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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rede zur Lage der Nation Teleprompter-Trump gegen Twitter-Trump
Mit großer Spannung wurde sie erwartet – und Donald Trumps erste Rede zur Lage der Nation geriet emotional. Es gab dabei auch Überraschungen.
Eine Analyse von Fabian Reinbold, Washington, D.C.
Das Lob zuerst, so wie er es mag: Donald Trump hat eine Rede gehalten, die vielen Amerikanern gefallen haben dürfte. Der Präsident zeigte sein Mitgefühl für einige Herausforderungen, vor denen sein Land steht. Er sprach drängende Probleme an – und er hielt sich so genau an das Manuskript, dass er niemanden bepöbelte.
Trump hat seine erste traditionelle "State of the Union Address" nicht nur dafür genutzt, seine eigene Leistung kräftig zu loben – auch wenn für diesen Teil die erste halbe Stunde draufging. Er machte seine Prioritäten in der Einwanderungsfrage klar, lud seine Themen mit emotionalen Geschichten auf und versuchte, mit reichlich Pathos Optimismus zu verbreiten. Trump sprach davon, dass ein "neuer amerikanischer Moment" angebrochen sei und dass dank Wirtschaftsboom und Steuerreform der amerikanische Traum lebendig wie nie sei.
In dieser Hinsicht hat Trump den besonderen Moment gut genutzt. Denn die Rede zur Lage der Nation gilt als wichtigster Auftritt eines Präsidenten, weil er ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt: Fast alle großen Fernsehsender sind live dabei. Sie ist seit hundert Jahren ein festes Ritual und bietet dem Präsidenten die Möglichkeit, seine Prioritäten für die kommenden Monate vor Parlament und Volk darzulegen. Und sie ist vor allem eine große Inszenierung: Trump bekam von seinen Abgeordneten und Ministern immer wieder frenetischen Jubel, während die Demokraten die Aufführung mit eiserner Miene über sich ergehen ließen.
Das sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der 80-minütigen Rede:
- Trump bleibt hart: Beim Thema Einwanderung machte Trump unmissverständlich klar, wo seine Prioritäten liegen. Zunächst sprach er von Verbrechen, die eine Straßengang von Einwanderern aus Zentralamerika in den USA begingen – und präsentierte zwei Elternpaare, deren Kinder von Mitgliedern dieser Bande getötet wurden. Hier warf Trump wie schon im Wahlkampf alles in einen Topf: Einwanderer brächten Lohndumping und Verbrechen nach Amerika. Ein Signal an seine nationalistische Basis: Bei der anstehenden Einwanderungsreform bleibe ich hart.
- Americans first: Zum Streit um die sogenannten Dreamer, die als Kinder illegaler Einwanderer durch Trumps Politik jetzt von Abschiebung bedroht sind, sagte der Präsident einen neuen Satz: "Auch Amerikaner sind Dreamer." Nach "America first" gilt nun auch in der Einwanderungspolitik "Americans first". Trump trug noch einmal seinen Kompromissplan vor (hier mehr dazu), machte keine neuen Vorschläge. Manche Beobachter hat das erstaunt, schließlich hatte das Weiße Haus vorher zu erkennen gegeben, die Botschaft des Präsidenten werde überparteilich ausfallen. Doch auf ein entsprechendes Angebot an die Demokraten warteten ihre Abgeordneten vergeblich.
- Trumps Agenda: Dem Kongress trug Trump neben der Einwanderungsreform auf, ein Infrastrukturprogramm in Höhe von 1,5 Billionen Dollar auf den Weg zu bringen – allerdings ohne Details zu nennen. Und insbesondere, wo das Geld dafür herkommen soll. Daneben bezeichnete Trump den Kampf gegen die Drogenepidemie, eine Senkung der Medikamentenpreise und den Kampf gegen Terror als Prioritäten. Keine Überraschung. Die einzige Neuigkeit seiner Rede: Er hat die Offenhaltung des Gefangenenlagers Guantanamo per Dekret verordnet.
- Die stärksten Momente: Trump gelang es, seine Schwerpunkte mit emotionalen Geschichten der Gäste im Publikum zu verknüpfen. Mehrfach flossen Tränen. Das war der Fall bei den Eltern der Mädchen, die von der berüchtigten Gang MS-13 getötet wurden. Zum Thema Drogenkrise präsentierte Trump einen Polizisten und seine Ehefrau, die das Baby einer Heroinabhängigen adoptiert hatten. Beim Thema Nordkorea waren die Eltern von Otto Warmbier im Publikum, des in Nordkorea verhafteten amerikanischen Studenten, der dort ins Koma gefallen war und kurz nach der Auslieferung in die Heimat verstarb. Und ein Nordkoreaner, dem nach Folter die Flucht aus dem Land auf Krücken gelungen war, reckte diese in die Luft. Diese Momente dürften viele Amerikaner auch über die Parteigrenzen hinweg berührt haben.
- Die Leerstellen: Auffällig war, was fehlte. Der absurd hohen Staatsverschuldung, eigentlich ein Kernthema der Republikaner, widmete Trump kein Wort. Ob das seinen Parteifreunden im Dauerjubel auffiel? Russland kam ein einziges Mal in 80 Minuten vor, in einem Nebensatz zur Außenpolitik erwähnte Trump "Gegner wie China und Russland". Und #MeToo, immerhin die aktuell größte Debatte in den westlichen Gesellschaften, erwähnte er mit keiner Silbe. Keine Überraschung, schließlich ist Trump selbst mit zahlreichen Vorwürfen konfrontiert. Dennoch ist es eine bemerkenswerte Tatsache: Zu Fragen von Sexismus und sexueller Belästigung ist der Präsident der Vereinigten Staaten nicht sprechfähig.
- Das Problem des doppelten Trump: Im Großen und Ganzen schlug Trump einen versöhnlichen Ton an - diesen kennt man aus anderen Reden, die er vom Teleprompter abgelesen hat. Auch im Kongress hielt er sich eng an das Manuskript. Doch während Teleprompter-Trump Einigkeit und die Gemeinsamkeiten aller Amerikaner betont, macht Twitter-Trump immer wieder abfällige Bemerkungen über Minderheiten. Wo Teleprompter-Trump Überparteilichkeit anmahnt, beschimpft Twitter-Trump Demokraten als Heulsusen. Schon in seiner letzten Rede vor dem Kongress im vergangenen Februar mahnte Trump Zusammenarbeit an – torpedierte danach allerdings jeden Versuch von parteiübergreifenden Verhandlungen. So könnten auch Trumps positive Botschaften seiner ersten Rede zur Lage der Nation nicht mehr als eine Momentaufnahme sein, bis zum nächsten Auftritt von Twitter-Trump.