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Warnung von Expertin: "Donald Trump wünscht sich persönliche Schutztruppe"


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Drohende Diktatur in den USA
"Dann wird es unvorstellbare Veränderungen geben"

  • Bastian Brauns
InterviewVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 06.01.2024Lesedauer: 7 Min.
imago images 0203085358Vergrößern des Bildes
Bewaffnete Rechtsextreme bei einer Veranstaltung im US-Bundesstaat Arizona. (Quelle: IMAGO/Christopher Brown)

Die Extremismusforscherin Megan Squire gilt als Frühwarnsystem und Jägerin der rechtsextremen Proud Boys in Amerika. Im Wahljahr sieht sie am Jahrestag des Aufstands vom 6. Januar neue Gefahren.

Die Informatik-Professorin Megan Squire warnte jahrelang vor der Mobilisierung der Proud Boys und deren Gewaltbereitschaft. Seit dem Sturm auf das US-Kapitol gilt sie als unentbehrlicher Seismograf für die Beben am äußersten rechten Rand Amerikas. Zum Jahrestag der Ereignisse vom 6. Januar hat t-online mit ihr über neue Gefahren gesprochen, die im entscheidenden Präsidentschaftswahljahr auf die USA zukommen.

t-online: Frau Squire, am 6. Januar 2021 stürmte ein teils bewaffneter Mob, angestachelt von Donald Trump, das US-Kapitol, um die Wahl Joe Bidens zu verhindern. Die sogenannten "Proud Boys", eine rechtsextreme Gruppierung, spielten dabei eine große Rolle. Viel früher als andere wussten Sie damals schon, welche Gefahr da heraufzieht. Warum?

Megan Squire: Als Hochschulprofessorin habe ich viele Jahre lang Informatik unterrichtet. Mein Hauptforschungsgebiet waren die Dynamiken von Online-Communitys. Da ging es nicht um politische Gruppen, sondern um Softwareentwickler. Aber zwischen 2015 und 2016 fiel mir auf, dass die Rhetorik und der Aktivismus bei der extremen Rechten auf vielen verschiedenen Online-Plattformen immer heftiger wurden. Kurz vor der Wahl 2016 wurde es noch schlimmer. 2017, mit Donald Trump im Weißen Haus, brach im Internet ein totaler Kulturkampf los. Viele rechtsextreme Gruppen und Akteure riefen offen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten auf und planten öffentlich alle möglichen Taten.

Und das haben Sie statistisch ausgewertet.

Genau, ich habe meine Techniken des Data-Minings auf dieses Problem angewandt und begann den Aufstieg der Proud Boys zu beobachten. Es ging darum, ihre Mitgliederstruktur und ihre Planungen zu dokumentieren. In einer großen Finanzstudie habe ich untersucht, wie sie beispielsweise mit Livestreaming neue Online-Technologien nutzen, um ganz real Geld zu verdienen, um ihre Störaktionen zu finanzieren. Als der 6. Januar kam, war ich mitten in dieser Arbeit und war in der Lage zu erklären, wie es dazu kommen konnte, und wer diese Leute sind, von denen zuvor kaum einer gehört hatte.

Inwiefern wirkte Donald Trump auf diese gewaltbereiten Rechtsextremisten ein?

Nur ein Beispiel von vielen: Als Trump schon vor dem 6. Januar jenen berüchtigten Tweet absetzte, setzte das viele rechtsextreme Gruppierungen buchstäblich unter Strom. "Großer Protest in D.C. am 6. Januar. Seid dabei, es wird wild!", schrieb er und war sich über die Wirkung sehr wohl im Klaren. Ich hatte damals einen Video-Livestreaming-Kanal der Proud Boys beobachtet, in dem sie Trumps Aufforderung diskutierten. Den ganzen Abend über sah ich, wie sie so innerhalb kürzester Zeit Spenden einsammeln konnten. Diese Typen waren extrem angespornt von Trumps Rhetorik. Das hat ihre Planungen und die Spendenbeschaffung beflügelt und zum 6. Januar geführt.

Es gab noch einen zweiten berühmten Satz von Trump, der sich sogar explizit an die Proud Boys richtetet. Er lautete: "Haltet euch zurück, aber steht bereit!"

Ja, das war im September vor den Wahlen bei einer TV-Debatte. Ein großer Moment für die Proud Boys. Denn kaum jemand kannte sie zu diesem Zeitpunkt. Ich bekam damals zig Medienanfragen. Alle wollten wissen, wen Trump da gemeint hatte und was das zu bedeuten hat. Trump bekam damals extrem viel öffentliche Kritik für diese Aussage. Wer weiß, vielleicht hat ihn gerade das angespornt, so weiterzumachen.

Bisweilen wirkt es, als würde Trump die Mitglieder der Proud Boys und anderer Gruppierungen als eine Art inoffizielle paramilitärische Leibgarde betrachten. Passt das zu den vielfach geäußerten Sorgen, Trump könnte die USA in eine Diktatur verwandeln?

So ist es. Trump hat definitiv einen autoritären Impuls. Er hat bemerkt, dass es da so eine Gruppe von Leuten gibt, die ihn lieben und verehren. Die sogar bereit wären, für ihn auf der Straße kämpfen. Für Trump muss das gigantisch gewesen sein. Immerhin ist das eine Treue, die er sich von der Armee immer gewünscht hat. Während der Trump-Jahre war auffällig, wie gerne er sich auch mit Biker-Gruppen traf. Trump wünscht sich so eine persönliche Schutztruppe. Dieser autoritäre Impuls hat bei ihm nicht nachgelassen. Im Gegenteil, seine Rhetorik ist noch extremer geworden und der Wahlkampf hat gerade erst begonnen.

(Quelle: privat)

Megan Squire hat als Professorin für Informatik an der Elon University in North Carolina gelehrt. Die Forscherin ist Stipendiatin der Anti-Defamation League mit Schwerpunkt auf rechtsgerichteten politischen Extremismus im Internet. Seit 2022 ist sie die stellvertretende Direktorin für Datenanalyse und Open Source Intelligence (OSINT) am Southern Poverty Law Center, einer gemeinnützigen US-Organisation, die sich unter anderem für Rassismusbekämpfung engagiert.

Es gibt Stimmen, die warnen vor einer Art Bürgerkrieg in den USA. Welche Beobachtungen machen Sie dazu in Bezug auf Gruppierungen, wie die Proud Boys es sind?

Vieles hat sich seit dem 6. Januar verändert, insbesondere die Struktur. Einige Anführer sind ins Gefängnis gewandert, einige Gruppen haben sich aufgelöst, andere sind entstanden. Auch inhaltlich haben sich die Proud Boys immer weniger mit Trumps Lüge von der gestohlenen Wahl beschäftigt. Aber schlicht, weil es dafür kein Momentum gab. Das wird sich im Laufe dieses Jahres ändern. Bei jedem Gerichtstermin, jeder Wahl und jeder Entscheidung, die zu Trumps Ungunsten ausfallen kann, kann so ein Augenblick im Nu entstehen. Die Proud Boys haben sich in den vergangenen Monaten mehr dem Kulturkampf an Schulen, in Bibliotheken, bei Anti-Transgender-Demonstrationen oder bei Anti-Drag-Queen-Protesten verschrieben. Das kann sich jederzeit ändern.

Ist die Gruppierung heute weniger gefährlich?

Sie ist anders, aber nicht weniger gefährlich. Vieles geschieht jetzt dezentraler. Hatten wir vorher eine klare Vorstellung von der Führungsstruktur, ist das heute weniger transparent. Auch die Beziehungen zu verbündeten Organisationen haben sich verändert und verschoben. Sie arbeiten enger mit noch extremeren Gruppierungen zusammen. Darunter etwa die rassistische sogenannte White-Lifes-Matter-Bewegung, die von einem Genozid an Weißen fantasiert und einen ethno-weißen Staat anstrebt.

Jene Richter, die Trump im Bundesstaat Colorado nicht bei den Vorwahlen zugelassen haben, erhalten jetzt Morddrohungen. Wird diese Gefahr immer größer?

Diese Art autoritär geprägter Drohungen und Gewalt kommt aus den verschiedensten Richtungen, nicht nur von den Proud Boys. Ich beobachte solche gezielten Einschüchterungsversuche mindestens seit dem sogenannten Gamergate von 2014, bei dem in Videospiel-Communitys eine rechtsextrem geprägte Belästigungskampagne gegen Frauen gestartet wurde. Dazu gehörte es etwa, persönliche Daten im Internet zu veröffentlichen, zu Gewalt aufzurufen oder den Opfern mit falschen Beschuldigungen die Polizei auf den Hals zu hetzen. Das geschieht seit Jahren. Inzwischen betrifft diese Gefahr aber immer mehr Leute. Die Gewalt schwappt vom Internet immer öfter ins reale Leben.

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Sie gelten als die Jägerin der Proud Boys. Das muss Ihnen ähnlich gehen.

Ja, als ich von einem Magazin als "Geheimwaffe der Antifa gegen Rechtsextremisten" bezeichnet wurde, änderte sich mein Leben schlagartig. Es war nur ein Satz, aber die Wirkung war grenzenlos. Mein Leben, meine Freiheit, meine Familie befinden sich seither in Gefahr. Ich kann die Situation, in der sich die Richter befinden, sehr gut nachvollziehen.

Wie schützen Sie sich?

Ich habe hier ein gutes und starkes Netz aus Unterstützern.

Was ist mit der Polizei?

Ich lebe hier, im ländlichen North Carolina. Da dauert es, bis jemand hier wäre. Die Polizei ist mir gegenüber sicherlich nicht feindselig eingestellt. Aber sie haben schon viel zu lange gebraucht, alleine zu verstehen, wie genau Belästigungen im Internet funktionieren und was so ein Hassportal wie 4chan überhaupt ist. Es sind andere Menschen, die für mich da sind.

Welche Art Ereignis könnte einen Dominoeffekt in den USA auslösen, bei dem die Gewalt kaum noch einzufangen ist?

Bevor die Covid-19-Pandemie losbrach, haben wir bereits Meldungen über diese grassierende Krankheit in China gelesen. Wir haben uns wenig dabei gedacht. Es war außerhalb unserer Vorstellung, was dann geschehen ist. Was ich damit sagen will: Es dauert nicht lange, bis es zu gewaltigen, einfach unvorstellbaren Veränderungen kommt. Das gilt auch für dieses Wahljahr. Einige Dinge, die zu Auslösern werden können, habe ich bereits genannt. So wie die anstehenden Gerichtsentscheidungen für Trump und deren Zeitpunkt. Aber es besteht auch eine sehr reale Möglichkeit, wie wir bei Covid-19 gesehen haben, dass es da draußen einen X-Faktor gib. Etwas anderes, von dem wir noch keine Ahnung haben, was es ist.

Das klingt beunruhigend. Wie bereiten Sie sich mit ihrer Forschung darauf vor?

Meine Strategie ist es, die Daten-Infrastruktur und das Beobachtungssystem so eingerichtet zu haben, dass es sensibel genug ist, um schon kleine Veränderungen wahrzunehmen. Ich bin keine gute Wahrsagerin. Aber ich bin sehr gut darin, ein System aufzubauen, das ich schnell so ausrichten kann, dass ich verstehe, was gerade passiert. So war es auch am 6. Januar 2021. Was dort konkret passierte, war vorher nirgends zu lesen. Aber als es geschah, wusste ich, wie es dazu kam und wo es begonnen hatte.

Auf welche Signale achten Sie?

Mit unserem System nehmen wir jeden Tag unzählige solcher Signale wahr. Es geht darum, sie ständig neu zu priorisieren. Gibt es Auffälligkeiten, etwa im öffentlichen Kommunikationsverhalten bestimmter Personen oder Gruppen, treffen wir eine Entscheidung, ob wir uns das genauer ansehen und es für eine Weile beobachten. Entsteht der Eindruck, es wird quasi langweilig, verschieben wir unseren Fokus auf andere Diskussionen oder Gruppen.

Was genau können Sie aktuell beobachten?

Es gibt definitiv einen Wandel in der Rhetorik. Die größte Veränderung im vergangenen Jahr war der kontinuierliche Anstieg von Äußerungen gegen die LGBTQ-Bewegung und das daraus folgende Verhalten. Die Online-Rhetorik hat zu Verhaltensweisen in der realen Welt geführt. Für diese Menschen ist das eine schlimme Entwicklung. Allgemein fällt auf, dass Online-Plattformen und insbesondere X (ehemals Twitter) sich kaum noch um die Moderation von Inhalten oder um das Sperren von Profilen kümmern. Seit dem Hamas-Anschlag in Israel vom 7. Oktober sehen wir im Internet jede Menge antisemitische, aber auch sehr viel und antimuslimische Hassreden. Vieles davon ist auch hier in die reale Welt übergegangen. Es gibt Angriffe auf Moscheen und Synagogen. Das wird beim nächsten Thema und den nächsten Zielen nicht anders sein.

Verwendete Quellen
  • Telefon-Interview mit Megan Squire
  • Eigene Recherchen
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