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Carsten Linnemann: Trotz CDU-Wahlsieg vor Schwierigkeiten?


CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann
Mission Kanzleramt


Aktualisiert am 25.02.2025 - 17:06 UhrLesedauer: 8 Min.
Für mehr innere Sicherheit: Versprechen Linnemann und Merz zu viel?Vergrößern des Bildes
Für mehr innere Sicherheit: Versprechen Linnemann und Merz zu viel? (Quelle: Dominik Butzmann)
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Drei Jahre lang hat Carsten Linnemann die CDU unter Friedrich Merz restauriert. Jetzt ist sie kurz davor, zurück in die Regierung zu kommen. Dennoch könnte das Wahlergebnis ihn vor Schwierigkeiten stellen.

Für einen Moment geht der Blick von Carsten Linnemann ins Leere. Sein Kiefer verhärtet sich. Hinter der eckigen Brille sind die Augen leicht glasig. Dann blinzelt er. Einmal, zweimal. Es sind Sekunden, in denen der CDU-Generalsekretär am Sonntagabend erahnen lässt, was da in ihm vorgeht. Sekunden, in denen Linnemann, der sonst immer in Bewegung ist, fast regungslos dasteht.

Dann wandern die Augen. Zu dem Mikrofon vor ihm und dem Moderator, der es in der Hand hält, dahinter die Kamera. Linnemanns Mundwinkel bewegen sich langsam nach oben. Er tritt von einem Fuß auf den anderen. Der Journalist stellt seine Frage. Wie er die Zahlen an diesem Abend bewerte, will der von ihm wissen. Es ist der Abend der Bundestagswahl, gerade kamen die ersten Hochrechnungen. Die Union liegt bei knapp unter 30 Prozent. Zu diesem Zeitpunkt ist nicht klar, für welche Mehrheiten es gerade noch reicht. Ob CDU und CSU womöglich in eine Kenia-Koalition mit Grünen und SPD müssen, weil nichts anderes bleibt. Für Linnemann wäre das die blanke Katastrophe. Aber es hilft nichts. Er muss jetzt funktionieren. Also atmet er einmal tief ein – und fängt an.

Fast am Ziel: Für Linnemann waren es harte Jahre

Über drei Jahre hat Carsten Linnemann die CDU restauriert. Erst als Vorsitzender der Grundsatzprogrammkommission, dann als Generalsekretär. Unzählige Termine hat er gemacht, ist pausenlos quer durch die Republik getourt – immer mit dem Ziel, ausreichend zu mobilisieren und die CDU mit einem starken Ergebnis bei der Wahl zurück in die Regierung zu bringen. In diesen Tagen ist Linnemann kurz vor dem Ziel. Am Sonntag haben CDU und CSU die Bundestagswahl gewonnen. Der Regierungsauftrag liegt jetzt klar bei ihnen. Ein Moment, auf den sowohl er als auch Friedrich Merz lange gewartet haben. Und doch ist der Generalsekretär nicht richtig zufrieden.

Denn eigentlich hat Linnemann sich von der vielen Arbeit und dem Herzblut mehr erhofft. Ein besseres Ergebnis und damit mehr Beinfreiheit für die Zeit nach der Wahl. Im besten Fall hatte man auf Mehrheiten für zwei Optionen gehofft: Schwarz-Rot und Schwarz-Grün. Aber das hat nicht gereicht. Alles, was der CDU bleibt, ist die SPD.

Im Präsidium am Morgen nach der Wahl spricht Linnemann es deshalb ganz offen an. Dass er sich ein Ergebnis über 30 Prozent gewünscht hätte. Dass mehr hätte drin sein müssen. Die Partei versucht ihn zu trösten. Überhäuft ihn mit Anerkennung. Auch, wenn einige das Ergebnis frustriert. Linnemann selbst weiß, dass er den Blick jetzt nach vorn richten muss. Die Sondierungen und Koalitionsverhandlungen dürften schwer genug werden. So ganz lässt es ihn trotzdem nicht los. t-online hat den Generalsekretär auf den letzten Metern vor der Wahl begleitet. 48 Stunden unterwegs mit einem Rastlosen.

Von Bühne zu Bühne: Der Alleinunterhalter

Freitag, kurz vor 6 Uhr abends: Linnemann deutet auf eine schwere Metalltür. "Kann man hier rein? Ich will mal gucken! Sind schon viele da?" Bevor jemand antworten kann, schiebt er sich durch den Eingang zur Halle der Rudolf-Weber-Arena in Oberhausen, mitten hinein in das große Wahlkampffinale der CDU. Als er sieht, was dort auf ihn wartet, weiten sich Linnemanns Augen. "Boah, das ist ja der Wahnsinn", staunt er und schaut durch die Menge von Menschen. Rund 4.000 Gäste sind an diesem Abend gekommen. Riesige Scheinwerfer streifen durch die Halle, auf der Bühne tanzt eine junge Gruppe zu Hip-Hop-Musik. Für einen Moment merkt niemand von ihnen, dass Linnemann mittendrin in einem kleinen Gang zwischen den Sitzen steht. Als gehöre er einfach dazu. In gewisser Weise tut er das auch, denn Linnemann ist heute ebenfalls Gast. Ausrichter ist die CDU Nordrhein-Westfalen.

Wie viele dieser Abende hat er selbst organisiert. Wie oft war er derjenige, der da zur Begrüßung durch die Reihen gesprungen ist, das Publikum animiert hat. Über Jahre hat Linnemann versucht, die Partei wachzurütteln. Unzählige Veranstaltungen zum neuen Grundsatzprogramm, Termine und Telefonate, Laufgruppen – den Mitarbeitern im Konrad-Adenauer-Haus hat der Generalsekretär sogar einen "Merz-Space" bauen lassen, mit Podcast-Studio und einem nachgebauten Berliner Spätkauf. Alles, um zu motivieren, zu mobilisieren.

Als Linnemann am Freitagabend das Finale so sieht, ist er mehr als zufrieden. Es ist ein Riesenspektakel mit CDU-Lasershow und johlendem Publikum. Im Verlauf des Abends wird klar: die Partei ist hellwach und hat Lust, diese Wahl zu gewinnen. Aber reichen die eigenen Leute?

Dauerhaft in Bewegung: Der Läufer

Am nächsten Morgen geht Linnemann, wie eigentlich immer, Laufen. Er ist in der Nacht noch nach Paderborn gefahren. Den letzten Tag vor der Wahl will er im Wahlkreis verbringen. Um kurz nach 6 Uhr ist es in dem Waldstück, das der CDU-Politiker sich mit seiner Gruppe ausgesucht hat, noch stockdunkel. Dafür ist die Sicht klar, das Wetter mild. Ein guter Morgen, um den Kopf frei zu kriegen. Linnemann beschäftigt die Frage: Ist die CDU zu sehr in ihrer eigenen Blase geblieben?

Immerhin war die Stimmung überall dort, wo er war, gut. Viel Zuspruch, unzählige Mails, sogar Parteieintritte habe es gegeben, erzählt er. Dass die Umfragen dennoch stagnieren und die Union teilweise sogar bei unter 30 Prozent steht, wundert den Generalsekretär. Manches Institut kommt zwar kurz vor der Wahl immerhin auf 32 Prozent für CDU und CSU, allerdings wäre selbst das kein bombastischer Sieg. Hat die gute Stimmung bei den eigenen Leuten getäuscht? Und wie hätte man andere überhaupt erreicht?

Beim Frühstück, wenige Stunden später, sitzt Linnemann mit Wahlhelferinnen und Wahlhelfern zusammen. Die meisten davon Mitglieder der Jungen Union, ein paar Senioren sind aber auch dabei. Linnemann nimmt einen großen Schluck Kaffee und fragt in die Runde: "Habt ihr das Video von Stefan Raab gesehen?" Köpfe werden geschüttelt. "Sen-sa-tio-nell", sagt er jetzt einen Ticken energischer. Die Gesichter bleiben aber unbeeindruckt. Also legt Linnemann nach: "Das Ding ist bei TikTok viral gegangen." Einer der Jüngeren am Tisch muss sich jetzt das Grinsen verkneifen. Gemeint ist ein Zusammenschnitt von Merz, der im Konrad-Adenauer-Haus verspricht, bei einem Wahlsieg werde man mal richtig "Rambo Zambo" machen, "aber erst dann".

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Im Team Merz haben sie lange überlegt, wie sie den Kandidaten für eine jüngere Zielgruppe zugänglicher machen können. Dass Verstellen weder im Netz noch mit Merz gut funktioniert, war dabei bald klar. Also wurde der CDU-Chef als "Staatsmann, der Deutschland wieder in Ordnung bringt", inszeniert. Untermalt von kleinen Spaß-Videos, die den Kandidaten sympathisch wirken lassen sollen – etwa mit Sätzen wie "Rambo Zambo".

Das Ergebnis am Sonntag: Bei den Wählerinnen und Wählern zwischen 18 und 24 haben vor allem die Ränder gewonnen, also Linke und AfD. Beide sind in den sozialen Medien extrem stark unterwegs. Es dürfte einer der Gründe für den Wahlerfolg sein. Sieht man sich beispielweise die Videos der 36-jährigen Linken-Politikerin Heidi Reichinnek an, sind es fast ausschließlich Inhalte – Ausschnitte aus Bundestagsreden oder direkte Ansprachen an die User. Es sind fast schon emotionale Plädoyers oder zugespitzte Thesen. In den sozialen Medien zeigt sich: Polarisierung zieht. Und das ist nicht nur im Internet so.

Wahlkampf mit Merz: Der Hardliner

Am Samstagnachmittag tritt Friedrich Merz im Löwenbräukeller in München auf. Hunderte Bänke, Blasmusik, blau-weiße Fähnchen und auf jedem Tisch Krüge voll Bier – so geht Bayerns Beste. Als der Kanzlerkandidat die Bühne betritt, brandet Applaus auf. Auch Linnemann ist ganz vorne dabei. Der Generalsekretär ist nach Laufrunde, Frühstück und Straßenwahlkampf in Paderborn noch weiter nach München geflogen. Zwischen CDU und CSU soll jetzt schließlich die große Geschlossenheit sein.

Merz hat bei den Bayern auch schon staatsmännische Reden gehalten. Ausgerechnet kurz vor der Wahl entscheidet er sich für den Bierzelt-Auftritt. "Links ist vorbei. Es gibt keine linke Mehrheit und keine linke Politik mehr in Deutschland", ruft Merz, und die Menge grölt kräftig. Er werde wieder Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen, die gerade denke und "alle Tassen im Schrank" habe – und nicht "für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt", führte Merz aus. Die Bayern johlen und jubeln.

Bei der CDU blicken sie jedoch mit Bauchschmerzen auf diese Rede. Es sei doch das Ziel gewesen, im Wahlkampf nicht so sehr zu spalten. So kurz vor dem Wahlabend noch einmal so zuzuspitzen, das hätte es nicht gebraucht, so heißt es aus verschiedenen Landesverbänden. Eigentlich hatte Merz sich lange für einen anderen Auftritt entschieden. Hart in der Sache, aber sachlich im Ton, so schien erst noch der Plan zu sein. Auch, weil lange unklar war, ob rechts der Mitte durch eine extreme Zuspitzung mehr zu gewinnen ist, als die CDU auf der anderen Seite zu verlieren droht. Zuletzt ließ der CDU-Vorsitzende sich aber doch noch ein paar Mal hinreißen.

Fragt man Linnemann danach, sagt der: "Es ging Friedrich Merz und uns vor allem um die harte Auseinandersetzung in der Sache. Die Wähler müssen klare Konturen erkennen können, damit sie Entscheidungen treffen können. Gerade in einem Wahlkampf darf man den Kompromiss nicht vorwegnehmen." Der Generalsekretär gehört in der Regel nicht zu denen, die Merz sagen, es sei besser, einen Gang herunterzuschalten. Der CDU-Politiker ist überzeugt, das eigentliche Problem bei der Wahl sei am Ende ein anderes gewesen. Linke und AfD hätten nicht gewonnen, weil von Zuspitzungen im Wahlkampf vor allem die Ränder profitieren – sondern weil die CDU ein Glaubwürdigkeitsproblem habe. "Deshalb ist es jetzt so wichtig, dass wir den Politikwechsel umsetzen", sagt Linnemann.

Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Linnemann dürfte recht haben, dass viele der CDU nach drei Jahren Opposition noch nicht abnehmen, dass unter ihnen jetzt plötzlich alles ganz anders wird. Allerdings ist auch fraglich, ob Merz und er die Menschen mit Zuspitzungen und zu großen Versprechen im Wahlkampf vom Gegenteil überzeugt haben. 20 Prozent haben SPD, Grüne und FDP verloren, davon sind gerade einmal 5 Prozentpunkte bei CDU und CSU gelandet. Und seit dem Ampelbruch hat die Union wenig bis gar nichts gewonnen – auch im Wahlkampf nicht mehr.

Am Ende hat es geklappt, die eigenen Leute zu motivieren und wieder an Bord zu bekommen. Auch das war keine ganz leichte Aufgabe. Allerdings ist es nicht gelungen, darüber hinaus groß Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, Potenziale zu nutzen. Linnemann plant nun nach der Regierungsbildung eine "Wahlanalyse", um zu sehen, "was beim nächsten Mal noch besser laufen kann". Ob und wie intensiv das tatsächlich stattfinden wird, dürfte auch davon abhängen, wie lange die Gespräche mit der SPD jetzt dauern.

Am Sonntagabend steht Linnemann nach einer Reihe erster Einordnungen mit Merz auf der Bühne. Daneben Söder und ein paar Personen aus der CDU-Spitze. Gemeinsam wird applaudiert, die Junge Union ruft "Kanzler, Kanzler". Merz grinst über beide Ohren. Auch Linnemann klatscht und lacht mittlerweile. Nur zwischendurch geht der Blick wieder starr geradeaus. Irgendwas in ihm arbeitet noch. Wohl auch, weil er weiß, dass er die vielen Versprechen, die Merz und er in den vergangenen Jahren gemacht haben, jetzt einlösen muss. Es dürfte mit diesem Ergebnis alles andere als leicht werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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