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Joe Biden: Rückzug kaum noch aufzuhalten | US-Wahl


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Diskussionen über Biden
Jetzt droht der Kontrollverlust


Aktualisiert am 04.07.2024Lesedauer: 7 Min.
Ungewisse Zukunft: Joe Biden verliert allmählich die Kontrolle über die negative Berichterstattung.Vergrößern des Bildes
Ungewisse Zukunft: Joe Biden verliert allmählich die Kontrolle über die negative Berichterstattung. (Quelle: Kevin Dietsch/Getty)

Soll Joe Biden als Kandidat zurücktreten? Diese Frage wird in seiner Partei immer hitziger diskutiert. Für den Präsidenten ist es kaum noch möglich, die Zweifel zu zerstreuen.

Bastian Brauns berichtet aus Atlanta und Washington

Noch keine Woche ist vergangen, seit Joe Biden im CNN-Studio von Atlanta die wohl schlimmste Demütigung seines politischen Lebens erfahren hat. In Amerika, so scheint es, gibt es seither kaum noch ein anderes Thema als den greisenhaften Auftritt des Präsidenten bei der Fernsehdebatte gegen Donald Trump. Die Rufe nach seinem Rücktritt werden seither immer lauter. Bei den Demokraten herrscht Krisenstimmung.

Sogar der Präsident selbst denkt offenbar darüber nach, seine Kandidatur abzublasen. Zumindest beruft sich die "New York Times" auf einen nicht genannten, engen Vertrauten Joe Bidens. Demnach will Biden es von seinen kommenden Auftritten abhängig machen, ob es ihm gelingt, die öffentliche Stimmung umzudrehen. Mit den Worten "Diese Behauptung ist absolut falsch", dementierte allerdings ein Sprecher des Weißen Hauses die Berichterstattung der "New York Times". Das Chaos scheint komplett. Dem Präsidenten und seinem Team scheint die Kontrolle über die Berichterstattung zunehmend zu entgleiten.

Doch es gibt einen Ort, an dem scheint alles anders zu sein. Nur ein paar Kilometer entfernt vom Ort der TV-Schmach Joe Bidens vom vergangenen Donnerstag steht in Atlanta eine Kirche. Joe Biden ist hier noch immer ein Held. Denn er verkörpert für viele den Kampf für eine bessere Zukunft. "Ich denke, es ist extrem unfair, ihn wegen solcher Äußerlichkeiten zu kritisieren", sagt Priscilla Coggs-Jones. Die Debatte habe sie nicht mal gesehen, sondern nur die Berichterstattung darüber gelesen. "Joe Biden hat so viel für uns erreicht. Darauf kommt es an, auf seine Politik", sagt sie.

Eine hoch politisierte Gemeinde

Priscilla Coggs-Jones steht nicht vor irgendeiner Kirche. Es ist die Ebenezer Baptist Church, in der einst der später ermordete schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. gepredigt hat – wie schon sein Vater vor ihm. Vor fünfzig Jahren spielte hier seine Mutter Alberta Williams King an der Orgel und wurde wie ihr Sohn wenige Jahre zuvor unerwartet und hinterhältig von einem religiösen Fanatiker erschossen.

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Die tragische Geschichte der Familie King ist an diesem Ort bis heute lebendig. In dem Gottesdienst eines Kirchenneubaus, gleich neben der historischen Ebenezer Church, sind gerade Kings Nachfahren zu Gast und gedenken ihrer ermordeten Familienmitglieder. Die überwiegend schwarze Gemeinde weiß, was sie Martin Luther King Jr. zu verdanken hat. Und sie weiß, dass es im heutigen Amerika noch immer ein weiter Weg ist, bis der Rassismus im Land ein Ende hat. Glauben heißt hier Politik machen.

Selbst der Pastor ist kein normaler Pastor, sondern zugleich einer der wenigen gewählten schwarzen US-Senatoren. Und Raphael Warnock war in der Nacht von Joe Bidens Niederlage einer der wenigen hochrangigen Demokraten, die den Präsidenten im "Spin Room" von CNN nach der Debatte vor Ort verteidigten. Jetzt steht der 54-jährige Warnock vor dem Altar. Halb redend, halb singend trägt er vor: "Am vergangenen Donnerstag habe ich einen verwirrten Mann erlebt."

Die Menschen in den Kirchenbänken lachen laut, denn ihr Pastor und Senator spricht nicht von Joe Biden, sondern von Donald Trump. Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner hatte während der Debatte davon gesprochen, dass die ins Land strömenden, illegalen Migranten die "black jobs" gefährdeten. Viele schwarze Amerikaner haben das als rassistischen Affront verstanden.

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Denn worauf Trump eigentlich anspielte, waren Niedriglohnjobs, die er aber als "Schwarzen-Jobs" bezeichnete. Warnock blickt in die Runde und fragt: "Haben die hier anwesenden CEOs, Ärzte und Anwälte noch ihre Jobs?" Und: "Was ist ein 'Schwarzen-Job'? Meinte er vielleicht den Job eines schwarzen Senators in Washington?" Die Menge im Kirchensaal jubelt. Hier gilt Trump als der verwirrte, alte Mann. Joe Biden hingegen als der Heilsbringer, den man selbstverständlich unterstützt, egal, wie viele Aussetzer er hat.

Die Angst vor dem Mandatsverlust

Doch der Großteil Amerikas tickt eben anders als eine schwarze Baptisten-Kirche, in der einst ein berühmter Bürgerrechtler gepredigt hat. Die politische Lage wird für Joe Biden mit jedem Tag prekärer. Denn längst ist nicht mehr nur sein eigener Wahlsieg gefährdet, sondern auch der von Hunderten Kandidaten, die in den Bundesstaaten um ihre Posten fürchten. Senatoren, Kongressabgeordnete und Gouverneure begehren auf. Insbesondere dort, wo keine extremen Trumpisten auf dem Wahlzettel stehen, sondern gemäßigte Republikaner, fürchten Demokraten in Bidens Abwärtssog zu geraten.

Es geht nicht mehr nur um das Weiße Haus oder um die Angst vor Donald Trump. Für viele geht es plötzlich um das eigene politische Überleben bei den Wahlen im Herbst. Viele Demokraten haben Angst um ihre Mandate. Und sie erwarten Antworten von Joe Biden, seinem Wahlkampfteam und vom Weißen Haus.

Als erster hochrangiger Demokrat wagte sich der Kongressabgeordnete Lloyd Doggett aus Texas aus der Deckung. Er hoffe, dass Biden "die schmerzhafte und schwierige Entscheidung" treffen werde, aus dem Rennen "auszusteigen", schrieb Doggett am Dienstag dieser Woche. Dazu fordere er ihn "respektvoll" auf. Präsident Biden habe die Demokratie Amerikas mit seinem Wahlsieg im Jahr 2020 gerettet. "Er darf uns 2024 nicht an Trump ausliefern", so Doggett.

Sogar Nancy Pelosi scheint nicht mehr uneingeschränkt hinter Joe Biden zu stehen. Zwar fordert die einst langjährige Sprecherin des Repräsentantenhauses und damit eine der mächtigsten Persönlichkeiten der Demokraten den Präsidenten bislang nicht zum Aussteigen auf. In einem Fernsehinterview bei MSNBC sagte sie aber: "Es ist eine legitime Frage, ob es sich um eine Episode oder um eine Erkrankung handelt." Eine Äußerung zu Bidens Gesundheitszustand, die natürlich nicht zufällig, sondern bewusst gewählt ist.

Auch von Barack Obama, dessen Vizepräsident Joe Biden einst war, ist inzwischen zu hören, dass er befürchtet, es könnte tatsächlich eng für den Präsidenten werden. Diese Äußerung soll zwar laut "Washington Post" nur im privaten Rahmen gefallen sein. Dass sie aber an die Öffentlichkeit gelangt, zeugt vom Panik-Modus bei den Demokraten.

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Krisenstimmung setzt Weißes Haus unter Druck

Hinzu kommen die offenbar alarmierten demokratischen Gouverneure, also die Regierungschefs der Bundesstaaten. Niemand von ihnen lässt sich direkt zitieren. Aber in den amerikanischen Medien kursieren viele Zitate, die angeblich unter der Hand gefallen sein sollen.

So soll etwa die ebenfalls als Biden-Nachfolgerin gehandelte Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, gesagt haben, dass ihr Bundesstaat für die Demokraten nun nicht mehr zu gewinnen sei. Aus einer Krisen-Telefonkonferenz der Gouverneure drangen dann weitere Irritationen. Man sei erstaunt, dass man seit dem Debatten-Auftritt nicht von Joe Biden oder vom Weißen Haus direkt kontaktiert worden sei, heißt es.

Das Weiße Haus reagierte erst nach dieser Berichterstattung. Schnell wurde außerplanmäßig eine Video-Konferenz anberaumt und im Kalender des Präsidenten ergänzt. Joe Biden will sich jetzt den drängenden Fragen der Gouverneure stellen. Um 18.30 Uhr Ortszeit muss der Präsident um seine politische Zukunft kämpfen.

Nach dem Treffen gaben sich die anwesenden Gouverneure vor Reportern in Washington betont zuversichtlich. Biden sei darauf fokussiert, zu gewinnen, sagte die Gouverneurin von New York, Kathy Hochul. Der Präsident und seine Vize-Präsidentin seien "voller Energie" gewesen, was für "Optimismus" gesorgt hätte, sagte Wes Moore, der Gouverneur aus dem Bundesstaat Maryland. Klar sei aber auch gewesen, dass man "im Rennen zurückliege" und, dass jetzt "viel Arbeit" vor den Demokraten liege, so Moore.

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Doch die Umfragen sind nicht auf Joe Bidens Seite. Laut einer Befragung des Fernsehsenders CNN hat ausgerechnet seine bislang nicht gerade glänzende Vizepräsidentin Kamala Harris inzwischen bessere Chancen gegen Donald Trump als der Präsident selbst. Während Joe Biden nur auf 43 Prozent Zustimmung (gegenüber 49 Prozent für Donald Trump) kommt, schiebt sich Kamala Harris auf immerhin 45 Prozent vor. Bei den unentschiedenen Wählerinnern und Wählerin hat Harris inzwischen sogar einen Abstand von 8 Prozentpunkten auf Joe Biden.

Als Krönung der schlechten Nachrichten für Joe Biden konnte das Informationsportal "Puck News" dann noch eine durchgesickerte interne Umfrage der Demokraten präsentieren. Demnach ist die Zustimmung für den Präsidenten im Anschluss an die verpatzte Debatte insbesondere in wichtigen Bundesstaaten wie Pennsylvania oder Michigan um teils mehr als zwei Prozentpunkte eingebrochen. Gerade in den Swing States (Schlüsselstaaten) können bereits solche vermeintlich kleinen Ausschläge über Sieg und Niederlage entscheiden.

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Beschwichtigungen für die Medien

Das Team des Präsidenten gibt sich währenddessen weiterhin betont gelassen. Bidens Pressesprecherin Karine Jean-Pierre versichert im Briefing Room des Weißen Hauses derzeit täglich, dass die Agenda und der Erfolg von Joe Biden für sich sprächen. Die Medien könnten unbesorgt sein, man würde den Präsidenten auch weiterhin so oft es geht öffentlich "präsentieren", damit man sich ein Bild von ihm machen könne.

Tatsächlich gibt Joe Biden so wenige Pressekonferenzen wie wohl kaum ein Präsident vor ihm. Fragen lässt er nach seinen Statements meist nicht zu. Wenn doch, muss das Weiße Haus im Nachgang oft einiges richtigstellen.

Auch den amerikanischen Medien gibt Biden so gut wie keine Interviews. Die "New York Times" oder die "Washington Post" warten bis heute auf diese Möglichkeit. Auch beim amerikanischen Superbowl, dem Finale der Football-Meisterschaft, kniff der Präsident und verweigerte das obligatorische Interview zur besten Sendezeit, bei dem so viele Amerikaner wie sonst nie zugesehen hätten.

Weil die Lage so dramatisch ist, hat man sich nun entschieden, im Fernsehsender ABC ein Interview zu geben. Ausschnitte davon sollen an diesem Freitag zu sehen sein. Einmal mehr wird es aber kein Live-Interview sein. Wohl aus gutem Grund. Die Schadensbegrenzung auf politischer Ebene läuft derweil auf Hochtouren. Joe Biden sprach bereits mit dem Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer. Auch mit dem Minderheitsführer der Demokraten im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, liefen schon Unterredungen.

Das Wahlkampfteam von Joe Biden scheint nach wie vor davon überzeugt zu sein, dass die Umfragen nach dem Fernsehdebakel nur eine Momentaufnahme sind. Es vertraut offenbar nach wie vor auf die Kraft der demokratischen Anhänger, die sich am Ende für Joe Biden entscheiden. Genau wie in der Kirche von Atlanta, wo Donald Trump den Gläubigen als der Antichrist und Joe Biden als der Erlöser gilt.

Ob dieser Glaube ausreicht, um die Berichterstattung und die Dynamik in der eigenen Partei noch zu kontrollieren, werden die kommenden Tage zeigen. Es sah noch nie so schlecht aus für Joe Biden.

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