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Israel: Expertin fordert "Zeitenwende" in deutscher Nahostpolitik


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Nahost-Politik der Bundesregierung
"Damit muss jetzt Schluss sein"


13.10.2023Lesedauer: 6 Min.
Rauch steigt über dem Gazastreifen auf: Israel reagiert mit Luftschlägen auf die Angriffe durch Hamas-Terroristen.Vergrößern des Bildes
Rauch steigt über dem Gazastreifen auf: Israel reagiert mit Luftschlägen auf die Angriffe durch Hamas-Terroristen. (Quelle: Hatem Ali/reuters)

Die Terrororganisation Hamas hat Israel angegriffen. Im Bundestag schwört man, an der Seite des Landes zu stehen. Doch was kann die Bundesregierung konkret tun?

Sie ermordeten und verschleppten zahlreiche Menschen: Die Terroristen der radikal-islamischen Hamas hatten am Wochenende einen Großangriff auf Israel gestartet. Mindestens 1.200 Israelis haben sie nach Angaben des israelischen Militärs getötet, weitere 2.700 Menschen wurden verletzt, mehr als 100 als Geiseln in den Gazastreifen entführt.

Seitdem führt das israelische Militär einen "groß angelegten Angriff" auf die Hamas im Gazastreifen durch. Dabei bekommt es Rückendeckung aus dem Westen – und auch von der deutschen Bundesregierung. "In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz: den Platz an der Seite Israels", sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag in einer Regierungserklärung. Israels Sicherheit sei für Deutschland "Staatsräson", betonte er – ein Satz, der von seiner Vorgängerin Angela Merkel stammt und seinen Eingang auch in den Koalitionsvertrag der Ampelkoalition fand.

Doch was heißt diese "Staatsräson" konkret? Und mit welchen Maßnahmen könnte Deutschland Israels Sicherheit tatsächlich unterstützen?

Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson

Mit Blick auf eine mögliche militärische Unterstützung gibt es auf diese Fragen derzeit keine klare Antwort. Israel und Deutschland gehören keinem gemeinsamen Militärbündnis an. Die Sicherheit Israels zur deutschen "Staatsräson" erklärt zu haben, ist somit vielmehr eine vage Selbstverpflichtung Deutschlands und nicht etwa ein Vertrag oder eine konkrete Zusage zur militärischen Verteidigung.

Dennoch hat sie auch aufgrund historischer Verantwortung eine große Bedeutung. Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es wörtlich:


Quotation Mark

Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson. Wir werden uns weiter für eine verhandelte Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 einsetzen. Die anhaltende Bedrohung des Staates Israel und den Terror gegen seine Bevölkerung verurteilen wir.


Koalitionsvertrag der Ampelregierung


Scholz erklärte nach dem Angriff auf Israel darum gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Frankreich, den USA, Italien und Großbritannien, dass sie "Israel in seinen Bemühungen unterstützen", sich und sein Volk gegen die "Gräueltaten" der Hamas-Terroristen zu verteidigen.

Konkreter wurde er jedoch nicht. Auch bei seiner Rede am Donnerstag im Bundestag blieb er im Ungefähren: Deutschland werde Unterstützungsbitten Israels "unverzüglich prüfen und auch gewähren", sagte er, bezog sich dabei aber auf die Versorgung Verwundeter. Auf mögliche Militärhilfen oder Vermittlungen ging er nicht ein.

Waffenlieferungen als eine "hypothethische Frage"

Auch aus dem Verteidigungsministerium hieß es, es gehe bei den möglichen Lieferungen an Israel vor allem um Ausstattung im Sanitätsbereich. Zugleich sind Militärhilfen wohl aber auch nicht ganz ausgeschlossen: Bereits am Mittwoch hatte die Bundesregierung Israel zwei Kampfdrohnen vom Typ Heron TP zugesagt. Zudem habe Tel Aviv Munition für Kriegsschiffe bei Deutschland angefragt. "Darüber werden wir uns jetzt mit den Israelis austauschen", sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius am Donnerstag.

Denkbar wäre, dass die israelische Armee mit dieser Munition ihre Angriffe auf den Gazastreifen verschärfen und auch vom Mittelmeer aus Militärschläge auf das Gebiet verüben will. Die israelische Regierung hatte das palästinensische Gebiet nach dem Angriff der Hamas-Terroristen gänzlich abriegeln lassen, schnitt die mehr als 2 Millionen Bewohner des Landstreifens von der Versorgung mit Strom, Trinkwasser und Hilfsgütern ab.

1.200 Menschen wurden seitdem durch israelische Luftangriffe auf das Gebiet getötet, rund 5.600 Menschen verletzt, berichten palästinensische Medien unter Berufung auf das Gesundheitsministerium in Gaza. Mehr zur humanitären Situation in Gaza lesen Sie hier.

Ob Deutschland über die Heron-Drohnen hinaus weitere Militärhilfe leisten wird, ist offen. Klar ist: Waffen oder Munition müssten schnell in Israel ankommen – und darum wohl aus den Beständen der Bundeswehr stammen, was angesichts der jüngsten Debatten um Waffenlieferungen an die Ukraine kein leichtes Unterfangen wäre.

Schon in diesem Zuge warnten Experten: Weitere Ausfuhrgenehmigungen für Waffen und Munition könnten große Lücken in die Reserven der deutschen Armee reißen, Deutschlands eigene Verteidigungssicherheit stehe auf dem Spiel. Ob ein möglicher Antrag für Militärhilfen an Israel also den Bundestag passieren würde, ist damit fraglich.

Hinzu kommt: Israel hat sein Militär seit Jahren hochgerüstet, die Bundeswehr gilt unter der alten Bundesregierung dagegen als kaputtgespart. Es ist daher davon auszugehen, dass Israel militärisch viel besser ausgestattet ist als die Bundeswehr. Außenpolitiker der Ampel bezeichnen die Frage nach möglichen Militärhilfen für Israel darum im Gespräch mit der "Tagesschau" eher als "eine hypothetische Frage". Sie wissen um den Zustand der Bundeswehr. Unklar ist darum auch, ob Israel tatsächlich um weitere Waffen bitten würde.

"Deutschland braucht eine Zeitenwende in der Nahostpolitik"

Entsprechend sehen Experten wie Ulrike Becker auch eher andere Ansatzpunkte für eine deutsche Unterstützung Israels. Im Gespräch mit t-online sagt sie: "Deutschland braucht eine Zeitenwende in der Nahostpolitik, wenn die Bundesregierung es ernst damit meint, dass wir für die Sicherheit Israels eintreten." Als Forschungsleiterin vom Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) untersucht sie seit Jahren die extremistischen Bewegungen in der Region. Die Verbindungen Teherans zu terroristischen Gruppen wie der Terrororganisation Hamas, der libanesischen Hisbollah oder dem Islamischen Dschihad kennt sie genau.

Handfeste Beweise dafür, dass das islamische Regime im Iran direkt in Verbindung mit dem Angriff auf Israel steht, gibt es bislang zwar nicht. Doch sowohl die Terrororganisation Hamas in Gaza als auch die islamistische Hisbollah im Libanon gelten als verlängerter Arm der iranischen Revolutionsgarde im Nahen Osten. Militärisch und finanziell werden sie vom Regime im Iran unterstützt und ausgebildet. Und auch rhetorisch heizt Teheran seine Terrorgruppen in der Region immer wieder gegen Israel auf. Mehr dazu lesen Sie hier.

Diesen Zusammenhang hat auch die Bundesregierung offenbar erkannt: Ohne die jahrelange iranische Unterstützung wäre die Hamas "zu diesen präzedenzlosen Angriffen auf israelisches Territorium nicht fähig gewesen", sagte Scholz am Donnerstag. Mit Blick auf den Jubel des Regimes über die Angriffe der Hamas sagte er: "Die Führung in Teheran zeigt ohne Scham ihr wahres Gesicht – und bestätigt damit ihre Rolle in Gaza." Für Becker sind Scholz' Worte ein erster, richtiger Schritt. "Die Bundesregierung muss jetzt bei dieser Position bleiben, bis die terroristischen Strukturen zerschlagen sind, die die israelische Gesellschaft bedrohen", so Becker.

Sturz des islamischen Regimes

Dazu müsse sich die Bundesregierung jedoch noch klarer positionieren: "Es kann so lange keinen friedlichen Nahen Osten geben, solange die Islamische Republik Iran besteht", so Becker. Es sei an der Bundesregierung, dem Regime in Teheran die Legitimität zu entziehen und sich an die Seite der iranischen Demokratiebewegung zu stellen. Forderungen, die diese spätestens seit dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini im September vergangenen Jahres stellt, sollten endlich umgesetzt werden. Die 22-Jährige war nach einer gewaltsamen Festnahme durch Regimekräfte gestorben. Ihr Tod löste landesweite Proteste aus.

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Eine zentrale Forderung der Protestbewegung ist es, die Revolutionsgarde des islamischen Regimes auf die Terrorliste der EU zu setzen. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es in den vergangenen Monaten immer wieder, dass die Revolutionsgarde bereits sanktioniert sei und eine Listung rechtlich nicht möglich sei. Doch "auch wenn es rechtliche Hürden geben sollte, muss dieses Ziel der Bundesregierung gerade in der jetzigen Situation deutlich formuliert und ausgesprochen werden", rät Becker. Die islamische Revolutionsgarde sei maßgeblich für "den Export des Terrors in die Region" verantwortlich.

Mehrere Bundestagsfraktionen hatten sich nach dem Angriff auf Israel dafür ausgesprochen, die Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste zu setzen. Auch die CDU/CSU hatte das in einem Antrag bereits Mitte September gefordert.

"Sinnloser und gefährlicher Dauerdialog mit antisemitischen Terroristen"

Becker rät zudem: Auch hierzulande sollte sich die Bundesregierung für die Bekämpfung islamistischer Strukturen einsetzen. Dazu gehöre etwa die Schließung des Islamischen Zentrums Hamburg (IZH), das vom Verfassungsschutz als "Außenposten des Teheraner Regimes" bezeichnet wird. Zudem müsse die Bundesregierung sensibler im Umgang mit möglichen Lobbyisten des islamischen Regimes im Westen sein.

Becker verweist dabei auf den Eklat um die Förderung eines Thinktanks durch das Auswärtige Amt. Dessen Leiter Adnan Tabatabei hatte sich mit Außenministerin Annalena Baerbock zum Thema Nahostpolitik ausgetauscht. Nun kam heraus, dass er seine Arbeit zumindest teilweise offenbar mit dem Regime in Teheran koordiniert hatte. Mehr dazu lesen Sie hier.

"Das heißt: Man hat die demokratischen und gemäßigten Kräfte in der Region im Stich gelassen und stattdessen einen sinnlosen und gefährlichen Dauerdialog mit antisemitischen Terroristen geführt", kritisiert Becker. Damit müsse jetzt Schluss sein. Das neue Prinzip der Bundesregierung müsse lauten: "Keine Zusammenarbeit mehr mit der Islamischen Republik Iran und stattdessen jede Unterstützung für die demokratische und säkulare Opposition – im Iran und hier im Exil", fordert Becker.

Verwendete Quellen
  • tagesschau.de: "Wie Deutschland auf den Hamas-Angriff reagiert"
  • Anfrage an Ulrike Becker vom MFFB am 12.10.2023
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
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