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Kolumne von Gerhard Spörl: Wie meine Stadt ums Überleben kämpft


Meinung
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Kommunen in Not
Wie die Stadt meiner Kindheit ums Überleben kämpft

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 22.07.2019Lesedauer: 5 Min.
Ludwigstraße in Hof an der Saale: Städte wie Hof gibt es überall in Deutschland. Hart am Rande der Existenz.Vergrößern des Bildes
Ludwigstraße in Hof an der Saale: Städte wie Hof gibt es überall in Deutschland. Hart am Rande der Existenz. (Quelle: imago-images-bilder)

Vor 30 Jahren war Hof das Zentrum Deutschlands, denn hier kamen die Freiheitszüge aus Prag an. Der schöne Augenblick ging alsbald in eine dauerhafte Krise über, in der nur eines wirklich blüht: die Kultur.

Übers Wochenende war ich in Hof, das ist eine Stadt in Oberfranken, in der ich geboren wurde und meine Eltern starben. Ich war zu einer Lesung aus einem meiner Bücher eingeladen worden.

Von Hof haben Sie vielleicht vor ziemlich genau 30 Jahren gehört und in den Nachrichtensendungen gesehen. Hier kamen die Freiheitszüge an, überschwänglich empfangen auf Gleis 1 am Bahnhof: mit warmen Getränken und dick bestrichenen Semmeln, mit Suppen und Kleinigkeiten für die vielen übernächtigten Kinder. Sie kamen aus Prag, sie waren die 4.000, die in die westdeutsche Botschaft geflüchtet waren.

Der Kapitalismus ist, wie er ist

Auf dem Balkon des Palais Lobkowicz hatte Hans-Dietrich Genscher, der Mann aus Halle, seine feinste Stunde, als er den DDR-Bürgern sagen konnte: Ihr fahrt in den Westen, ihr müsst nicht mehr nach Dresden, Leipzig oder Greifswald zurück, ihr werdet frei sein. Die Züge mussten durch die DDR fahren, darauf legten Honecker und die anderen SED-Mumien allergrößten Wert.

Wenn sie den Fluchtentschlossenen noch einmal Angst machen wollten, haben sie erreicht, was sie erreichen wollten. Ein Diplomat, der auf einem Zug zur Beruhigung der Gemüter mitfuhr, erzählte später, wie still es geworden sei, als die DDR-Grenzer die Pässe einsammelten, wie die Angst hochgekrochen sei, dass sie in eine Falle geraten sein könnten, und welcher Jubel ausbrach, als der Zug westdeutschen Boden erreichte.

Die Freiheitszüge werden im Herbst wieder zu sehen sein, wenn sich der Mauerfall zum 30. Mal jährt. Weltgeschichte haben die Ostdeutschen damals geschrieben, friedlich und entschlossen. Vielleicht nimmt unter dem Eindruck der Erinnerung die Klage über die Folgen ab. Sie wollten ihren Staat los haben, sie wollten die Teilung überwinden, sie wollten den Kapitalismus, der nun mal so ist, wie er ist.

Ein Atemzug im Mittelpunkt

Skeptisch waren damals viele Westdeutsche. Sie waren ja glänzend in der bipolaren Welt klar gekommen. Sie vermissten nichts. Etliche mussten sich widerwillig an das Neue gewöhnen: das Ende des Kalten Kriegs, an das Teilen nach der Teilung, an den Soli, der ihnen seither abverlangt wird. Oskar Lafontaine sagte den ehrlichen Satz: "Paris liegt mir näher als Leipzig". Das sagte niemand, der in Hof aufgewachsen war.

Für einen Atemzug lang war Hof der Mittelpunkt Deutschlands. Wie in früheren Zeiten strömten die Menschen aus Plauen, Greiz und den anderen sächsischen Städtchen hierher, deckten sich im Kaufhof mit Waren ein, saßen im Jean-Paul-Café und in der "Meinels Bas" und fuhren beladen nach Hause. Hof blühte auf und fühlte sich gewürdigt. Der angemaßte Stadtslogan: "In Bayern ganz oben" war für einen Wimpernschlag nicht nur geografisch richtig.

Die fulminante Wiederbelebung dauerte ungefähr ein halbes Jahr. Dann war alles wieder wie zuvor, Tendenz schlechter. Der Kaufhof ist heute eine Ruinenhöhle in der Mitte der Stadt, aufgegeben vom Kölner Konzern Mitte Januar 2019. Das Gebäude liegt mitten in der Fußgängerzone und ist eine offene Wunde. Ein Vier-Sterne-Hotel der Dormero Gruppe soll jetzt in die oberen Etagen einziehen und H&M will in den unteren einen Laden eröffnen. Na, hoffentlich wird daraus etwas Bleibendes.

Was kommt nach den Schulden?

Hof gehört zu den Städten an der Nahtstelle zwischen Ost- und Westdeutschland, die ums Überleben kämpfen. Die Schulden lagen Anfang 2019 bei 92,8 Millionen Euro, das geht noch, aber nur deswegen, weil der Freistaat Bayern Alimente in Höhe von 30 Millionen Euro beisteuerte. In diesem Jahr nimmt die Stadt noch einmal Kredite über 71 Millionen Euro auf, um Kindertagesstätten und Schulen, das Theater und Straßen zu sanieren – was Kommunen eben heutzutage machen müssen. Ab 2020 darf Hof nach einem Bescheid der Regierung von Oberfranken keine neuen Schulden machen, sonst bleiben die hilfreichen Gaben aus. Und dann?

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Ich bin schon vor vielen Jahre aus der Stadt meiner Kindheit weggezogen, komme aber immer mal wieder zurück, zum Beispiel zu den Filmtagen. Sie waren das Größte für uns, damals 1967, als es losging. An jedem letzten Wochenende im Oktober fielen Werner Herzog, John Cassavetes, Wim Wenders und ihre Clans in Hof ein und brachten gute Filme und einen Hauch von Anarchie mit sich. Der unnachahmliche Hofer Heinz Badewitz überredete sie Jahr für Jahr, ausgerechnet in der Provinz ihre Werke uraufzuführen, eine gigantische Leistung eines liebenswerten Menschen, der in der Öffentlichkeit immer leicht verwirrt wirkte und vor drei Jahren starb.

Heute ist Hof eine schrumpfende Stadt. Mir blutet das Herz, wenn ich sehe: wieder Läden geschlossen, wieder Fenster vernagelt, der abgerissene Busbahnhof noch immer ein gigantisches Loch, ohne Aussicht auf Bebauung. Aber wie das so ist, wenn das Soziale prekär wird, blüht die Kultur auf. Der Kunstverein ist eine feste Größe mit seinen Ausstellungen, die Stadtbücherei veranstaltet einen Lesesommer mit Autoren, die zu Lesungen eingeladen werden und gerne kommen, wenn sie Kinder der Stadt oder der Region sind.

Städte wie Hof gibt es überall

Der Botanische Garten verwandelte sich am Samstag in ein bunt angestrahltes Naturwunder. Der Chef ist ein international anerkannter Fachmann, der draußen in der Welt mehr noch gilt als daheim. Jazzbands spielten wie um ihr Leben. Bis weit nach Mitternacht war die ganze Anlage prall gefüllt.

Tags darauf fand am Untreusee ein Triathlon statt. Das ist ein Stausee und war mal das umstrittene Projekt eines CSU-Oberbürgermeisters, wie heute jedes größer gedachte Projekt unter dem Verdacht des Personenkults und der Geldverbrennung steht. Lange vorbei, Bedenken vergessen. Ein Naturjuwel zum Joggen und Surfen, mit Bratwurst und Pils in Biergärten.

Städte wie Hof gibt es überall in Deutschland. Hart am Rande der Existenz. Industrien unwiederbringlich dahin. Die Eltern schicken ihre Kinder zum Studieren in andere Städte und wissen, dass sie nicht zurückkommen werden, denn Lebenschancen haben sie anderswo. Verloren im Wettbewerb gegen andere Städte wie Bayreuth oder Bamberg. Fachhochschule für den öffentlichen Dienst anstatt einer Universität. Jean Paul hier, Wagner dort. Angewiesen auf staatliche Subventionen und die Tatkraft der kulturell Engagierten.

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Vielen Kommunen geht es schlechter

Vor Kurzem verkündete die Bundesregierung, dass sie hochverschuldeten Städten helfen will. Es gibt Kommunen, denen es viel schlechter geht als Hof mit seinen 47.000 Einwohnern. Es gibt Städte, die von ihren Landesregierungen weniger bedacht werden, in denen geringere Hoffnung nistet, zum Beispiel im Ruhrgebiet oder in Rheinland-Pfalz, in Brandenburg oder Meck-Pomm. Keine Stadt gibt sich auf, wie könnte sie auch. Jede versucht das Beste aus dem Wenigen zu machen, das ihr geblieben ist. Überall finden sich Unverdrossene, die einen Kunstverein gründen, Herta Müller zur Lesung einladen oder den Botanischen Garten nächtens illuminieren.


Ende Oktober fahre ich wieder nach Hof. Die 52. Filmtage stehen an, mindestens 100 Filme sind zu sehen. 30.000 Leute werden diesmal wohl einfallen. Die schrumpfende Stadt meiner Kindheit steht wieder für ein paar Tage im Mittelpunkt. Wie schön.

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