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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Humanitäre Lage in Gaza "Die Situation wird mit jeder Stunde noch viel, viel schlimmer"
Nach den Terrorattacken der Hamas hat Israel seinen Gegenangriff gestartet und belagert und bombardiert den Gazastreifen. Gaza ist ohne Strom, Wasser und Nahrungsmittel. t-online zeigt die aktuelle Lage.
Am Wochenende hat die Terrororganisation Hamas Israel angegriffen, zahlreiche Menschen getötet und Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Als Reaktion darauf beschießt die israelische Armee den Gazastreifen nun mit Hunderten Raketen, auch Bomben wirft die Luftwaffe ab.
Zudem verkündete Israel eine Totalblockade der Wasserversorgung sowie von Strom- und Treibstofflieferungen. Der Gazastreifen, für den bereits seit der Machtübernahme der Hamas im Jahr 2007 strenge Ein- und Ausreiseregeln gelten, ist damit komplett von der Außenwelt abgeschnitten.
Das allein verschärft laut UN-Angaben die humanitäre Not in den Kommunen und Lagern für Geflüchtete noch einmal mehr. Schon in den nächsten Stunden könnte zudem eine israelische Bodenoffensive beginnen. Der Chefsprecher der israelischen Armee fordert alle Bewohner des Gazastreifens auf, über die ägyptische Grenze zu fliehen – obwohl diese offiziell geschlossen ist.
Das Sterben geht weiter
Wie sieht die Lage für die Menschen vor Ort aus? Wie leben sie gerade – ohne Strom, ohne Wasser, ohne Lebensmittel?
Eine, die diese Fragen beantworten kann, ist Juliette Touma, Sprecherin des Palästinenser-Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, UNRWA. "Die Situation ist verheerend", sagt sie im Gespräch mit t-online. Knapp 190.000 Menschen seien innerhalb des Gazastreifens auf der Flucht, 144.000 davon hätten Unterkunft in den 88 Schulen der Hilfsorganisation gefunden. Damit seien ihre Kapazitäten schon jetzt zu 90 Prozent ausgelastet.
Es sei völlig unklar, wie viele weitere Geflüchtete noch kommen würden, denn das Bombardement und das Sterben halte an. Die Zahl der Toten und Verletzten sei hoch, auch 30 Schüler der UN-Schulen seien getötet worden.
Die UNRWA ist seit 1949 im Gazastreifen aktiv. Sie kümmert sich um humanitäre Hilfe und bietet Schutz für palästinensische Geflüchtete. Doch die Organisation ist dabei nicht unumstritten. Es gibt regelmäßig Kritik daran, dass sie kein neutraler, humanitärer Akteur sei, sondern mit Konfliktgruppen sympathisiere oder sich für deren Zwecke instrumentalisieren lasse.
Während der jüngsten Gegenschläge Israels wurde die Organisation selbst von Raketen getroffen. Zwei Mitarbeiter verloren demnach in den vergangenen Tagen ihr Leben. Das UNRWA-Hauptquartier in Gaza-Stadt und 18 Einrichtungen der UNRWA hätten Kollateralschäden erlitten, viele Mitarbeiter seien selbst obdachlos geworden und hätten Familienmitglieder verloren.
Vorräte werden knapp
Darüber hinaus habe die israelische Armee den Gazastreifen auch für Hilfsorganisationen abgeriegelt, seit Samstag bekomme die UNRWA keine neuen Vorräte mehr. "Die Situation war schon vor der Belagerung schrecklich und wird mit jeder Stunde noch viel, viel schlimmer", sagt Touma. Bereits zuvor seien viele Menschen auf die Hilfslieferungen der Flüchtlingswerke angewiesen gewesen. Nahrung und Wasser seien im Gazastreifen ohnehin knapp.
Die Wasserversorgung ist eines der größten Probleme der Gaza-Bewohner. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef hat nur jeder Zehnte der Bewohner Zugang zu sauberem Trinkwasser. Das aus einem Küstengrundwasserspeicher geförderte Wasser ist nach Aussage von Experten nicht zum menschlichen Konsum geeignet – eine Übernutzung habe zur Versalzung und unbehandeltes Abwasser zur Kontaminierung dieser wichtigsten Wasserquelle geführt, berichtet die Konrad-Adenauer-Stiftung in den Palästinensergebieten.
Laut dem UN-Nothilfebüro OCHA wurden im vergangenen Jahr immer noch mehr als zwei Drittel aller Lieferungen von Baumaterial, Nahrungsmitteln, Gerätschaften und Konsumgütern über israelische Grenzposten abgewickelt.
Vorräte könnten bald ausgehen
Auch Energie sei ein rares Gut: Den Menschen in Gaza stünden bislang nur sechs bis acht Stunden Strom am Tag zur Verfügung, und Benzin für Elektrogeneratoren sei sehr teuer.
Nach Zählung der OCHA erreichten im vergangenen Jahr mehr als 90 Prozent der Treibstofflieferungen den Gazastreifen über das Nachbarland Ägypten – bis 2016 wurde die Region noch vollständig aus Israel mit Benzin, Gas oder Diesel versorgt. Industrie-Diesel, der zur Stromerzeugung im einzigen Kraftwerk der Region genutzt wird, floss allerdings weiterhin nur aus Israel.
Ob eine Flucht nach Ägypten für die Bewohner des Gazastreifens noch möglich ist, weiß Touma nicht. "Es ist im Allgemeinen aber sehr schwer, Gaza zu verlassen", sagt sie. Die Einreise in das Nachbarland sei schon vor dem Gegenangriff Israels extrem teuer, bürokratisch und nur wenigen erlaubt gewesen. Dass Ägypten jetzt seine Grenze einfach öffne, bezweifelt sie.
- Telefonat mit Juliette Touma von UNRWA (United Nations Relief Work Agency)
- Nachrichtenagenturen dpa