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Olaf Scholz und Joe Biden: Ungleiche Waffenbrüder bei UN-Treffen in New York


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Kommt jetzt die Panzerwende?
Gegen den Weltkrieg

  • Johannes Bebermeier
  • Bastian Brauns
Johannes Bebermeier, New York und Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 20.09.2022Lesedauer: 5 Min.
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Joe Biden und Olaf Scholz: Wirklich einig? (Quelle: Sammy Minkoff/imago-images-bilder)

Die Mächtigen der Welt treffen sich bei den UN. Olaf Scholz wird in New York von der gleichen Frage verfolgt wie Joe Biden: Soll er Panzer an die Ukraine liefern?

Die Liste ist lang. 24 Flakpanzer Gepard stehen drauf, 10 Panzerhaubitzen, Munition, Handgranaten und ja, auch Schlafsäcke. 10.000 Stück. Neben vielem, vielem anderen. 733.631.635 Euro hat sich die Bundesregierung die Unterstützung der Ukraine mit Militärgerät bislang kosten lassen. Fein säuberlich aufgelistet auf ihrer Website.

Kann sich sehen lassen, findet Olaf Scholz. Etwas unglücklich für ihn, dass derzeit fast nur darüber diskutiert wird, was nicht auf dieser Liste steht: westliche Kampfpanzer nämlich. Vor allem nicht der Leopard 2. Die Ukraine will sie unbedingt haben; viele Osteuropäer, darunter Polen, Litauen und Lettland, wollen sie dort sehen – und auch die Koalitionspartner von FDP und Grünen wollen sie liefern. Nur der Kanzler, der will das nicht.

Noch nicht? Wenn die Welt ab heute wieder für ein paar Tage nach New York blickt, wo sich bei den Vereinten Nationen die Mächtigen zur 77. Generalversammlung treffen, dann wird Olaf Scholz die Kampfpanzer-Frage verfolgen. Der russische Krieg gegen die Ukraine wird die UN-Generaldebatte dominieren. Wie wird die deutsche Antwort auf die jüngsten Gräueltaten in Isjum lauten?

Doch nicht nur Scholz, auch US-Präsident Joe Biden wird von der Kampfpanzer-Frage verfolgt werden. Denn die USA liefern bisher ihre Abrams-Panzer ebenfalls nicht und auch keine Langstreckenraketen-Systeme. Scholz und Biden, das sind inzwischen so etwas wie Waffenbrüder. Schritt für Schritt, engstens abgestimmt, zusammen für die Ukraine und gegen Wladimir Putin. So zumindest sehen sie das gerne in Berlin. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die USA inzwischen mehr erwarten vom kleinen Bruder. Mehr Führung.

Ein Argument nach dem anderen bricht weg

Denn die Zeit drängt. Die kommenden Wochen vor dem Wintereinbruch gelten im Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland als entscheidend. Der Druck auf die USA, aber besonders auf Deutschland, ist in den vergangenen Wochen immer größer geworden. Im Osten Europas ist die Wut ohnehin schon länger riesig. "Berlins Zögern, die Untätigkeit, stellt den Wert des Bündnisses mit Deutschland ernsthaft infrage", sagte Polens Premier Mateusz Morawiecki dem "Spiegel".

Als wäre das nicht schon unangenehm genug, kam Berlin zuletzt ein Argument nach dem anderen abhanden, mit dem man bisher die Debatte zu bremsen versuchte. Zunächst kassierte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg das Berliner Argument, die Bundeswehr müsse weiterhin ihren Bündnisverpflichtungen nachkommen und könne nicht so viel abgeben. Mehr Waffen für die Ukraine, sagte Stoltenberg, seien ihm derzeit wichtiger als volle Depots der Nato-Staaten.

Dann machte die neue US-Botschafterin, Amy Gutmann, auch noch Druck auf Deutschland. Sie erwarte, dass die Bundesrepublik eine noch stärkere Führungsrolle übernehme, sagte sie im ZDF. So sehr sie die deutschen Bestrebungen begrüße und bewundere, "meine Erwartungen sind noch höher". Anschließend schrieb die US-Botschaft auf Twitter: "Die Entscheidung über die Art der Hilfen liegt letztlich bei jedem Land selbst."

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dass die US-Botschaft glaubt, es extra unterstreichen zu müssen, zeigt, wie genervt die US-Seite offenbar ist. Bloß keine Alleingänge, wie Scholz ständig betont? Das sehen sie in Washington offensichtlich anders. Das Kanzleramt solle den eigenen Unwillen nicht verstecken hinter einer angeblich ausstehenden Erlaubnis aus dem Weißen Haus, heißt es.

Die US-Regierung erwartet also deutsche Führung, offenbar auch kommunikativ. Niemand, auch nicht Joe Biden, hindert Olaf Scholz daran, sich für die gemeinsame Lieferung von Kampfpanzern einzusetzen.

"Nie gesagt, dass wir niemals Kampfpanzer liefern"

Im Kanzleramt gibt man sich dieser Tage trotzdem betont einig mit Waffenbruder Joe. Es gebe "weder Aufforderungen, noch Druck, noch Bitten aus dem Weißen Haus", Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, verlautbarte es vergangene Woche. Stattdessen gebe es Lob für die deutsche Unterstützung der Ukraine und die Hoffnung, dass es so weitergehe mit den Lieferungen. Und darauf könne man sich verlassen.

Im Berliner Kanzleramt hält man sich, wenn es um die Kampfpanzer geht, jetzt zumindest alle Optionen offen. In New York bei der UN-Generaldebatte sei zwar "keine starke Veränderung" des Kurses zu erwarten. "Aber auch der Bundeskanzler hat nie gesagt, dass wir niemals Kampfpanzer liefern", betonte jüngst ein Scholz-Getreuer.

Die Lieferung von Waffen sei eben ein "dynamischer Prozess", heißt es aus dem Kanzleramt. Zu Beginn des Krieges habe man ja auch andere Dinge geliefert als derzeit. Das sei "eine kontinuierliche Entwicklung, die lageangepasst ist". Andere Lage, andere Lieferungen, so muss man das verstehen.

Im Kanzleramt sehen sie natürlich ohnehin keinen zögernden Kanzler, sondern einen Mann der Zeitenwende mit einer "klaren Linie", die seit jeher auf drei Prinzipien beruhe: Man unterstütze, erstens, die Ukraine nach Kräften. Man halte, zweitens, Deutschland und die Nato aus dem Krieg heraus und werde, drittens, keine Alleingänge machen.

Das zweite Prinzip ist für Scholz besonders wichtig, daraus macht er gar keinen Hehl. "Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt", sagte Scholz einmal dem "Spiegel". Allerdings gebe es eben "kein Lehrbuch", in dem man nachlesen könne, wann "wir als Kriegspartei wahrgenommen werden".

Kampfpanzer hin, Kampfpanzer her.

Biden sieht noch keine echte Wende

Den amerikanischen Präsidenten verfolgen durchaus ähnliche Forderungen wie den Kanzler. Zahlreichen Oppositionspolitikern der Republikaner gehen die bisherigen milliardenschweren Hilfen der Biden-Administration nicht weit genug. Der Ukraine sollen demnach endlich erforderliche Langstreckenraketen, Panzer und selbst Flugzeuge geliefert werden.

"Die Ukraine braucht Kurzstreckenraketen, Panzer und Flugzeuge. Und viel mehr Artillerie", forderte etwa der republikanische Abgeordnete Adam Kinzinger. "Je schneller dies geschieht, desto eher endet der Krieg." Der republikanische Oppositionsführer im Senat, Mitch McConnell, sagte: "Die Ukrainer brauchen mehr Waffen, als wir ihnen derzeit geben. Sie brauchen neue Fähigkeiten wie ATACMS-Langstreckenraketen, große Drohnen und Panzer."

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Aber auch die US-Regierung zögert, und die Argumente ähneln denen in Berlin. Zumindest wenn es darum geht, keine weitere Eskalation mit Putin zu riskieren und einen Dritten Weltkrieg zu verhindern. Die größte Sorge scheint im Weißen Haus zu sein, der Kreml könnte westliches Kriegsgerät, mit dem russisches Territorium bedroht werden könnte, als aggressiven Akt der Nato ansehen.

Hinzu kommen praktische Einwände. Die US-Generalität soll immer wieder Sorgen um eine funktionierende Lieferkette für Ersatzteile und Reparaturen sowie fehlendes Training der ukrainischen Soldaten vorgetragen haben.

Doch die Amerikaner haben ihre Strategie zur Unterstützung im Laufe der Kriegsmonate ebenfalls immer wieder angepasst. Nicht ausgeschlossen, dass der nächste Schritt bevorsteht. Bislang aber will Biden nicht von einer echten Wende im Krieg sprechen. Sollte die ukrainische Armee jedoch auf breiter Front gegen die russischen Truppen vorgehen können, scheint auch in Washington klar zu sein: Die Soldaten bräuchten dann adäquaten Schutz. Heißt: Panzer.

Klar ist zudem: Die Militärhilfen der US-Regierung für die Ukraine sind mit Abstand die größten. Das Pentagon veröffentlichte vor wenigen Tagen, in welchem Umfang die USA bislang Material und Geld zur Verfügung gestellt haben: Laut Regierungsangaben ist das inzwischen ein Wert von rund 15,8 Milliarden US-Dollar. Joe Biden genehmigte erst vor wenigen Tagen eine erneute Unterstützung in Höhe von 600 Millionen US-Dollar. Scholz und Biden bleiben beim Volumen ungleiche Waffenbrüder.

Probelauf in Sachen Führung

In New York werden der Kanzler und der amerikanische Präsident bei den Vereinten Nationen aufeinandertreffen. Ein eigenes bilaterales Gespräch wird es zwar nicht geben. Zu einem Plausch am Rande wird es aber wohl mindestens kommen.

Doch die Zeit ist knapp. Anders als geplant wird Biden in diesem Jahr nicht zu Beginn der Generaldebatte am Dienstag sprechen, sondern erst am Mittwoch. Das Begräbnis der Queen am Montag ging vor.

So kommt es auch, dass erstmals ein deutscher Kanzler vor dem amerikanischen Präsidenten eine Rede an die Weltgemeinschaft halten wird, nämlich am Dienstagabend Ortszeit. Scholz wird also vorlegen müssen. Es wirkt wie ein unfreiwilliger Probelauf in Sachen Führung. Verstecken, so viel ist klar, kann er sich jedenfalls nicht mehr hinter Waffenbruder Joe.

Verwendete Quellen
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