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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fehler im Wahlregister? Trump-Fans wittern Betrug: Stimmen von toten Hundertjährigen
In den USA ist vieles sehr transparent. Aus den Wahlunterlagen geht hervor, dass William Bradley in Detroit gewählt hat. Nur: Er ist 1984 gestorben. Wahlbetrug, vermuten Trump-Anhänger – mal wieder.
Eine Backstein-Reihenhaus-Siedlung am Chrysler Drive in Detroit: Hier könnte ein Wähler leben, der Trump-Anhänger in ihrem Glauben an Wahlbetrug bestätigt. Laut den Unterlagen des staatlichen "Michigan Voter Information Center" ist William Bradley 118 Jahre alt, hat am 11. September Wahlunterlagen angefordert, den Wahlzettel am 19. September zugeschickt bekommen und am 2. Oktober per Briefwahl seine Stimme eingereicht. Immerhin 36 Jahre nach seinem Tod im Juni 1984, der sich im "US Social Security Death Index" nachvollziehen lässt.
Das Schauermärchen von den "Zombiewählern"
In Michigan war der Ausgang eng, Biden hatte mit 50,5 Prozent rund 160.000 Stimmen mehr als Trump (48 Prozent). Medien haben Biden in dem Bundesstaat aufgrund der Stimmauszählung bereits zum Sieger erklärt, Trump klagt dort aber. Vermeintliche "Zombiewähler" sind also wie geschaffen für Trumps Erzählungen von einem groß angelegten Wahlbetrug. Die Behauptung, tote Wähler spielten das Zünglein an der Waage, ist allerdings nicht neu.
Im Gegenteil: Bei jeder großen Wahl in den USA wird das oft widerlegte Schauermärchen neu erzählt. Grund dafür sind meist bekannte Fehler im Wahlregister und politische Interessen des Unterlegenen. Studien beziffern allerdings Hinweise auf tatsächlich stattfindenden Wahlbetrug in den USA auf etwa 0,0003 bis 0,0025 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Das überparteiliche "Brennan Center for Justice" schrieb dazu, dass es für Bürger wahrscheinlicher sei, "vom Blitz getroffen zu werden, als Stimmen im Namen eines anderen abzugeben". Behörden stoßen nur äußerst selten auf ernstzunehmende Fälle. Gerichte sind der Einschätzung gefolgt.
Studienautor widersprach Trump
Für Trump und seine Kampagne gegen die Briefwahl, die überwiegend von demokratischen Wählern genutzt wird, stellten derlei Studien allerdings bereits 2016 kein Hindernis dar, das Gegenteil zu behaupten: "Vor zehn Jahren gestorbene Menschen wählen immer noch", sagte er da. Er gab dabei eine Studie falsch wieder. Der Studienautor widersprach der Behauptung vehement.
Doch die Kampagne von Trump und seinen Republikanern ist darauf angelegt, die Briefwahl in Misskredit zu bringen. Im August erst verbreitete der Präsident einen Artikel, demzufolge bei den Vorwahlen in Michigan 846 verschickte Stimmzettel abgelehnt wurden, weil die Wähler zwischen Briefwahlabgabe und Auszählung verstorben waren.
Wer ist William Bradley?
Sie wurden aussortiert, weil das Wahlregister routinemäßig mit Daten abgeglichen wird, die von der Sozialversicherung übermittelt werden – etwa von Todesfällen oder Umzügen. Die Wahlbehörde überprüft abgegebene Stimmen also durchaus und sortiert sie zur Not aus.
Das hätte auch bei William Bradley der Fall sein: dass die Briefwahlstimme angekommen ist, aber der Prüfung nicht stand hielt und demnach nicht mitgezählt wurde. Der Fall liegt hier aber noch anders. Die Stimme wurde falsch zugeordnet.
Unter der angegebenen Postleitzahl 48207 wohnt auch William Tarnell Bradley, 61 Jahre alt, und Sohn eines 2004 gestorbenen William E. Bradley. Wenn man nach William Bradley und seinem Geburtsmonat Juli in den Wahlunterlagen sucht, findet man auch einen registrierten Wähler. Beide Willam Bradleys haben keine Parteiaffinität eingetragen, könnten auch Trump-Wähler sein.
Der 61-jährige Bradley hat den Unterlagen zufolge keinen Wahlzettel angefordert und nicht abgestimmt. Er hat aber gewählt, sagte er dem Portal PolitiFact des renommierten Poynter Instituts. Tatsächlich sei auch eine Wahlbenachrichtigung für den toten William Bradley gekommen. "Die habe ich nicht genutzt, ich wollte mit meiner nicht durcheinander kommen." Nach der Aufregung um den 118-Jährigen habe er bei der Stadt angerufen und von dort die Auskunft bekommen, sich keine Gedanken zu machen: Das Geburtsdatum werde abgeglichen und die Registrierung korrigiert.
Eine Sprecherin des Bundesstaates sagte, in seltenen Fällen komme das bei Namensgleichheit vor. Es gebe auch Fälle, in denen das Jahrhundert falsch registriert sei, ein 1980 geborener Wähler dem Wahlregister zufolge 1880 geboren ist. "In all diesen Fällen gibt aber niemand eine Stimme ab, der nicht dazu berechtigt ist."
Nutzer hatten offenbar mit den Daten von vor mehr als 100 Jahren gestorbener Menschen Suchen in der Datenbank gestartet. Sie haben weitere Treffer gelandet – noch mehr vermeintliche Zombiewähler in Michigan. In Mason County hat den Unterlagen zufolge Donna Brydges, geboren 1901, ihre Stimme abgegeben.
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Rekordhalterin ist aber Briefwählerin June Aiken, geboren 1900. Zumindest in ihrem Fall stießen andere Internetnutzer aber auch auf eine Dame gleichen Namens unter der Postleitzahl. Als Anhaltspunkte für groß angelegten Wahlbetrug reicht das allerdings vermutlich nicht.
Der Text wird mit möglichen weiteren Informationen zu den aktuellen Fällen aktualisiert.
- Eigene Recherchen
- Brennan Center: "Debunking the Voter Fraud Myth" (engl.)
- Associated Press: "False claims circulate about dead voters in Michigan" (engl.)
- Politifact.com: No, a dead voter named William Bradley didn’t vote in Detroit
- Daily Beast: Will Zombie Voters Tip the Scales in 2016? No, but They Have in the Past (engl.)
- Michigan Voter Information Center
- Michigan Resident Data Base