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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sturm auf das Kapitol "Trump ist heute stärker als zuvor"
Wohin entwickeln sich die USA ein Jahr nach den schweren Unruhen in Washington? Historiker Volker Depkat sieht die Ära Trump noch nicht am Ende. Sie könnte sich sogar ohne ihn fortsetzen.
Die letzten Wochen des bereits abgewählten US-Präsidenten Donald Trump gipfelten in einem schwarzen Tag für die amerikanische Demokratie: Angestachelt von Trump, der immer wieder von Betrug bei der Präsidentschaftswahl sprach, drangen zahlreiche seiner Anhänger gewaltsam in das Kapitol in Washington ein. Fünf Menschen kamen im Zusammenhang mit den Protesten ums Leben.
Auch ein Jahr später sind die Nachwirkungen des gewaltsamen Protests noch immer spürbar: Die Gräben in der US-Gesellschaft konnte der neue Präsident Joe Biden bisher nicht zuschütten – Donald Trump ist trotz seiner Niederlage mehr als präsent. Für Volker Depkat vom Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Regensburg hat sein Einfluss auf die Republikanische Partei seitdem sogar zugenommen. Im Gespräch mit t-online erklärt der Historiker, warum die Republikaner weiter auf Trump setzen, warum Joe Biden auch innerhalb seiner Partei um Anerkennung kämpft und warum Trumps Stil auch ohne ihn weiterwirken könnte.
t-online: Herr Professor Depkat, als vor einem Jahr die Anhänger von Donald Trump in das Kapitol stürmten, war danach der Wunsch groß, dass sich eine Heilung der amerikanischen Gesellschaft und auch der US-Demokratie einstellt. Warum hat das nicht funktioniert?
Volker Depkat: So groß war dieser Wunsch vielleicht gar nicht. Eine klare Verurteilung des Sturms auf das Kapitol hat bei den Republikanern jedenfalls nicht stattgefunden: Einige Politiker haben sich danach zwar von Trump abgegrenzt. Die überwiegende Mehrheit unterstützt ihn aber bis heute. Wir wissen aus Umfragen, dass drei Viertel der Republikaner weiter zu ihm stehen, mit den Ereignissen vom 6. Januar 2021 kein größeres Problem haben und zum Teil auch heute noch glauben, dass Trump die Wahl gestohlen wurde.
Trotzdem ruhten danach große Hoffnungen auf Trumps Nachfolger Joe Biden. Diese konnte er bisher nicht erfüllen.
Biden hatte versprochen, das Land zu einen. Die Spaltung der US-Gesellschaft hat sich aber über Jahrzehnte aufgebaut. Das übersteigt die Kraft eines einzelnen Präsidenten. Das Klima ist auch in der Politik so toxisch, dass es aus meiner Sicht kaum mehr Bereitschaft gibt, mit der Gegenseite überhaupt noch ins Gespräch zu kommen. Der Sturm auf das Kapitol hätte ein reinigendes Gewitter sein können: Demokraten und Republikaner hätten sich danach wieder annähern können und auch müssen. Doch stattdessen hat sich die Krise weiter verschärft – und Donald Trump ist heute stärker als zuvor.
Die Spaltung setzt sich auch innerhalb der Parteien fort: Biden ist etwa dem linken Lager der Demokraten zu moderat, im Senat blockiert der konservative Demokrat Joe Manchin jüngst sein großes Sozial- und Klimapaket. So kann er doch nur verlieren.
Trotzdem müsste Biden wissen, wie man Deals in Washington aushandelt. Denn er ist erfahren genug, hat er doch seine gesamte politische Karriere in Washington und auf dem Capitol Hill verbracht. Vermutlich genießt er nicht genug Rückhalt bei seinen Leuten: Die Demokraten konnten sich vor der Wahl auf ihn einigen, um Trump zu schlagen. Aber die innerparteilichen Konflikte konnte Biden bisher nicht lösen.
Donald Trump wiederum ist Thema in einem Untersuchungsausschuss: Dort soll die Frage geklärt werden, ob er Mitschuld an den Ereignissen vom 6. Januar 2021 hat. Die Republikanische Partei hätte nach dem Sturm einen Schlussstrich ziehen können, Trump hat sie allerdings weiter im Griff. Warum hat diese Entkopplung nicht stattgefunden?
Trump berührt das Herz vieler Republikaner. Er hat bei vielen Wählern einen Nerv getroffen, etwa mit der Deregulierung der Wirtschaft oder seiner Steuersenkungspolitik. Viele seiner Wähler haben Angst vor einer Welt, die ständig im Wandel ist. Sie sehnen sich nach jemandem, der sagt: Amerika ist im Kern angelsächsisch-europäisch, protestantisch und weiß.
Trotz seiner Abwahl glauben die Republikaner also weiterhin, dass Trumps Kurs ihnen Erfolg verspricht?
Trump ist für viele noch immer der Heilsbringer. Die Evangelikalen feiern ihn etwa als von Gott gesandt. Diese Gruppe steht so stark hinter ihm wie noch hinter keinem anderen Präsidenten zuvor. Andere wählen ihn auch für seinen stramm nationalistischen Kurs oder seinen Kampf gegen das "Establishment" und die Political Correctness oder seine Wirtschafts- und Steuerpolitik. Trump hat Wähler in allen Schichten, die ihn aus ganz verschiedenen Gründen wählen.
Was Trump allerdings weniger interessiert, sind demokratische Werte oder Gepflogenheiten. Werden die Republikaner in Zukunft immer rechtspopulistischer und undemokratischer, solange sie damit gewählt werden?
Bisher ist Trumps politischer Stil ein Erfolgsrezept. 2016 konnte er viele Nichtwähler erstmals mobilisieren. 2020 gewann er weitere Millionen dazu. Trump bleibt also aus Sicht vieler Republikaner eine Erfolgsstory. Deswegen ist es auch weiter schwierig, sich als Republikaner gegen ihn zu positionieren. Sein Wille entscheidet noch immer über politische Karrieren.
Sehen Sie einen Politiker, der ihn rechts überholen könnte? Zuletzt wurde er auf Veranstaltungen von Teilen seiner Anhänger ausgebuht, weil er für Impfungen gegen das Coronavirus warb.
Im Moment sortieren sich die Republikaner. Ich halte es allerdings für möglich, dass sich sein politischer Stil auch mit anderen Personen fortsetzen lässt. Insofern glaube ich: Der von ihm verkörperte politische Stil des "Trumpismus" ist auch ganz ohne Trump möglich.
Ob mit ihm oder ohne ihn: 2024 steht die nächste Präsidentschaftswahl an. Sehen wir dann eine noch heftigere Neuauflage des Sturms, falls die Demokraten das Weiße Haus verteidigen?
Möglich wäre es. Allerdings hat die vergangene Wahl trotz dieser schrecklichen Bilder bewiesen, dass die von der US-Verfassung und den Gesetzen des Landes bestimmten politischen und rechtlichen Verfahren der gewaltenteiligen Demokratie bislang funktioniert haben. Die Verfassungsväter hatten das politische System so konzipiert, dass selbst die unfähigsten Spitzenpolitiker es nicht würden ruinieren können. Trump hat versucht, die Verfassung zu schädigen, insbesondere indem er von Wahlbetrug sprach. Das gipfelte dann in diesem Sturm auf das Kapitol. Weder die Gerichte noch die einzelnen Bundesstaaten, auch nicht die von Republikanern regierten, spielten aber bei seinem falschen Spiel mit – und mit Joe Biden sitzt der rechtmäßige Sieger jetzt im Weißen Haus.
- Interview mit Volker Depkat am 5.1.2022