Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vizekanzler Robert Habeck "Das ist bei ihm hasserfüllt"
Was treibt Robert Habeck? Der Grünen-Kanzlerkandidat über eigene Fehler, Mittel gegen Donald Trump und Markus Söders Problem.
Robert Habeck ist gut drauf, als wir ihn Anfang der Woche zum Gespräch in der Grünen-Zentrale in Berlin treffen. Etwas müde vom Wahlkampf, aber zuversichtlich. Immerhin sind seine persönlichen Beliebtheitswerte gerade besser als die seiner Konkurrenten ums Kanzleramt: Friedrich Merz und Olaf Scholz. Und die entscheidenden Werte für seine Grünen bewegten sich zuletzt in die richtige Richtung: nach oben, wenn auch nur leicht.
Dabei steht Habeck im Wahlkampf unter Druck. Der Wirtschaft geht es schlecht, und er ist nun mal: der Wirtschaftsminister. Welche Fehler hat er gemacht – im Kampf gegen die Wirtschaftskrise, beim Heizungsgesetz, generell in seiner Regierungszeit? Warum glaubt er, dass Markus Söder heftige Probleme hat, und was war der Grund, dass er sich nach einer bedrohlichen Konfrontation mit aufgebrachten Protestierern nach einigem Zögern doch dazu entschied, im Amt zu bleiben, statt die Politik an den Nagel zu hängen?
Darüber spricht Habeck freimütig im Podcast-Gespräch mit t-online. Es ist am Dienstag geführt worden und für diese Textfassung zur besseren Lesbarkeit sprachlich geglättet, etwas gekürzt und, wie bei solchen schriftlichen Interviews üblich, von den Grünen abgenommen worden. Die ungekürzte Fassung mit allen Aussagen können Sie hier hören:
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t-online: Herr Habeck, als Donald Trump das erste Mal Präsident wurde, hat sich sein Vorgänger Barack Obama gefragt: "What if we were wrong?" Also: "Was, wenn wir falsch lagen?" Er hat befürchtet, dass er zu weit gegangen sein könnte mit seiner Reformagenda und Trump davon profitiert hat. Haben Sie daran mal denken müssen in den letzten Monaten?
Robert Habeck: In den letzten Monaten nicht. Aber damals hat mich der Satz beeindruckt, in doppelter Hinsicht. Erst einmal, dass ein Weltpolitiker die Kraft zu Selbstzweifeln oder zum Selbsthinterfragen aufbringt. Und dann auch natürlich wegen dem, was er sagt: Kann eine versöhnende Politik zur Spaltung beitragen? Denn dafür stand Obama, er wollte die Lager zusammenbringen. Aber am Ende muss man die Frage verneinen. Denn was soll man sonst tun, wenn man glaubt, dass Demokratie und Einigungsfähigkeit ein Wert sind? Trotzdem erklärt es sehr viel, auch für unsere Gegenwart. Der Populismus hasst nicht den anderen Populismus, also der rechte den linken, die sind zum Teil miteinander kombinierbar. Ich glaube, dass Alice Weidel und Sahra Wagenknecht sich sehr gut verstehen und schnell einigen würden. Der Populismus hasst immer den Ausgleich, die Mitte, das Versöhnende.
Sie haben darüber in Ihrem letzten Buch nachgedacht, das Sie vor der Ampelkoalition geschrieben haben. Haben Sie dazu etwas Neues gelernt in dieser Ampel-Zeit? Denn da haben Sie ja unbestritten auch eine politische Reformagenda durchgesetzt.
Viel. Und ich bin noch nicht fertig damit. Mich interessiert rückblickend an der Ampel-Zeit nicht so sehr, wer wann was gesagt, nicht zurückgerufen oder schlechte Laune verbreitet hat. Sondern: Warum ist ein Bündnis gescheitert, das etwas Neues für das Land hätte bedeuten können und vielleicht auch Hoffnung darauf gemacht hat? Ich habe viel darüber nachgedacht und auch viel gelernt.
Unsere These wäre: Sie selbst haben trotz guter Absichten mit dem Heizungsgesetz und der Art und Weise, wie es lanciert worden ist, die Klimadebatte eher verkompliziert und dazu beigetragen, dass die Debatte polarisierter geworden ist. Gehen Sie da mit?
Die Ampel ist nicht am Heizungsgesetz gescheitert, sondern an widersprüchlichen Vorstellungen zur Finanzpolitik. Und vor allem am mangelnden Willen der FDP, in einer Regierung für eine Regierung zu sein und sie nicht als strategisches Sprungbrett für eine Bundestagswahl zu nehmen. Das Heizungsgesetz nehme ich jetzt im Wahlkampf überhaupt nicht mehr als Thema wahr, nur noch als journalistische Nachfrage. Die Menschen haben eher Sorge, dass die Union die gute und sozialpolitisch ausgewogene Förderung streicht. Das hat sich komplett gedreht. Aber unstrittig hat das Heizungsgesetz damals die Öffentlichkeit erregt. Die Debatte war eine harte und auch eine, die viel gekostet hat. In der Zeit war natürlich das Heizungsgesetz Teil der Polarisierung der Gesellschaft, so wie andere Themen auch. Und eine Demokratie muss ja auch streiten, manchmal auch polarisieren. Dann müssen Gesetze zurückgenommen werden, es werden Mehrheiten gewonnen oder verloren und man kann Dinge korrigieren. Man darf allerdings diesen Streit über einzelne Themen – egal ob sie relevant sind wie Klimaschutz und Migration oder symbolisch überhöht wie Lastenfahrräder – nicht verwechseln mit der Wirkweise des Populismus.
Wie meinen Sie das?
Der Populismus nimmt jeweils ein Thema, das für eine Gesellschaft wichtig ist und lädt es so mit Halbwahrheiten, mit Lügen, mit Verschwörungstheorien, mit Aggressivität, mit Unterstellungen auf, dass am Ende alle verunsichert sind. Die Verunsicherung führt dann zum Rumbrüllen oder zum Rückzug. Und darauf zielt der Populismus: Dass er am Ende die Einigungsfähigkeit einer Demokratie unmöglich macht. Um dann zu sagen: "Guck mal, der Streit der liberalen Demokraten führt ja immer nur zu Uneinigkeit. Jetzt brauchen wir weniger Streit, weniger Vielfalt, weniger Demokratie. Wir brauchen identitäre Gesellschaften, ausgerichtete, homogene Politik und am Ende eine starke Führerperson, die für das Land bestimmt." Und dann enden wir bei völkischen Wahnvorstellungen. Darauf legt es der Populismus an. Die verschiedenen Themen spielen da natürlich mit rein, auch damals das Heizungsgesetz. Aber es wäre ein Irrtum, die Wirkweise des Populismus auf eine politische Frage zurückzuführen. Das würde ihn geradezu verniedlichen.
Über den Populismus wollen wir gleich noch mal reden. Aber noch mal nachgehakt: Sie sagen, Sie hören zum Heizungsgesetz im Wahlkampf nichts …
… doch, von Journalisten. Die journalistische Erinnerung an das Jahr 2023 ist noch wach. Aber die Menschen gucken nach vorn und haben ganz andere Sorgen.
Aber wir sind ja auch unterwegs im Land. Und wir hören relativ viele Stimmen von Menschen, die Sie nicht nur vergrätzt haben, sondern die richtig wütend sind und die sagen: Der Habeck hat das damals durchgesetzt, dass mir unten im Keller jetzt meine Heizung rausgerissen werden soll. Ob das stimmen mag oder nicht, aber das ist der Eindruck.
Das stimmt natürlich nicht.
Aber deshalb die Frage: Was ist so schwer daran, sich einmal hinzustellen und zu sagen: Ich habe da Fehler gemacht, das tut mir leid, das wollen wir künftig ganz anders machen?
Aber das ist doch gar nicht schwer. Das habe ich mehrfach getan. Aber das, was Sie wiederholt haben, zeigt ja gerade meine These: Es ging nie darum, irgendjemandem die Heizung aus dem Keller zu reißen. Das ist weder das Gesetz jetzt, noch war es das jemals. Das ist ein Teil der Lügen, die damals verbreitet wurden, die sich offensichtlich festgesetzt haben. Das ist die Wirkweise des Populismus. Wir hatten damals ein Problem: Eine drohende Gasmangellage im Winter 2022/23, viele Menschen waren besorgt. Tausende Unternehmen haben uns geschrieben: Bitte stellt uns das Gas nicht ab. Es war die Zeit, wo wir die Innenstädte dunkel gemacht und öffentliche Gebäude nur auf 18 Grad erwärmt haben. Das war die Realität in Deutschland. Da schien es weise zu sein, jetzt nicht noch das Problem zu vergrößern durch den weiteren Einbau von Gasheizungen. Da kam es ja her. Als das Gesetz die Welt erblickte, war der Winter schon längst vorbei. Oder man hatte das Gefühl, er ist vorbei und die Problemlage war eine andere. Das rechtfertigt oder erklärt den Druck, mit dem das Gesetz geschrieben wurde. Aber die Wirkweise des Populismus konnte man daran erkennen, dass am Ende nicht darüber gestritten wurde, ob es Sinn macht, ein Gesetz so zu schreiben. Sondern es wurden viele Unterstellungen damit verbunden. Sie haben sie ja gerade noch mal wiederholt.
Kommen wir zur Wirtschaft. Der geht es nicht wirklich gut im Moment. Welchen Anteil haben Sie als Wirtschaftsminister an dieser Lage?
Ich würde sagen: Nicht genug getan zu haben, aus der Krise herauszukommen, weil die Möglichkeiten dafür nicht da waren.
Hätten Sie stärker darauf drängen müssen? Sie sind Vizekanzler.
Ja. Das war rückblickend einer der Fehler der Ampelregierung. Natürlich wusste man nicht, wie lange der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauern würde. Aber ich habe ja am Anfang des Krieges einmal ausgesprochen: Dieser Krieg wird uns ärmer machen. Das war nicht so dahergesagt. Damals wurde darauf reagiert mit: Oh, da spricht jemand eine unbequeme Wahrheit aus. Aber es folgte dann halt nichts oder nichts, das groß genug war. Wir hätten damals ein großes Konjunkturprogramm entwickeln sollen. So wie man es eigentlich in Krisen macht. Hätten wir es nicht gebraucht, dann hätten wir es ja auch wieder einstellen können. Da ist ein Fehler gemacht worden.
Trotzdem ist die jetzige Situation eine andere. Natürlich sind die Preise noch immer höher als vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Aber die Wirtschaftssituation Deutschlands reicht weiter zurück. Wir haben eine tiefe strukturelle Krise, die darauf beruht, dass die Voraussetzungen, die in den letzten 20 Jahren den Wohlstand geschaffen haben, nicht mehr da sind. Und deswegen muss man ein bisschen mehr machen, als nur zu sagen: Mit einem Regierungswechsel wird alles wieder gut.
Nämlich?
Wir haben noch energieintensive Industrien in Deutschland. Die haben wir gehalten, anders als andere Länder in Europa, weil wir günstiges Gas aus Russland hatten. Das ist weg. Wir sind eine Exportnation mit 80 Millionen Bundesbürgern – also nicht so viele, andere Länder sind größer. Wir sind die drittgrößte Wirtschaftsnation. Wie machen wir das? Wir verkaufen in die Welt, vor allem nach China und in die USA, außerhalb des europäischen Binnenmarktes. China geht sehr aggressiv vor, versucht Märkte zu übernehmen. Amerika versucht seine Märkte abzuschotten. Die Voraussetzungen für den Wohlstand haben sich also verändert. Deswegen müssen wir mehr investieren in die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts, mehr Innovation schaffen, mehr Neues nach vorne bringen. Daran hat es gehapert in den letzten 10, 15, 20 Jahren. Das Potenzial an Wachstum ist zurückgegangen. Das haben wir in den letzten drei Jahren auch nicht aufholen können. Aber insgesamt würde ich sagen, es fehlte an der Tiefe und an der Entschlossenheit, das Land noch mal neu zu erfinden. Weichen sind richtig gestellt worden, aber die Wege sind nicht weit genug beschritten worden. Darum werbe ich jetzt, den nächsten Schritt zu gehen.
Wir hören da Bedauern heraus, dass diese Regierung dann so geendet ist. Ist das etwas, das Ihnen auch menschlich so nahe geht, dass Sie das nicht einfach ablegen können?
Ich denke, dass ich die Ampel immer als vertane Chance erinnern werde. Man muss einräumen, dass diese Regierung irgendwann ihre Zukunft hinter sich hatte. Da war kein Staat mehr mit zu machen. Aber der Ansatz, dass eine ökologische, eine liberale und eine sozialdemokratische Partei – also dass gesellschaftlicher Ausgleich, ökologische Erneuerung und ein liberaler Rechtsstaat gut zusammenpassen – das war eigentlich richtig erkannt. Aber dann aus verschiedenen Gründen schlecht gemacht. Darüber wird man länger nachdenken müssen.
Sie haben gerade die Investitionen angesprochen. Sie schlagen einen Deutschlandfonds vor und eine Reform der Schuldenbremse. Wie viele Milliarden braucht dieser Deutschlandfonds für all Ihre Pläne?
Es gibt verschiedene Berechnungen der verschiedenen Institute. Ich befinde mich ja im Konsens mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie und den verschiedenen ökonomischen Instituten. Und die sagen alle: Es braucht 40, vielleicht 45 oder 50 Milliarden Euro pro Jahr über zehn Jahre. Das ist das Volumen, mit dem ich rechne im Parallelflug mit dem, was andere Ökonomen und Forscher errechnet haben.
Und wie genau stellen Sie sich die Reform der Schuldenbremse vor?
Da bin ich offen. Wichtig ist mir, dass wir genug Flexibilität schaffen, um die Probleme der Gegenwart zu lösen. Ich mache ein Beispiel: Alle sagen, wir sollten mit Investitionen auch Innovation anregen, indem wir steuerliche Vorteile schaffen. Die Union sagt anders als wir: Wir senken die Steuern allgemein. Ich sage: Für die spezifische Investition gibt es Steuergutschriften, damit auch wirklich investiert wird und es Innovationen gibt. Bei der Union gibt es meiner Ansicht nach zu hohe Mitnahmeeffekte. Aber in beiden Modellen wäre erst ein steuerlicher Ausfall zu verzeichnen, etwa in der Höhe, die wir skizziert haben. Bei mir ein bisschen weniger, bei der Union wahrscheinlich ein bisschen mehr. Und dann würde es Wachstum geben. Wachstum führt wiederum zu mehr Steuern, und die Steuern würden zumindest einen Teil der vorgestreckten Steuerverluste kompensieren.
So weit die Beschreibung.
Das Problem ist: Das müsste nach den Spielregeln der Schuldenbremse alles im gleichen Jahr erfolgen. Die steuerlichen Ausfälle und die Einnahmen müssen wieder deckungsfähig gemacht werden. Das haut in der Wirklichkeit nicht hin. Noch nicht mal der Bauzyklus haut hin, geschweige denn Bestellungen von Maschinen oder Investitionen in digitale Infrastruktur. Heißt: Das, was alle wollen und was jetzt logisch und notwendig ist, wird nicht gemacht, weil wir uns in den Nullerjahren eine Regel gegeben haben, die nicht mehr zu unserer jetzigen Zeit passt. Damals hatte die deutsche Volkswirtschaft gute Wachstumsperspektiven, es gab keinen Krieg in Europa, und China war die verlängerte Werkbank von Europa und Deutschland.
Aber wie genau soll die Reform aussehen?
Über die technische Ausbuchstabierung kann man reden. Ich hätte ein paar Vorlieben: Ich finde den Gedanken von Sondervermögen nicht falsch, weil man eine gewisse Kontrolle über das Geld hat. Ich kann mir aber auch vorstellen, die Zyklen des Schuldenabbaus ein bisschen zu strecken. Ich kann mir vorstellen, dass man die Prozentzahl – wir müssen ja auf 60 Prozent Schuldenstand runter – ein bisschen flexibilisiert, sodass da nicht so ein Druck ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Eigentlich aber geht es um die prinzipielle Frage: Halten wir an Regeln fest, die meiner Ansicht nach veraltet sind, die nicht zu dieser Zeit passen, nur weil sie einmal beschlossen wurden? Und für mich ist das das dümmste Argument.
Realistisch betrachtet ist ja Ihre einzige Regierungsoption eine Koalition mit der Union. Die will aber keine Reform der Schuldenbremse.
Sagt sie. Aber die Union verwickelt sich in ihre eigenen Widersprüche, weil ihr Programm nach Berechnung von ihr wohlmeinenden Ökonomen mit 100 Milliarden Euro Defizit pro Jahr arbeitet. Da steht viel Schönes oder auch nicht so Schönes drin, aber es ist einfach null gegenfinanziert. Die Union merkt gerade, dass sie ihre eigene Zeitenwende erlebt. Sie musste sich die letzten drei Jahre im Grunde nur zurücklehnen und sagen: Guckt euch mal die Ampel an, die streiten immer, wir werden es besser machen. Jetzt ist die Ampel weg, dahinter kann sich keiner mehr verstecken. Jetzt gucken sich alle das Programm der Union an und siehe da, es hält noch nicht mal dem ersten Lackmustest stand. Ich kann mich dazu gar nicht verhalten, weil das eine Politik aus dem Wolkenkuckucksheim ist.
Aber am Ende müsste man sich ja einigen, wenn man zusammen regieren wollte.
Jetzt geht es nicht um eine Einigung oder Koalitionsverhandlungen, sondern um eine Richtungsentscheidung: Nicht Schwarz-Grün, sondern Schwarz oder Grün. Also: Sind wir ehrlich in der Problembeschreibung? Sind wir bereit, neue Wege zu gehen? Und wenn wir die neuen Wege gehen wollen, welche sind es dann? Das sind die Fragen, die diskutiert werden. Die Union versucht, sich an den Problemen vorbeizuschummeln. Das haut aber nicht hin.
Lassen Sie uns über die Klimakrise sprechen. Da waren die letzten Nachrichten besorgniserregend. 2024 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen und das erste, das die 1,5 Grad überschritten hat. Reicht da Ihr Ziel, "Kurs zu halten" beim Klimaschutz, aus als Anspruch für eine grüne Partei?
Beim Ausbau der Erneuerbaren, beim Ausbau der Stromnetze müssen wir Kurs halten. Da sind die wesentlichen Gesetze auf den Weg gebracht und wir sehen die Erfolge. In Wirklichkeit hätte uns wahrscheinlich niemand zugetraut, dass wir tatsächlich den Aufbau von auch schwierigen Techniken wie Windkraft so voranbringen. Und Solar läuft wie geschnitten Brot. Die Stromnetze sind von 300 Kilometern genehmigter Leitungen im Jahr 2021 auf knapp 2.000 angewachsen. Wir haben Siebenmeilenschritte gemacht.
Aber?
In anderen Bereichen, vor allem beim Verkehr, sind wir überhaupt nicht auf Kurs gekommen und müssen mehr machen. Das sind da verlorene Jahre gewesen. Im Bereich der Industrie ist es sehr irritierend, wenn Friedrich Merz jetzt sagt, grüner Stahl, da glaubt er nicht dran. Da laufen die Investitionen ja schon. Die Unternehmen, die Arbeitgeber, die Ministerpräsidenten auch seiner Partei setzen darauf und haben das finanziert. Das ist schon die Ankündigung eines Rückschritts. [Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch mit Habeck wurde geführt, bevor Friedrich Merz seine Aussage zurückgenommen hat.]
Ist es dann aber nicht redlich, auch zu sagen: Leute, ihr müsst euer Verhalten dafür anpassen? Ist es noch redlich zu versprechen, Klimaschutz gehe ohne Verhaltensänderung, ohne Schmerzen, ohne dass irgendwer irgendwas anders machen muss?
Veränderung bedeutet ja immer eine Zumutung. Sie klingt nur gut auf Wahlkampfbühnen. Der Obama-Satz von "Hope and Change", der kriegt dann Applaus. Aber wenn es in der Wirklichkeit ankommt – wir sprachen eben kurz über das Heizungsgesetz –, dann ist die Veränderung häufig mühselig. Darauf gibt es aber Antworten. Wir haben beim Heizungsgesetz die Förderung sozialpolitisch ausgerichtet. Ärmere Haushalte bekommen eine höhere Förderung als reichere. Das könnte man auch in anderen Bereichen machen. Wir haben immer noch die Option, das Klimageld einzuführen, wenn wir denn endlich mal die technischen Voraussetzungen hätten. Und wir können vor allem neben den sozialpolitischen Flankierungen dafür sorgen, dass die neuen Techniken den Menschen Geld bringen. Bei der E-Mobilität wird das die Zukunft sein. Dann schaut man nicht nur auf die Anschaffung des Autos und macht den Strom günstiger, wofür ich werbe. Sondern das Auto wird selbst zum Teil des Stromsystems, sodass die Leute nur, indem sie das Auto immer wieder an der Ladesäule oder an der Wallbox haben, Geld verdienen.
Kommen wir zu Donald Trump. In Kürze tritt er sein Amt an, am 20. Januar. Man hat das Gefühl, die ganze Welt starrt auf dieses Datum. Friedrich Merz hat mal gesagt "Trump und ich, wir kämen schon klar." Was sagen Sie? Kämen Sie auch klar mit ihm?
Erst einmal teile ich nicht die politische Weltsicht von Donald Trump und er sicherlich auch meine nicht. Das beginnt bei grundsätzlichen Fragen, also der Art, wie gesprochen wird, wie die Gesellschaft gesehen wird, wie man über politische Mitbewerber, über Menschen redet. Das ist bei ihm hasserfüllt und spaltend. Ich versuche, das anders anzugehen und Politik als großes Gemeinschaftswerk zu sehen – auch wenn man unterschiedliche Meinungen hat. Die Verachtung der Anstrengungen, die globale Erderwärmung einzudämmen, ist aus meiner Sicht ein schwerer Fehler. Und die Kooperation zwischen den USA und Europa ist ein Wert, der erhalten bleiben sollte. Die Trennung von gemeinsamen Werteräumen, wie sie jetzt zumindest vorbereitet wird, ist ebenfalls politisch falsch. Im Konkreten: Der Austritt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, die Drohungen mit Zöllen, vielleicht die Kappung der Unterstützung der Ukraine – da sind wir auch nicht beieinander. Aber: Ich habe viele andere Regionen bereist und viele Ministerpräsidenten und Scheichs und Prinzen getroffen, mit denen ich auch nicht immer einverstanden bin. Aber miteinander reden muss man.
Aber wie geht das konkret …
… aus einer Position der Stärke heraus ...
… wenn jemand sagt, er will Grönland kaufen oder den Panamakanal annektieren – wie redet man mit so jemandem?
Es gibt eine Lektion, die Europa lernen muss: Zusammenbleiben, sich unterhaken und gemeinsam stark sein. Das ist für die deutsche Politik eine wichtige Aufgabe und für die nächste Bundesregierung ein Imperativ, der nicht vergessen und auch nicht abgetan werden darf. Denn er bedeutet auch, dass bestimmte Positionen, die wir in den letzten anderthalb Jahren gehört haben, die wir teilweise auch in der Ampel umgesetzt haben, dann nicht mehr gehen.
Heißt?
Deutschland muss mithelfen, dass Europa einig ist. Deutschland muss immer dazu beitragen, Mehrheiten zu organisieren und somit auf der Seite der Mehrheit stehen. Wir können nicht wie Ungarn sein, dann kann Europa nicht nach vorn gehen. Allerdings will niemand, dass Deutschland mit einer Basta-Politik oder mit stolzgeschwellter Brust rumbrüllt: Ich sag euch mal, wie's geht! Wir müssen dienend führen, wenn man so will. Dann profitieren wir selbst am stärksten. Das gilt gerade gegenüber Donald Trump.
Inwiefern?
Dänemark ist auf europäische Unterstützung und Solidarität angewiesen. Deutschland ist aber andersherum auch auf Solidarität angewiesen. Denn die Zölle, von denen Trump spricht, die werden sich möglicherweise vor allem gegen Deutschland richten. Wir haben den größten Handelsbilanzüberschuss von allen europäischen Ländern gegenüber den USA. Wir verkaufen mehr Güter in die USA als sie zu uns. Das ist Trump ein Dorn im Auge. Und deswegen können wir uns an drei Fingern abzählen, dass die Zölle möglicherweise vor allem gegen Deutschland gehen. Wir brauchen die europäischen Partner, die uns unterstützen und sagen: Wenn du das tust, dann machen wir Gegen-Zölle. Wenn Europa auseinanderfällt, dann ist das schlecht für Deutschland. Also: Wie antworten wir auf Donald Trump? Vorbereitet. Wir brauchen ein geschlossenes und starkes Europa, und Deutschland muss helfen, dass das gelingt.
Es ist eine interessante Formulierung, die Sie gerade verwendet haben: "dienend führen".
Also erst einmal ist das meine persönliche Erfahrung: Wir haben auf der europäischen Ebene interessanterweise große Erfolge erzielt, vor allem im Bereich Klimaschutz und Green New Deal, indem wir uns zurückgenommen haben. Alle Gesetze in dem Bereich sind abgeschlossen worden. Allerdings haben wir auch Fehler gemacht.
Zum Beispiel?
Die Debatte über E-Fuels oder über die chinesischen Zölle. Da hat Deutschland sich gegen die Mehrheit in Europa gestellt. Und damit haben wir uns lächerlich gemacht – und haben wir die anderen hängen lassen.
Was bedeutet das für die Unterstützung der Ukraine?
Bei der Verteidigung bietet es sich an, die notwendige Beschaffung europäisch zu organisieren. Wir haben 27 Armeen mit 27 Rüstungsindustrien. Alles ist kleinteilig und dadurch teuer. Wir können das besser machen. Das bedeutet aber, dass die Länder jedenfalls Teile ihrer Verteidigungsausgaben in einen Fonds einzahlen, der europäisch organisiert wird. Wenn Deutschland hilft, das möglich zu machen mit seiner großen Finanzkraft, werden die anderen möglicherweise mitgehen. Dafür werbe ich.
Im Hinblick auf die Ukraine gibt es hierzulande eine erkleckliche Zahl von Menschen, die sagen: Dann soll man dem Putin halt etwas entgegenkommen, Hauptsache, der Krieg endet schnell. Was antworten Sie denen?
Ich wünsche mir auch, dass der Krieg schnell endet. Und das sage ich nicht einfach so. Ich war mehrfach in der Ukraine. Ich habe mit Selenskyj Krankenhäuser besucht. Man hat in diese gebrochenen Gesichter gesehen. Die Leute hatten Durchschüsse am Körper und teilweise Arme oder Beine verloren. Für mich sind das nicht nur Worte, ich habe das Leid gesehen. Ich nehme die Bilder mit ins Private, in den Schlaf.
Was heißt das für die Zukunft?
Die politische Klugheit sagt: Frieden heißt, die Friedensordnung muss wiederhergestellt werden. Frieden heißt, dass es ein regelbasiertes System gibt. Frieden bedeutet nicht, einen temporären Zustand herzustellen, der dazu führt, dass Putin wieder aufrüstet, um dann das nächste Land zu überfallen. Die Voraussetzung für Frieden ist, dass Putin nicht aus diesem fürchterlichen Gemetzel die Lehre zieht: Das lohnt sich. Ihm sind Menschenleben völlig egal. Das hat er jetzt mehrfach bewiesen. Er mordet auch seine eigene Bevölkerung. Das ist alles schwer erträglich, er ist ein Menschenverächter. Und er wird nur dann Ruhe geben, wenn er weiß, dass er nicht erfolgreich ist. Und darum kämpft die Ukraine so entschlossen. Solange sie das aushält, dieses fürchterliche Leiden, sollten wir sie unterstützen. Damit wir danach wieder zurückkehren können zu dem nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebauten Friedenssystem in Europa.
Sie haben geschildert, wie Sie in der Ukraine in Krankenhäusern gewesen sind. Sie sagen, das nehmen sie mit in den Schlaf. Wie erträgt man so was als Spitzenpolitiker?
Schwer manchmal. Aber – und das klingt jetzt etwas abgeklärt oder zynisch – zu dem Beruf gehört, dass man die Entscheidungen nicht immer nur von der einzelnen Emotion abhängig macht. Es geht darum, Rechtssysteme oder Rechtsnormen aufzubauen, gegebenenfalls zu verändern – zum Besseren. Es geht darum, Politik für das Land, für die Menschen insgesamt zu machen. Deswegen muss man manchmal einen Schritt weg machen von den persönlichen Eindrücken und dem, was man als Privatperson sagen oder fühlen würde. Man kann sich nicht nur von Einzelemotionen leiten lassen.
Blicken wir noch mal auf Deutschland. Bei der AfD hat sich am Wochenende auch die Parteichefin Alice Weidel hinter die sogenannten Remigrationspläne gestellt. Eine weitere Radikalisierung, jetzt auch an der Spitze. Sollte das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob die AfD verboten gehört?
Ja, das muss man prüfen. Das Parteienverbot ist zu Recht nach den Erfahrungen der deutschen Geschichte ein Schritt mit hohen Hürden. Nur dann, wenn eine Partei gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung kämpft und eine Chance hat, sie zu überwinden, kann man Parteien verbieten. Dass sie eine andere politische Meinung vertreten, auch eine unappetitliche, reicht nicht. Es gibt Hinweise, dass die AfD in der Radikalisierung, die sie durchläuft, diesen Kurs eingeschlagen hat. Die Frage lautet: Ist es die Programmatik der Partei? Oder sind es einzelne Stimmen, die neben der Partei oder im Umfeld der Partei ertönen? Das muss systematisiert werden. Die verschiedenen Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern müssen ihre Erkenntnisse zusammentragen. Entweder diese Bundesinnenministerin oder die nächste muss das Beweissammlungsverfahren einleiten. Und dann muss einer der Verfassungskörper darüber entscheiden, ob die Beweislage stark genug ist, dieses Verbotsverfahren anzustrengen.
Stimmen Sie für den Gruppenantrag, den es im Bundestag gibt?
Es sind ja verschiedene unterwegs. Ich stimme dafür, dass man jetzt die Beweissichtung konkret einleitet. Es darf nicht schiefgehen. Vor mehreren Jahren ist ein von den Bundesländern angestoßenes NPD-Verbotsverfahren schiefgegangen, weil damals V-Leute vom Verfassungsschutz bezahlt wurden. Wir müssen schon sicher sein, was wir da tun. Das darf am Ende nicht als Bestätigung rechtsradikaler Politik enden. Deswegen muss man jetzt die Beweise sichern und aufbereiten und die Entscheidung über den Antrag auf ein Verbotsverfahren dann treffen, wenn man weiß, worüber man entscheidet. Das muss aber die nächste Regierung bald tun, oder das Parlament oder der Bundesrat. Die Entscheidung über ein Verbot trifft einzig und allein das Verfassungsgericht.
Neben einem möglichen Verbotsverfahren ist ja auch immer die Diskussion, wie man die AfD politisch stellt. In der Ampelzeit hat sie sich verdoppelt. Was kann und muss man tun?
Erst einmal: Das Wesen des Populismus verstehen. Dessen Wesen ist es, Debatten unführbar zu machen. Und zwar egal welche. Er nimmt sich, was gerade irgendwie knallt, und jazzt es hoch, radikalisiert es. Sodass sich Menschen zurückziehen, weil sie nicht mehr mitkommen oder angebrüllt werden; weil sie die Desinformation völlig kirre macht oder sie verführt sind, sich selbst zu radikalisieren. Und damit ist die Antwort gegeben, wie man den Populismus und die AfD nicht bekämpft: nämlich indem man sie in einer etwas weichgespülteren Form versucht zu kopieren, ihr hinterher redet, ihre Mittel adoptiert, Politik selbst populistisch auflädt. Das führt nur zur Stärkung der jeweils radikaleren Position. Man kann das in Europa sehen, dass meistens konservative Parteien sich am Ende aufgelöst haben oder stark geschrumpft sind, weil sie die Mittel des Rechtspopulismus zu den ihren gemacht haben. Die Rechtspopulisten können aber immer radikaler, immer entschiedener sein.
Wie geht es dann?
Wir müssen uns klarmachen, was die Stärken der europäischen Friedensordnung und der liberalen Demokratie Deutschlands sind, und darauf setzen. Wir müssen daraus eine eigene Kraft entwickeln. Die muss dann aber auch kommen, sie darf nicht nur beschrieben werden. Wir müssen zum Beispiel wirtschaftlich so erfolgreich sein wie die Tech-Unternehmen in den USA, die jetzt teilweise in Anbiederung und teilweise aus Überzeugung dem Trump'schen Populismus hinterherlaufen. Wir dürfen nicht abhängig sein von den Plattformen, den Techniken und der Künstlichen Intelligenz dieser Unternehmen. Und da sind wir in Europa im Moment nicht. Neulich las ich, wir sind Weltmarktführer in den Technologien des 20. Jahrhunderts. Dummerweise leben wir im 21. Die wirklichen Marktführer bei den Technologien kommen nicht aus Deutschland oder aus Europa. Mit der Technik geht auch die Wertehoheit woanders hin. Und zwar zu chinesischen Technologiekonzernen, die der autoritären KP nahestehen, oder eben zu Elon Musk und jetzt auch Mark Zuckerberg. Darauf muss es eine Antwort geben, und sie muss in den nächsten Jahren kommen. Weil das so überragend wichtig ist für das Werte-Fortbestehen Europas und Deutschlands, muss das Problem gelöst werden.
Zum Schluss würde ich gerne noch einmal über Ihren lautesten Kritiker reden. Der sitzt im Süden dieses schönen Landes, und man hat so den Eindruck, Markus Söder hat ein ganz starkes Feindbild: Das sind die Grünen und das sind auch Sie, Herr Habeck. Was treibt ihn?
Markus Söders Kritik an mir und meiner Partei hat wenig mit den Grünen zu tun, sondern ist der Versuch, den Wahlkampf der Union ein weiteres Mal zu torpedieren. Markus Söder ist kein grünes Problem, sondern das von Friedrich Merz.
Er will eigentlich Friedrich Merz treffen, nicht Sie?
Genau, so ist es.
Um ihn zu schwächen?
Der Gedanke liegt nahe, 2021 hat er das auch schon gemacht und den Wahlkampf von Armin Laschet bewusst torpediert. Und das wiederholt sich jetzt anscheinend. Jetzt hat er die halbe Republik gegen sich aufgebracht, indem er auch Ministerpräsidenten der Union beleidigt hat. Also ich sage mal so: Wer mit der Politik von Markus Söder nicht einverstanden ist, der wählt die Grünen.
Können Sie abseits der Politik mit ihm persönlich?
Ich habe mal gedacht, es gibt einen Draht.
Markus Söder könnte nach der Wahl aber auch zu Ihrem Problem werden, weil Sie Koalitionspartner brauchen. Markus Söder schließt eine Koalition mit den Grünen immer wieder und jedes Mal härter aus. Haben Sie sich schon davon verabschiedet, mit der Union regieren zu können?
Das ist ja das Problem von Friedrich Merz. Der eine sagt Hü, der andere sagt Hott. Was mir Sorgen macht, ist Folgendes: Die Ampel hatte das Image des ewigen Streites. Das darf die nächste Bundesregierung, egal wie sie aussieht, nicht wiederholen. Das wird das Vertrauen in demokratische Politik zerstören. Wenn die Union Teil einer nächsten Regierung sein sollte und sie jetzt schon intern diesen Streit hat: Wie soll das zu einer geeinten Regierung führen? Und es gibt einen zweiten Punkt, der mit dieser Frage eng verbunden ist.
Welchen?
Den konnten wir jetzt gerade in Österreich sehen. In Österreich kriegt jetzt die FPÖ, das ist quasi die österreichische AfD, den Regierungsbildungsauftrag, weil sich die konservative Partei, die Sozialdemokratie und die progressive liberale Partei nicht einigen konnten. Das geht nicht für demokratische Parteien, mögen sie noch so unterschiedliche Sichtweisen haben. Wenn sie wissen, dass die Alternative eine rechtsradikale Regierungsübernahme ist, dann müssen die doch zusammenkommen. An dieser Stelle waren die Grünen übrigens nicht beteiligt. Söder redet entweder dem Wortbruch oder der Regierungsunfähigkeit das Wort. Wann fangen wir denn bitte an, mal zu lernen? Zu was soll das führen? Soll ich das auf Deutschland übertragen und am Ende regiert dann die AfD? Mir scheint das alles weder durchdacht noch vernünftig zu sein.
Zum Schluss wollen wir noch mal persönlich werden: Sie haben gerade in Ihrem neuen Buch den "Bach rauf" einen Moment beschrieben, als Sie selbst über das Aufhören nachgedacht haben. Das war der Moment, wo Protestierende sie an der Fähre empfangen haben, als Sie von Hallig Hooge zurückkamen. Sie schreiben, dass Sie auch mit Ihrer Frau darüber gesprochen haben. Wissen Sie noch, was sie gesagt hat damals?
Das weiß ich noch. Sie hat gesagt: Jetzt erst recht. Jetzt ist kein Grund, in den Sack zu hauen und aufzuhören. Aber ich habe das quasi angeboten. Wenn man in so einem öffentlichen Amt ist, dann sollte man nicht zimperlich sein. All die Demonstrationen, die Debatten, die Kritik, die Interviews und die negativen Schlagzeilen, die muss man ertragen. Da darf man nicht dünnhäutig sein. Ich hatte mir aber immer vorgenommen, den privaten Bereich zu schützen. Der private Schutzraum ist zu Hause. Und Hallig Hooge ist quasi zu Hause, das ist bei mir vor der Haustür. Wir haben dort Freunde, ich kenne die Leute. Ich war als Minister in Schleswig-Holstein auch Halligminister, habe mich also um das Fortbestehen der Halligen gekümmert.
Was muss man machen als Halligminister?
Im Wesentlichen die Warften erhöhen. Das sind ja raue Landschaften. Der Unterschied zu Inseln ist, dass Halligen keine Deiche haben. Die werden ein paar Mal im Jahr einfach überflutet. Dann steht das Wasser an den Häusern. Weil die Meeresspiegel steigen, müssen die Warften, auf denen die Häuser stehen, mitwachsen. Ich kann da lange drüber reden. Es ist eine raue Landschaft. Ich bin gerne dort.
Da fühlen Sie sich wohl in dieser Landschaft?
Ja, das ist für mich Zuhause. Als das nun auf einmal in mein Naturwohnzimmer einbrach, war so ein Moment erreicht, wo ich gedacht habe: Lohnt sich das alles noch? Mute ich meinen Leuten zu viel zu? Aber die Reaktion war dann eben: Das ist kein Grund aufzuhören. Jetzt musst du sehen, dass diese Stimmung sich wieder dreht. Und das versuche ich jetzt.
Herr Habeck, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Robert Habeck am 14. Januar in Berlin