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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neue Schulden fürs Militär Jetzt also doch
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Ein neuer Bundestag ist gewählt, doch womöglich könnte der alte noch eine wichtige Entscheidung treffen. Dabei geht es um Milliardenbeträge für die Bundeswehr – und um ein brisantes Vorgehen.
Als er die Frage hört, muss Friedrich Merz kurz überlegen. "Das kann ich noch nicht beantworten", sagt er. Dann ein paar Worthülsen, die dem CDU-Chef noch etwas mehr Zeit zum Nachdenken geben. Schon bei seiner ersten Pressekonferenz nach der Bundestagswahl muss der Bald-Kanzler sich mit kniffligen Problemen auseinandersetzen.
Es geht um mehr Geld fürs Militär und um die Mehrheitsverhältnisse im neuen Bundestag. Dort haben Linke und AfD nach der Wahl künftig eine Sperrminorität. Das könnte die Union daran hindern, beispielsweise ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr durchzubekommen. Denn dafür braucht es eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit.
Nach ein paar Sekunden löst Merz die unangenehme Situation so: Der 20. Deutsche Bundestag sei bis zum 24. März im Amt. "Das heißt also, wir haben jetzt noch vier Wochen Zeit, darüber nachzudenken." Er werde mit Sozialdemokraten, Grünen und FDP darüber sprechen. Zwischen den Zeilen heißt das: Merz zeigt sich bereit, noch schnell im "alten" Bundestag ein mögliches Sondervermögen zu beschließen oder eine Reform der Schuldenbremse – mithilfe der satten Mehrheit, die Union, SPD und Grüne vor der ersten Sitzung des 21. Bundestags noch haben.
Ein steiles Manöver, bei dem die Zeit drängt. Und das der CDU-Vorsitzende offenbar auch in den eigenen Reihen noch nicht wirklich besprochen hat. Immerhin hatte der sächsische Ministerpräsident erst wenige Minuten zuvor vorgeschlagen, man müsse mit Blick auf ein Sondervermögen gegebenenfalls auch Gespräche mit der Linken führen. Hinzu kommt, dass Merz vor der Wahl noch davon sprach, zunächst zu sparen, ehe man sich mit der Schuldenbremse befasse. Und brisant ist auch: Dem alten Bundestag sprechen viele nach der Wahl die Legitimität ab, unumstritten ist ein solches Vorgehen darum nicht.
Was jetzt auf einmal möglich erscheint
Nötig wird es, weil Deutschland und Europa absehbar ihre Verteidigungsausgaben drastisch erhöhen müssen, nachdem US-Präsident Donald Trump sinngemäß angekündigt hat: Für eure Sicherheit seid ihr in Europa künftig selbst verantwortlich. Auch den möglichen Frieden in der Ukraine sollen nach dem Willen der Amerikaner europäische Soldaten absichern.
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Experten gehen davon aus, dass Europa deshalb in den nächsten zehn Jahren mehrere hundert Milliarden Euro zusätzlich fürs Militär ausgeben muss, um eine glaubwürdige Drohkulisse gegen Russlands Machthaber Wladimir Putin aufzubauen. Deutschlands Problem dabei: Die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form verhindert solche Mega-Investitionen auf Pump, will man nicht zugleich im großen Umfang an anderer Stelle bei den Staatsausgaben sparen. Und das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr, das die Ampel nach Russlands Überfall auf die Ukraine gemeinsam mit der Unionsfraktion im Grundgesetz verankert hat, ist 2028 aufgebraucht.
Deshalb also jetzt der Schritt von Merz. Deshalb diskutiert Berlin nun über die Frage: Neues Sondervermögen für die Bundeswehr an der Schuldenbremse vorbei, so wie es CDU-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei andeutet? Schuldenbremse-Ausnahme für den Wehretat, wie es sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorstellen kann? Oder gar die ganz große Reform, um auch Kredite etwa für Klimaschutzausgaben zu ermöglichen, wie es die Grünen wollen?
SPD zeigt sich offen – hat aber Fragen
Beim absehbaren Koalitionspartner der Union ist man offen für Gespräche – allerdings drängt man bei der SPD eher auf eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse und nicht nur auf ein Sondervermögen. Die Genossen sehen Deutschland in einer tiefen Strukturkrise, die nur mit umfassenden Investitionen und einem erweiterten Kreditrahmen des Staates überwunden werden kann. Also: mehr Geld auf Pump für Infrastruktur, Digitales, Bildung und vieles mehr. Dafür braucht es in ihren Augen eine umfassende Lockerung der starren Schuldenregeln.
Angesichts der instabilen Weltlage und der schwierigen Machtverhältnisse im neuen Bundestag wären jedoch die Sozialdemokraten wohl auch bereit, eine abgespeckte Variante einer solchen Schuldenbremsen-Reform mitzutragen. Heißt: neue Schulden nur für höhere Verteidigungsausgaben. Allerdings nicht um jeden Preis, Merz müsste der SPD im Gegenzug etwas bieten.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius machte am Montag einen entsprechenden Aufschlag: "Für die auskömmliche Ausstattung der Bundeswehr ist eine Ausnahme von der Schuldenbremse praktisch unumgänglich", sagte der SPD-Politiker der "Bild"-Zeitung. Der Etat des Verteidigungsministeriums werde sich durch notwendige Investitionen in den kommenden Jahren "auf über 100 Milliarden Euro verdoppeln" müssen. Das lasse sich nicht zulasten anderer Bereiche im Haushalt absparen.
Die Tücken eines neuen Sondervermögens
Ob Pistorius damit eine Aussetzung der Schuldenbremse oder eine echte Reform meint, bei der die Verteidigungsausgaben aus der Schuldenbremse herausgerechnet werden, blieb offen. Klar scheint allerdings auch nach Aussagen des scheidenden SPD-Fraktionschefs Rolf Mützenich: Die SPD ist bereit, mit Union und Grünen alternative Geldquellen für die Bundeswehr zu erschließen.
Verfassungsrechtlich und parlamentarisch sei das möglich, so Mützenich, doch sollte Merz "nicht nur Ankündigungen machen, sondern auch sagen, was er ganz konkret will". Daraus lässt sich ablesen: Auch ein neues Bundeswehr-Sondervermögen, wie Frei nun ins Gespräch gebracht hat, würde die SPD wahrscheinlich mittragen.
Für das Verteidigungsministerium hätte diese Variante jedoch Schwächen: Nicht nur würde auch ein solcher Sondertopf irgendwann leerlaufen, wodurch sich das Finanzierungsproblem lediglich verschiebt. Auch würde es dem Wehrressort die Beinfreiheit beim Geldausgeben nehmen, da die Mittel gebunden wären und etwa für Materialkäufe, nicht aber für steigende Personalkosten eingesetzt werden könnten.
Grüne stellen Bedingungen
Gesprächsbereit zeigen sich auch die Grünen. Sie waren es, die die Diskussion jetzt überhaupt noch mal wiederbelebt haben. "Die Reform der Schuldenbremse, sie ist überfällig", sagte Annalena Baerbock schon am Montagvormittag. Und das funktioniere eben nur mit Zweidrittelmehrheit. Dementsprechend zeigen sich die Grünen auch am Tag zwei nach der Wahl dafür aufgeschlossen. Doch sie stellen Bedingungen.
Es sei "bitter", sagte Fraktionschefin Katharina Dröge am Dienstag, dass Merz eine Reform vor der Wahl "allein aus parteitaktischen Gründen" nicht mitgemacht habe. "Jetzt haben wir ein stückweit Chaos, und ein Chaos, das die CDU zu verantworten hat." Die CDU scheine "selbst nicht zu wissen", was sie genau wolle.
Bei den Grünen hätte sich Merz ohnehin noch nicht gemeldet, sagte Dröge. "Wer mit uns verhandeln möchte, kann uns sehr gerne anrufen." Die Bedingungen der Grünen machte sie präventiv trotzdem schon mal klar: Warum, fragte sie, solle man nur Geld für Verteidigung mobilisieren, wenn man schon die Chance habe? Immerhin seien auch Investitionen in Wirtschaft, Klimaschutz, Infrastruktur und Bildung nötig.
Und auch beim Weg haben die Grünen eindeutige Vorlieben. Sie finde es "grundsätzlich schlauer", sagte Dröge, "dass man Investitionen aus dem Anwendungsbereich der Schuldenbremse ausnimmt". Das sei der saubere Vorschlag. "Alles immer über Sondervermögen zu lösen, ist am Ende eine unehrliche Diskussion."
FDP ist dagegen – wird aber auch nicht gebraucht
Wenig überraschend, im aktuellen Kontext aber auch egal, weil es ihre Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit nicht zwingend braucht: Die Liberalen, die im "alten Bundestag" noch bis Ende März sitzen, wollen bei der Nummer nicht mitmachen. "Verfassungsänderungen, und dazu gehört auch ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr, macht man nicht zwischen Tür und Angel", sagte der für Haushaltsfragen zuständige Fraktionsvize Christoph Meyer t-online.
Ein solcher Vorgang benötige Zeit, so Meyer weiter. Und er schiebt hinterher: "Wenn Friedrich Merz jetzt schon bei der Schuldenbremse einknickt, wird er das wohl auch sehr schnell bei Steuererhöhungen machen – mit der FDP im Bundestag wäre das dann nicht geschehen."
Ablehnung für die Idee kommt auch von der AfD. "Ein Staat darf nicht mehr ausgeben, als er einnimmt", sagte Co-Parteichefin Alice Weidel am Montag. "Sondervermögen" seien in Wahrheit "Sonderschulden". Und die Linke würde zwar wohl bei einer Reform der Schuldenbremse insgesamt mitmachen, sie am liebsten sogar abschaffen. Einen Extratopf, um für die Bundeswehr die Bremse zu umgehen, lehnen die Sozialisten jedoch ab.
Ob Sondervermögen oder Schuldenbremsen-Reform: Es muss jetzt zügig gehen. Bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags sind es noch 28 Tage.
- Eigene Recherche