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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Barack Obama im Wahlkampf Schadet er den Demokraten?
Barack Obama, der beliebteste Demokrat, spielt eine entscheidende Rolle im Wahlkampf von Kamala Harris. Er mobilisiert Wähler und erhöht damit ihre Chancen. Doch das Engagement des früheren US-Präsidenten hat auch eine Kehrseite.
Bastian Brauns berichtet aus Philadelphia
Wer in diesen Tagen auf die USA blickt, erkennt schnell, weshalb in diesem Wahlkampf so viel Geld benötigt wird wie in keiner anderen Demokratie auf der Welt. Donald Trump mietete am Sonntag den berühmten New Yorker Madison Square Garden an, um mehr als 20.000 Anhänger mit einer gigantischen Show zu bespaßen. Der Wahlkampfzirkus von Kamala Harris hingegen füllte am Montag eine große Universitäts-Halle in Philadelphia im Swing State Pennsylvania.
Gekommen waren nicht nur die Musikstars Bruce Springsteen und John Legend, sondern vor allem der wohl prominenteste Demokrat, der frühere US-Präsident Barack Obama. Der aufwendige Wahlkampfauftritt in Philadelphia ist kein Zufall. Als historisches Zentrum der amerikanischen Unabhängigkeit ist der Ort nicht nur symbolträchtig, sondern zugleich auch ein wichtiger Wahlbezirk. Pennsylvania gilt seit Langem als Schlüsselstaat für die Präsidentschaftswahl.
Obamas Anwesenheit ist also von hoher strategischer Relevanz für die Demokraten und zeugt von einer Dringlichkeit. Erste Zahlen der sogenannten "early votes", also des "Früh-Wählens" vor dem Hauptwahltag am 5. November, zeigen, dass bislang deutlich mehr Republikaner als Demokraten ihre Stimme abgegeben haben. Kamala Harris' Wahlkampf konnte die eigenen Wähler zumindest bislang nicht vergleichbar aktivieren.
Die Stimmen der Arbeiter, aber auch der akademischen Bevölkerung und insbesondere der jungen Erstwähler sind für die Demokraten essenziell, um sich die insgesamt 19 Wahlmännerstimmen in Pennsylvania zu sichern. Kamala Harris war darum tags zuvor bereits hier gewesen, hatte unter anderem eine Kirche und einen Barbershop besucht.
Obamas Aufruf an Männer
Obamas Rede war ein Appell insbesondere an männliche Wähler, die laut Umfragen wohl noch unentschlossen sind. Er ging ein auf eine "falsche Vorstellung von Stärke", die viele Männer in Donald Trump sähen, und warnte vor einer weiteren Amtszeit Trumps, weil der sich allzu oft über demokratische Werte hinwegsetze und "nur an sich und die Reichen" denke. "Echte Stärke bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und ehrlich zu sein, auch wenn es unbequem ist", sagte Obama. Echte Stärke bedeute, andere mit Würde zu behandeln.
Trump verkaufe insbesondere Männern "eine falsche Macho-Art". Im selben Atemzug beleidige Trump amerikanische Veteranen, also Männer, die ihr Leben als Soldaten aufs Spiel gesetzt haben. Obama bezog sich damit auf eine Aussage von Trump, wonach Veteranen "Verlierer und Versager" seien.
Dann hinterfragte Obama ausgerechnet Trumps Männlichkeit, indem er fragte: "Glaubt ihr, dass Donald Trump jemals einen Autoreifen selbst gewechselt hat?" Trump würde in so einem Fall, anders als der demokratische Vize-Kandidat Tim Walz, seinen Chauffeur anrufen. Obama rief: "Echte Stärke bedeutet, Menschen zu helfen, die Hilfe brauchen, und sich für die einzusetzen, die sich nicht immer selbst behaupten können."
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Aber das Thema, das die Menschen in Philadelphia bewegt, ist so wie überall im Land. Das weiß auch Obama. Es geht ihnen um die in den vergangenen Jahren extrem gestiegenen Lebenshaltungskosten. Der frühere Präsident versuchte zu erklären, dass die von Trump ohnehin schlecht bekämpfte Covid-19-Pandemie zu der hohen Inflation geführt hat und sich die Wirtschaft von dieser Situation lange erholen musste. Die Donald Trump zugeschriebene Wirtschaftskompetenz stellt ein großes Problem für die Demokraten dar.
"Ihr wisst gar nicht, wie oft ich das jetzt im Wahlkampf von Leuten gehört habe", sagte Obama. Insbesondere Männer wollten Donald Trump wählen, weil dieser ihnen während der Pandemie einen Scheck zur finanziellen Unterstützung geschickt habe. "Erstens kamen diese Schecks in Wahrheit vom Kongress, der diese Hilfsgelder bewilligt hat", sagte Obama. Und zweitens habe auch Joe Biden solche sogenannten "stimulus checks" verschickt.
Frauenrechte in Gefahr
In Philadelphia betonten Barack Obama, aber auch der Musiker John Legend, zudem die Bedeutung des Schutzes von Frauenrechten, insbesondere des Rechts auf Abtreibung, als zentrales Thema dieser Wahl. Obama rief das Publikum dazu auf, über Kandidaten nachzudenken, die Frauenrechte respektieren und verteidigen. Aber auch John Legend betonte, dass mit Donald Trump "diese Freiheit auf dem Spiel steht" und verwies auf bereits immer weiter zunehmende Einschränkungen der reproduktiven Rechte in vielen US-Bundesstaaten.
Für den Sänger ist das Thema Abtreibung ein sehr persönliches. Legend und seine Frau Chrissy Teigen teilten der Öffentlichkeit einst mit, dass sie ihren Sohn Jack in ungefähr der 20. Schwangerschaftswoche aufgrund einer komplizierten Schwangerschaft verloren hatten. Diese hatte sowohl Teigen als auch ihr ungeborenes Kind in Gefahr gebracht. Das Paar sprach zunächst von einer Fehlgeburt, enthüllte aber 2022, dass es sich tatsächlich um eine Abtreibung handelte, die notwendig war, um das Leben von Chrissy Teigen zu retten, da das Baby keine Überlebenschance hatte.
Es war ein Erlebnis, das ihre persönliche Sicht auf das Thema Abtreibung veränderte. Während ihr Mann auf der Bühne in Philadelphia an einem Konzertflügel spielte, sprach Chrissy Teigen mit t-online über ihren Kampf für Frauenrechte.
"Abtreibung ist das wichtigste Thema für mich, weil es für mich und meine Familie eine große Bedeutung hat", sagte Teigen. Oft, wenn sie öffentlich über reproduktive Gesundheitsversorgung spreche, dann würden Leute fragen, warum ihr das als einziges Thema so wichtig sei. "Es ist nicht das Einzige, was mir wichtig ist, aber es ist das, womit ich wirklich vertraut bin", sagte sie. "Ich war in der Position, entscheiden zu müssen, ob mein eigenes Leben oder der gesundheitliche Schutz meines Babys wertvoller sind", so Teigen. Sie habe dieses Baby unbedingt bekommen wollen, aber sie und ihre Ärzte hätten eine Entscheidung treffen müssen. "Ich will in keiner Welt leben, in der die Regierung diese Entscheidung für mich trifft", sagte Teigen.
Auch Bruce Springsteen, der wenig später auf der Bühne in Philadelphia stand und der in seinen Liedern viel von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit singt, teilt diese Botschaft: Wer Kamala Harris unterstützt, der bekommt eine Präsidentin, die für eine Politik stehe, die das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung schützt.
Bruce Springsteen untermalte seine politischen Ansagen an diesem Abend mit einer musikalischen Hommage an die amerikanischen Ideale. Mit seinen Songs "The Promised Land," "Land of Hope and Dreams" und "Dancing in the Dark" appellierte der Rockmusiker an das Gemeinschaftsgefühl und das Wertebewusstsein der Amerikaner. Wie schon John Legend und auch später Barack Obama hob der Sänger die Bedeutung hervor, eine Regierung zu haben, die auf ihr eigenes Volk hört und die demokratischen Prinzipien verteidigt. "Donald Trump möchte ein amerikanischer Tyrann werden," sagte Springsteen hingegen über den Kandidaten der Republikaner.
Obama als größter Harris-Verstärker
Der Obama-Abend von Philadelphia brachte die Arena zum Kochen. Und es zeigte sich, dass das auch ohne menschliche Herabwürdigungen geht. Insbesondere zeigte Obama einmal mehr, dass er wohl das Beste ist, was die Demokraten rhetorisch zu bieten haben. Seine Rede von Philadelphia wirkte wie ein Gegengewicht zum zynischen Tonfall Trumps, der am Tag zuvor im vollen Madison Square Garden in New York City aufgetreten war. Trump hatte sich dort mit Prominenten wie Elon Musk oder Hulk Hogan umgeben, die seine aggressive Rhetorik noch unterstützten. (Mehr dazu lesen Sie hier)
Mit Barack und auch mit Michelle Obama an ihrer Seite erhält Kamala Harris damit zweifellos einen starken Schub für den wichtigen Schlussspurt ihrer Kampagne. Barack Obamas rhetorisches Talent und seine anhaltende Beliebtheit verleihen auch Harris mehr Glaubwürdigkeit. Und das, obwohl er im Grunde die gleichen Botschaften mitbringt wie Harris selbst. Aber indem er sie ausspricht, schafft er es womöglich, erneut jene Wähler anzusprechen, die ihm zu seiner Zeit einen Sieg in wichtigen Bundesstaaten wie Pennsylvania einbrachten.
Die Botschaften der Obamas verstärken die Botschaften von Harris' Wahlkampf und motivieren wichtige Wählergruppen, insbesondere die jüngeren Wähler. Als der frühere Präsident mit seiner Rede fertig ist, kann er sich vor Autogramm- und Selfiewünschen kaum retten. Seine Runde durch die Halle dreht er trotzdem. Er weiß, wie motivierend das auch für die vielen freiwilligen Helfer ist.
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Beliebtheit, die eine Schwachstelle offenlegt
Dieser Einfluss hat aber auch eine Kehrseite: Während Kamala Harris von der Präsenz und dem Erbe der Obamas profitiert, macht die Unterstützung gleichzeitig deutlich, wie herausfordernd es für Harris ist, selbst Begeisterung zu entfachen. Besonders Michelle Obama, die viele als äußerst beliebte Figur sehen, erinnert die Demokraten an den Wunsch, sie als Spitzenkandidatin zu erleben. Im Vergleich mit Barack Obama zeigt sich, wie schwer es für Harris ist, ein eigenes sogenanntes Momentum zu schaffen.
Obama ist damit quasi das Beste und zugleich das Schlechteste, was Kamala Harris passieren kann. Was bei Obama der Spruch "Yes, we can" ("Ja, wir können es") war, ist bei Harris nicht im gleichen Ausmaß vorhanden. Ihr Slogan "We're not going back" (Wir gehen nicht zurück") entfacht in den USA bislang längst nicht die gleiche Wirkung wie damals Obama. Ob das in den kommenden Tagen noch gelingen kann, ist fraglich.
An diesem Dienstagabend will Kamala Harris bereits eine große, symbolisch aufgeladene Abschlusskundgebung in der Hauptstadt Washington halten. Mit einer Rede an der Ellipse auf der National Mall im Herzen der Stadt will Kamala Harris ein letztes Zeichen setzen. Denn genau dort hatte Donald Trump am 6. Januar 2021 seine letzte Rede als Präsident gehalten. Danach stürmte sein Mob das Kapitol, um die Bestätigungswahl von Joe Biden im Kongress zu verhindern.
- Eigene Beobachtungen und Recherchen vor Ort