Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wende bei Selenskyj Damit bringt er Trump in Bedrängnis

Trump setzte Selenskyj so unter Druck, dass er einlenken musste. Mit den ukrainischen Zugeständnissen steht nun aber die US-Regierung vor einer Bewährungsprobe: Ist der "Friedensplan" mit Putin tragfähig – oder drohen weitere Forderungen?
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Die Amerikaner hatten in den vergangenen Tagen alle Geschütze aufgefahren. Nach dem Eklat im Weißen Haus vom Freitag reichten die Reaktionen der Trump-Regierung von Forderungen, Wolodymyr Selenskyj müsse sich entschuldigen, über Rücktrittsforderungen an den ukrainischen Präsidenten bis zu dem am Montag verkündeten Stopp aller US-Militärhilfen. Besonders dieser letzte Schritt machte Selenskyj und den verbündeten Staaten unmissverständlich klar: Wenn ihr unsere Kernbedingung nicht akzeptiert, dann gehen in Kiew buchstäblich die Lichter aus.
Denn trotz der finanziellen und militärischen Bemühungen der Europäer wäre es nicht möglich gewesen, die USA quantitativ und vor allem qualitativ zu ersetzen. Bestimmte Waffengruppen und die dazugehörige Munition sowie das technische Wissen können nur die USA bereitstellen. Hinzu kommen Transportflugzeuge, Logistikketten, Geheimdienstinformationen oder das satellitengesteuerte Internet-System Starlink – kurz: Die gesamte Koordination des Widerstands gegen Russland liegt im Kern bei den USA. Ersetzbar wäre das vielleicht in ferner Zukunft, aber nicht über Nacht.
Trumps erste Kernforderung ist erfüllt
Die Kernforderung der Trump-Regierung war und ist nach wie vor: Wolodymyr Selenskyj muss sich "friedensbereit" zeigen und nach der Lesart Washingtons heißt das, im ersten Schritt den ausgehandelten Rohstoff-Vertrag unterzeichnen – ohne weitere Bedingungen. Der französische Präsident Emmanuel Macron, der britische Premierminister Keir Starmer und auch der ukrainische Präsident hatten bei ihren Besuchen im Weißen Haus vergangene Woche bis zum Schluss versucht, von den Amerikanern konkrete, also militärische Sicherheitsgarantien zu bekommen.
Diese Forderung, die ein Grund für die Eskalation im Weißen Haus vom Freitag war, ist nun vom Tisch. In einer ausführlichen öffentlichen Nachricht auf der sozialen Plattform X legte Selenskyj dar: "Was das Abkommen über Mineralien und Sicherheit betrifft, so ist die Ukraine bereit, es jederzeit und in jedem geeigneten Format zu unterzeichnen. Wir betrachten dieses Abkommen als einen Schritt hin zu mehr Sicherheit und soliden Sicherheitsgarantien, und ich hoffe sehr, dass es effektiv funktionieren wird."
Der ukrainische Präsident hält damit zwar seinen Wunsch aufrecht, doch noch, aber eben in einem späteren Schritt, amerikanische Sicherheitsgarantien zu bekommen. Er sieht es aber nicht mehr als Voraussetzung an. Damit könnte die Trump-Regierung nun zufrieden sein. Erste Äußerungen, insbesondere von dem in den Ukraine-Verhandlungen stark involvierten republikanischen Senator Lindsey Graham, sprechen dafür. Nachdem er noch vor Tagen einen Rücktritt Selenskyjs für nahezu unausweichlich hielt, kommentierte er den neuen Vorstoß des ukrainischen Präsidenten nun mit einem erhobenen Daumen und den Worten: "Bessere Tage liegen vor uns."
Not-Diplomatie auf allen Ebenen
Wie ist es dazu gekommen? Viele Gespräche wurden zwischen den europäischen Staats- und Regierungschefs und dem ukrainischen Präsidenten geführt. Aber auch zwischen Kiew, den europäischen Hauptstädten und Washington gab es in den vergangenen Tagen unentwegte Kontakte. Eines der wichtigsten Gespräche dürfte dabei zwischen dem republikanischen US-Kongressabgeordneten Brian Fitzpatrick und dem Stabschef Selenskyjs, Andriy Yermak, stattgefunden haben.
Yermak schrieb dazu am Montag auf X: "Besprochen wurde der Weg zu einem gerechten Frieden und das Mineralienabkommen mit den USA. Die wirtschaftliche Partnerschaft ist für unsere beiden Länder von entscheidender Bedeutung. Es besteht gegenseitiges Verständnis und wir nähern uns einer Entscheidung, die unsere Politiker treffen müssen." Tatsächlich soll jetzt alles ganz schnell gehen. Medienberichten zufolge soll der Rohstoffvertrag zwischen der Ukraine und den USA noch am Dienstag unterschrieben werden. Zumindest will Trump seinen Erfolg bei seiner Rede vor dem Kongress am Abend (21 Uhr, Ortszeit) verkünden.
Dem Druck aus Washington muss sich jeder beugen
Unterm Strich kann daraus nun geschlossen werden: Die Erpressungsstrategie von Donald Trump scheint zu funktionieren. Der US-Präsident und sein Team erwarten von der Ukraine und den Verbündeten, dass sie der Strategie seiner Regierung bedingungslos vertrauen. Diese beruht auf dem transaktionalen Gedanken: Normalisierung der Beziehungen mit Wladimir Putin, Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Beendigung der Sanktionen gegen Moskau und ein eigenes, rein wirtschaftliches Engagement in der Ukraine.
Die Ukraine und ihre übrigen Verbündeten halten diese Strategie für hochriskant. Zu bitter waren die Erfahrungen mit Putin trotz wirtschaftlicher Zusammenarbeit, wie über die Erdgas- und Erdöllieferungen und trotz der früheren sogenannten Minsk-Friedensverhandlungen. Der russische Präsident griff trotz aller Beteuerungen schließlich nach der ganzen Ukraine und ist seither für den Tod von Hunderttausenden Menschen auf beiden Seiten verantwortlich.
Jetzt muss sich Trump beweisen
Jetzt muss sich zeigen, ob Donald Trump bereit ist, seinen eingeschlagenen, ausgesprochen Putin freundlichen Weg weiterzugehen und ob vor allem der russische Präsident dabei irgendwann auch mit Zugeständnissen mitspielt. Reicht Trump das jetzige Zugeständnis von Selenskyj oder erwartet er noch eine öffentliche, persönliche Entschuldigung? Wird er als nächstes Gebietsabtretungen fordern oder doch noch einen Rücktritt des ukrainischen Präsidenten oder Neuwahlen in Kriegszeiten?
Klar ist, mit seinem jetzigen Vorschlag bringt Selenskyj die Trump-Regierung nun zumindest in die Bedrängnis, zu ihrem Wort zu stehen. Trump muss jetzt beweisen, ob seine Friedensidee für den Krieg in der Ukraine wirklich tragfähig ist. Denn ab einem Punkt muss sich auch Wladimir Putin bewegen. Selenskyj bietet jetzt eine sofortige Kampfpause an, aber nur, wenn auch die Russen die Waffen in der Luft, auf dem Land und zur See schweigen lassen.
- Eigene Überlegungen und Recherchen
- X-Profile von Lindsey Graham, Wolodymyr Selenskyj und Andriy Yermak (englisch)