Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Wahlsieger Friedrich Merz Ein Triumph sieht anders aus
Friedrich Merz wird der zehnte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Für selbsttrunkenen Siegestaumel gibt es weder Grund noch Zeit. Auf ihn wartet die härteste Kanzlerschaft der Nachkriegsgeschichte.
Für Friedrich Merz erfüllt sich an diesem 23. Februar 2025 ein Lebenstraum, an den er zwischenzeitlich für bestimmt ein Jahrzehnt vermutlich selbst nicht mehr geglaubt hat. Er wird der nächste, der zehnte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden. Ein Grund für ihn zu feiern nach diesem Kraftakt. Natürlich. Aber ein Triumph sieht dennoch anders aus.
Keine Koalition war in diesem Land je so heruntergewirtschaftet und bei der Bevölkerung unten durch wie die Ampel, die von Olaf Scholz erfolglos geführt – oder eben gerade nicht geführt wurde. Alle drei Ampelfarben sind daher auch schwerst zerfleddert worden an den Wahlurnen – aber das alles führte nicht zu einem Run auf die CDU/CSU und deren Kanzlerkandidaten.
Es ist mehr ein ins Ziel gehangelter Arbeitssieg, den Merz da errungen hat. Zu lange blieb er seltsam konturlos, ein Frauenproblem schleppt er obendrein mit sich herum. Und die Anmutung eines Mannes wie auf einer Zeitreise aus den frühen Neunzigern.
Mit einem Mal Kante gezeigt
Dann aber zeigte er auf den letzten Metern des ohnehin kurzen Wahlkampfes mit einem Schlag Kante nach dem furchtbaren Attentat von Aschaffenburg und machte bei der Migration Schluss mit dem Laissez-faire seiner innerparteilichen Gegenfigur Angela Merkel auf diesem Politikfeld. Erstaunlicherweise hat aber allein dieser riskante Schritt nicht zu einer großen Bewegung in den bis zur Wahl selbst weitgehend erstarrten Prozentzahlen geführt. Im Saldo der Union scheinen sich Nutzen und Schaden seiner Aktion in etwa die Waage gehalten zu haben.
Vergeblich war es dennoch nicht. Denn erstens hatte Merz den richtigen Instinkt als Wahlkämpfer gezeigt, denn das Thema verstärkte sich mit weiteren furchtbaren Vorfällen bis zum Messerattentat am Holocaust-Mahnmal am Samstag. Zweitens mag er mit den beiden Entschließungsanträgen und einem Gesetzentwurf im Bundestag übers Ziel hinausgeschossen sein. Das richtige Ziel war es gleichwohl. Das Gute an dieser überschießenden Energie ist nun aber, dass sich niemand, auch und gerade kein künftiger Koalitionspartner wundern muss, wenn Merz sich für diesen Punkt – eine harte Migrationspolitik – starkmachen wird. In den Verhandlungen und ebenso hinterher in der Zeit des Regierens. Liefern muss er dann allerdings auch.
Ein bestürzendes Reifezeugnis
Mit wem, werden wir erst morgen früh gesichert wissen. Aber es ist im Kern ganz einfach: Ist die FDP draußen, dann wird es eine Große Koalition. Sind die Liberalen drin, dann gibt es eine Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP. Kommt statt dessen nur das BSW ins Parlament, ginge nur Kenia, also Union, Rot und Grün. Da drohte die Blockade der Ampel in XXL. Es wäre ein Stresstest des Verantwortungsbewusstseins dieser drei Parteien.
Ein Wort zu den Rändern. Die Linke feiert sich dafür, dass sie das Auffangbecken der ungebrochen Willkommenskulturellen bei Grünen und SPD geworden ist. Und sie darf das Gefühl der süßen Genugtuung genießen, dass ihre abtrünnige Ex-Genossin Sahra Wagenknecht mit ihrem rechts und links zusammengeklaubten Populismus vermutlich ins Abseits gelaufen ist. Das ist auch gut so. Eine fürchterlich populistische Partei würde reichen im nächsten Bundestag. Und die AfD ist stark, sehr stark geworden. Sie hat sich beinahe verdoppelt gegenüber der vergangenen Wahl vor drei Jahren. Um die 20 Prozent für die AfD, das stellt dem politischen Verstand dieses Landes ein bestürzendes Reifezeugnis aus. Alice Weidel und die ihren erzählen Dinge, die zwischen hanebüchen, wirr und brandgefährlich oszillieren. Wenn fast ein Viertel der Wählerschaft das nicht sehen will oder kann, dann stimmt etwas fundamental nicht in diesem Land. Keine Wut und keine Frustration können so groß sein, seinen eigenen Niedergang zu wählen.
Das Land auf Härten vorbereiten
Ein Triumph, wie gesagt, sieht anders aus als der relative Sieg des Friedrich Merz. Aber Triumphalismus ist auch nicht der zeitgemäße Gemütszustand für den nächsten Bundeskanzler. Denn auf Merz wartet die härteste Kanzlerschaft der Nachkriegsgeschichte. Er muss das Land kriegstüchtig machen, den Bürgerinnen und Bürgern mehr abverlangen, die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen und als zentrale Figur ein neues, starkes Europa bauen, das auch ohne die USA reüssieren kann auf dieser härter gewordenen Welt.
Er wird dafür ganz schnell beides machen müssen: den Sozialstaat zurückschneiden und die Schuldenbremse ein gutes Stück weit lösen. Er wird sich extremen Widerständen in der Gesellschaft und den Lobbygruppen gegenübersehen bei diesem Generalumbau des Staates und seiner Ressourcen. In selbsttrunkener Euphorie schafft man das nicht. Demut ist dafür der angemessenere Gemütszustand.
Teilen Sie Ihre Meinung mit
Was erwarten Sie von Friedrich Merz' anstehender Kanzlerschaft? Schreiben Sie eine E-Mail an Lesermeinung@stroeer.de. Bitte nutzen Sie den Betreff "Merz" und begründen Sie.
- Eigene Überlegungen