die Frage, welche Mechanismen zu Konfliktlösungen führen.

Herr Machnig, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Matthias Machnig
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