Harris' symbolträchtiger Auftritt Und dann kam Joe Biden
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Vizepräsidentin präsentiert sich bei ihrer Rede in der US-Hauptstadt als Kandidatin der Vernunft und Mitte. Ihr Konkurrent Donald Trump setzt dagegen immer mehr auf ein Thema.
David Schafbuch berichtet aus Washington
Wahlkämpfe können auch über die Symbolik entschieden werden. Manchmal reicht ein Satz, eine Geste, vielleicht auch ein Ort aus, um die Kontraste zwischen Politikern besonders deutlich aufzuzeigen. Im US-Präsidentschaftswahlkampf, der noch deutlich mehr Unterhaltung und Bilderschlacht ist, als man es aus Deutschland kennt, gilt das noch mehr.
Bei dem Ort, den Kamala Harris für ihre Rede am Dienstag in Washington gewählt hat, ist die Symbolik offensichtlich: "The Ellipse", ein großer Park hinter dem Weißen Haus, ist nicht nur eine Wiese, die an den Amtssitz des US-Präsidenten grenzt. Es ist auch der Ort, an dem Donald Trump am 6. Januar 2021 mit seinen Worten seine Anhänger so sehr aufstachelte, dass viele von ihnen das Kapitol anschließend gewaltsam stürmten.
Harris' Botschaft an diesem Abend in Washington ist klar: Anders als Trump will sie nicht spalten, sondern das Land einen und als Präsidentin alle politischen Lager einbeziehen. Dafür versucht sie an diesem Abend, unterschiedlichen Wählergruppen ein Angebot zu machen.
Wie breit das Angebot von Harris sein soll, wird deutlich, noch bevor sie überhaupt die Bühne betreten hat: Das "Warm-up" für die Vizepräsidentin haben bei vorherigen Veranstaltungen häufig bekannte Schauspieler oder Musiker wie Samuel L. Jackson, Beyoncé oder Bruce Springsteen übernommen. In Washington sprechen sich dagegen amerikanische Durchschnittsbürger für Harris aus.
Feindesliste vs. To-do-Liste
So berichtet ein Ehepaar etwa, dass es während der Schwangerschaft der Frau zu schweren Komplikationen kam und eine Abtreibung nötig wurde. Aufgrund der strengen Abtreibungsrechte in Texas wäre die Frau allerdings beinahe gestorben. Harris möchte, dass wieder ein bundesweites Abtreibungsrecht eingeführt wird. Ein Unternehmer aus Atlanta erläutert, warum Harris mehr für die Wirtschaft tun wird als Trump. Die Vizepräsidentin wirft Trump immer wieder vor, nur die wohlhabendsten Amerikaner steuerlich entlasten zu wollen.
Ähnlich klingt es auch bei einem Ehepaar aus Pennsylvania, das gemeinsam eine Farm betreibt. Die beiden erzählen, wie sie ihr ganzes Leben die Republikaner gewählt haben, aber diesmal für Harris und die Demokraten stimmen wollen. Denn Trump kümmere sich nicht um die hart arbeitenden Menschen in dem Land.
Zu Beginn ihrer eigenen Rede erläutert die 60-Jährige dann zunächst, wofür Donald Trump im Gegensatz zu ihr stehe: Der Ex-Präsident habe eine "Feindesliste", die er im Weißen Haus gerne abarbeiten wolle. Er sei jemand, "der instabil ist, besessen von Rache, verzehrt von Groll und auf unkontrollierte Macht aus". Harris dagegen habe im Falle eines Wahlsieges eine "To-do-Liste".
"Möchtegerndiktator"
Die Aussagen von Trumps Ex-Mitarbeiter John Kelly, der 78-Jährige entspreche "der allgemeinen Definition von Faschisten", greift Harris an diesem Abend nicht auf. Stattdessen nennt sie ihn einen "kleinen Tyrannen" oder "Möchtegerndiktator".
Was auf der Aufgabenliste von Harris alles draufsteht? Unter anderem verspricht sie schärfere Regelungen an den US-Außengrenzen. Dabei weist sie abermals darauf hin, dass die Maßnahmen nur deshalb bisher nicht in Kraft getreten sind, weil die Republikaner sie im Kongress blockiert haben. Gleichzeitig betont sie, dass sie sich für Wege einsetzen will, die hart arbeitenden Einwanderern die US-amerikanische Staatsbürgerschaft ermöglichen sollen. Denn schließlich seien die USA "eine Nation von Einwanderern".
Trump hingegen hatte in den vergangenen Tagen bei seinen Auftritten besonders viel Zeit damit verbracht, bei diesem Thema Härte zu zeigen: Unter anderem fordert er immer wieder die Todesstrafe für jeden Migranten, der amerikanische Bürger oder Polizisten ermordet. Es sei sein wichtigstes Thema im Wahlkampf, hatte er zuletzt auf mehreren Veranstaltungen betont. Später am Tag sprach er bei einem Auftritt im Swing State Pennsylvania davon, die USA seien durch die Einwanderung zu einem "Mülleimer" geworden.
"Champion für Freiheit"
Die weiteren Forderungen von Harris sind, genau wie ihre Ziele in der Migration, nichts Neues: Als Präsidentin will sie innenpolitisch für erschwinglichen Wohnraum sorgen, die Mittelschicht steuerlich entlasten, die Sozialpflege und die medizinische Versorgung weiter ausbauen. Außenpolitisch verspricht sie, dass die USA die stärkste Armee der Welt stellen und mit ihren internationalen Partnerländern weiter eng zusammenarbeiten werden. Die USA nennt Harris dabei einen "Champion für Freiheit auf der ganzen Welt".
Dabei gelte immer der Grundsatz: Als Präsidentin wolle sie über die politischen Lager hinweg für alle da sein. "Ich verspreche, eine Präsidentin für alle Amerikaner zu sein und das Land immer über die Partei und mich selbst zu stellen", ruft die 60-Jährige den Besuchern zu, die auch außerhalb der umzäunten "Ellipse" die Rede verfolgen.
Das Publikum im ohnehin sehr liberalen Washington hat Harris zu jedem Zeitpunkt auf ihrer Seite. Laut Veranstalter sollen es 75.000 Zuschauer gewesen sein – und damit mehr als dreimal so viele wie auf Trumps Veranstaltung im New Yorker Madison Square Garden.
Biden sorgt für Aufsehen
Getrübt wird das Versprechen, eine Präsidentin für alle Amerikaner sein zu wollen, dann ausgerechnet von jemandem, der bei der Rede nicht anwesend ist, aber nur wenige Meter entfernt im Weißen Haus sitzt: Präsident Joe Biden hatte zuvor in einem Video angedeutet, die Unterstützer von Trump seien "Müll". Bezug nahm Biden dabei auf eine Äußerung eines Redners auf Trumps Wahlkampfveranstaltung in New York: Ein Komiker hatte am Sonntag Puerto Rico als "schwimmende Müll-Insel" bezeichnet.
Biden hatte dazu gesagt, dass der einzige Müll, den er sehe, im Trump-Lager zu verorten sei. Unklar ist allerdings, ob er in seinen Aussagen direkt die Trump-Unterstützer oder nur dessen Aussagen als Müll bezeichnet hatte: Im Transkript des Weißen Hauses heißt es, Biden habe lediglich die Aussagen der Fans des Ex-Präsidenten kritisiert. Er habe nicht die Trump-Anhänger, sondern nur deren "hasserfüllte Rhetorik" mit seinen Worten kritisiert, teilte Biden zudem am Abend auf der Plattform X mit.
"Müll ist schlimmer"
Die Korrektur spielt in den Reden von Trump und seinem Vizekandidaten J. D. Vance am Abend dann keine Rolle: Vance nannte die Äußerungen von Biden "ekelhaft". Trump nannte sie "schrecklich" und zog Parallelen zu Hillary Clinton: Die hatte im Wahlkampf 2016 davon gesprochen, dass die Hälfte der Trump-Wähler "bedauernswerte Personen" seien. "Müll ist schlimmer, denke ich, oder?", sagte Trump.
Auf der Bühne in Washington wird das Thema Puerto Rico an diesem Abend nicht aufgegriffen. Die US-Insel kommt nur zur Sprache, als das Lied "Let's get loud" von Jennifer Lopez ertönt. Die Eltern der Sängerin stammen von dort und waren einst nach New York gezogen. Das Publikum begrüßt den Song mit lautem Jubel. Er wird an diesem Abend gleich zweimal abgespielt.
- Eigene Recherche und Beobachtungen
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- whitehouse.gov: "Remarks by President Biden on a Call with Voto Latino" (englisch)