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Russlands Angriff auf die Ukraine: Putins kapitale Fehler


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Russlands Angriff auf die Ukraine
Putins kapitale Fehler


Aktualisiert am 28.02.2022Lesedauer: 7 Min.
Ein russischer Panzer in der Ukraine: Größere ukrainische Städte konnte Russland bisher nicht einnehmen.Vergrößern des Bildes
Ein russischer Panzer in der Ukraine: Größere ukrainische Städte konnte Russland bisher nicht einnehmen. (Quelle: reuters)

Die Ukraine kämpft erbittert gegen die russische Invasion. Wladimir Putin hat sich verrechnet, seine Fehleinschätzungen werden am Ende fatale Folgen haben – selbst wenn Russland den Krieg gewinnt.

Die Ukraine überrascht. Sie leistet der russischen Armee heftigen Widerstand und bislang ist es der Atommacht nicht gelungen, größere Städte im Land einzunehmen. Der Kreml hat mittlerweile die Hoffnung auf einen schnellen Sieg verloren und verschärft noch einmal die Kriegsrhetorik. Die Kämpfe werden blutiger, es gibt viele Opfer auf beiden Seiten.

Getötete Soldaten, scharfe Sanktionen und internationale Ächtung: Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich für einen Angriffskrieg entschieden – trotz der hohen Kosten. Schon nach dem vierten Tag der Invasion ist klar, dass man sich in Moskau den Feldzug anders vorgestellt hat. Putin hat sich verkalkuliert und der gesamte Krieg droht für ihn zum Desaster zu werden.

Egal wie der Krieg ausgeht, Putin hat schon verloren. Dafür sind mehrere Fehleinschätzungen der russischen Führung im Vorfeld der Operation verantwortlich. Diese werden am Ende schwere strategische Folgen für Russland haben.

Putins gescheiterter Plan

Es ist davon auszugehen, dass Putin seinen Angriff schon lange geplant hatte. Der Kreml hat in den vergangenen Monaten westliche Politiker immer wieder angelogen, vorgeführt und den Konflikt immer eskalieren lassen – trotz intensiver diplomatischer Bemühungen. Für den Krieg gab es keinen glaubhaften Grund und der Kreml erfand das Märchen eines drohenden Genozids im Donbass.

Putin geht es aber um seinen Einflussbereich. Er fürchtet nicht die Nato, sondern vielmehr eine erfolgreiche Demokratie an seiner Grenze. Der russische Präsident will seine Herrschaft sichern und dabei setzt er – wie so oft – auf Regression in Russland und auf Aggression in der Außenpolitik.

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Aber der Angriff auf die Ukraine war von Anfang an heikel. Der Plan war klar: Russland wollte in der Ukraine einen schnellen Enthauptungsschlag und in Kiew eine neue russlandfreundliche Regierung einsetzen – in 48 Stunden sollte alles vorbei sein. Dafür sollte die gegnerische Luftverteidigung und Luftwaffe in wenigen Stunden ausgeschaltet werden, aus dem Norden sollten Panzerverbände schnell auf Kiew vorrücken und Kräfte aus dem Süden sollten wahrscheinlich eine Landbrücke von der Krim zum Donbass einnehmen.

Dieser "Blitzkrieg"-Plan hätte zu einem raschen Kriegsende führen sollen, weil die Ukraine führungslos gewesen wäre. Zumindest ist Moskau offenbar davon ausgegangen, dass sie mit dieser Strategie nicht das ganze Land hätten erobern müssen.

Schwere Fehler vor Kriegsbeginn

Putin wollte schnell russische Panzer auf dem Maidan in Kiew parken, doch nun findet sich seine Armee in blutigen Häuserkämpfen wieder. Sein Angriffsplan ist gescheitert und Russland ist auf einmal in einer miserablen Lage.

Dafür sind vor allem drei Fehleinschätzungen verantwortlich:

1. Fatale Unterschätzung der ukrainischen Armee

Russland hat die Ukraine komplett unterschätzt. Bei der Annexion der Krim 2014 hatten es die russischen Truppen mit einer ukrainischen Armee zu tun, die in einem desolaten Zustand war – mit schlechter Ausrüstung und großer Korruption. Die Einnahme der Halbinsel gelang schnell, widerstandslos und ohne Verluste. Dieser Sieg wurde in Russland gefeiert, aber das hat die Kremlführung offenbar leichtsinnig gemacht.

Die ukrainische Armee von heute ist besser ausgebildet und ausgerüstet als 2014. Trotzdem plante die russische Armee ihren schnellen Vorstoß auf Kiew nachlässig: Die Bilder, die uns aus der Ukraine erreichen, lassen vermuten, dass zunächst Panzer und Raketenwerfer aus alten Sowjetbeständen eingesetzt wurden. Nicht einmal die ukrainische Luftwaffe und Luftverteidigung war komplett ausgeschaltet, als die russische Armee mit der Bodenoffensive begann. Letzteres führte zu Abschüssen von Flugzeugen und Helikoptern durch die Ukraine.

Dieses Vorgehen zeigt, wie wenig Respekt Putin vor den ukrainischen Streitkräften hatte, obwohl diese vom Westen hochgerüstet wurden. Ein fataler Fehler.

2. Es braucht Kampfmoral

Neben der Schlagkraft hat Russland auch die Moral der Ukrainerinnen und Ukrainer nicht ernst genommen. Die große Mehrheit der Bevölkerung außerhalb des Donbass lehnt eine russische Herrschaft ab und Putins Truppen werden nach ihrem Überfall auf das Land nicht als Befreier gefeiert. Im Gegenteil.

Die Menschen in der Ukraine zeigen eine erbitterte Moral, die Souveränität ihres Landes zu verteidigen. Das gilt nicht nur für die Armee, sondern schon vor der Generalmobilmachung meldeten sich viele Freiwillige für mögliche Kampfeinsätze. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj geht mit gutem Beispiel voran und avanciert zum Kriegshelden. Trotz der Gefahr bleibt er in Kiew, wendet sich regelmäßig öffentlich an die Bevölkerung und steigert damit die Kampfmoral. In der Vorstellung Moskaus hätte man Selenskyj entweder schnell gefangen genommen oder die USA hätten ihn ausgeflogen, inklusive Geldkoffer.

Vielleicht hat man in Russland die ukrainische Regierung solange als US-Marionette dargestellt, dass man diese Propaganda irgendwann selbst geglaubt hat. Die Ukraine hält momentan militärisch einer Atommacht stand, das lässt die Moral mit jedem Kriegstag noch größer werden.

Wie es dagegen in der russischen Armee aussieht, ist unklar. Sie muss gegen ein "Brudervolk" kämpfen, viele haben Freunde oder Verwandte in der Ukraine. Die ukrainische Regierung erklärte am Wochenende, dass russische Soldaten in Gefangenschaft erklärten, dass sie beim Marschbefehl von einer Übung ausgingen, nicht von einem Angriff auf die Ukraine. Das könnte natürlich ukrainische Propaganda sein oder tatsächlich die russische Strategie, um die Moral der eigenen Soldaten nicht schon vor der Operation zu schwächen.

3. Entschlossenheit des Westens

Der Zeitpunkt von Putins Invasion war kein Zufall. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel war gerade abgetreten, in Deutschland musste eine neue Bundesregierung sich erst finden. In Frankreich ringt Emmanuel Macron im April um seine Wiederwahl und kann einen Konflikt mit Russland gar nicht gebrauchen. In den Augen Putins macht das die Europäische Union noch schwächer und führungsloser als sonst.

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Auch die US-Gesellschaft ist gespalten, die Zustimmungswerte von US-Präsident Joe Biden sind seit längerem im freien Fall. Die Supermacht ist mit vielen innenpolitischen Problemen beschäftigt und allgemein kriegsmüde. Auch das wertet man in Moskau als Schwäche.

Doch auch hier war es eine Fehlkalkulation. Nach Russlands Invasion in die Ukraine stand der Westen geschlossen zusammen und verabschiedete Sanktionen, die beispiellos sind. Der Teil-Ausschluss russischer Banken aus dem Swift-Bankensystem und das EU-Flugverbot für russische Flugzeuge sind scharfe Waffen, aber nicht einmal das Schlimmste: Wenn wirklich die Teile der Devisenreserven der russischen Zentralbank im Ausland eingefroren werden, würde das in Russland noch größeren wirtschaftlichen Schaden anrichten.

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Putin seine Atomstreitkräfte in Einsatzbereitschaft versetzte und damit eine Drohung in Richtung Westen sendete.

Putin steht mit dem Rücken zur Wand

Das Problem: Auch wenn sich Putin die Kosten seines Angriffskrieges bewusst machen würde, könnte er nur schwer zurück. Russland musste schon einen hohen Preis zahlen – auch an Soldatenleben. Wenn er nun den Gesichtsverlust in Kauf nimmt und abzieht, wäre das ein Zeichen der Schwäche und wahrscheinlich politischer Selbstmord. Das ist keine Option für den Machtmenschen Putin.

Dabei haben seine Fehleinschätzungen schwere Folgen für Russland:

  • Kriegskosten: Der Kreml rechnete mit einem kurzen Krieg, aber der könnte nun lang und teuer werden – mehr Soldaten sterben, mehr Gerät wird zerstört, mehr Munition wird verschossen.
  • Drohpotenzial: Die russische Armee macht Russland zu einer Großmacht und eben diese erlebt gerade eine Blamage in der Ukraine. Das schadet dem russischen Abschreckungspotenzial.
  • Rückhalt in der Bevölkerung: Offiziell will Russland nicht die ukrainische Bevölkerung angreifen. Wenn Moskau jedoch die ukrainischen Städte einnehmen möchte, muss es das tun. Schon jetzt empfinden viele Menschen in Russland den Krieg als Schande und mit jedem russischen Sarg, der aus der Ukraine nach Hause kommt, wird das Murren in der russischen Bevölkerung größer werden. Das wollte Putin mit einem unblutigen und schnellen Angriff verhindern. Nun steht er innenpolitisch unter Druck.
    https://twitter.com/SilkeBigalke/status/1497962056686862337
  • Selbstbewusstsein der eigenständigen Ukraine: Wenn die ukrainische Regierung einen Waffenstillstand und einen Frieden gewinnen kann, dann hat Russland Selenskyj zum Nationalhelden der Ukraine gemacht. Dessen Macht wäre vorerst gesichert.
  • Europa geht auf Abstand zu Russland: Putin hat sein Land von den europäischen Partnern isoliert. Die Nato stellt Zehntausende Soldaten in Osteuropa auf und sogar Deutschland rüstet auf. Das verändert für Russland die Sicherheitslage und es war eigentlich das, was der Kreml verhindern wollte. USA, EU und Großbritannien rücken in dem Konflikt zusammen, haben eine politische Linie.
  • Rohstoffmacht verfliegt: Moskau nutzt die Rohstoffabhängigkeit der europäischen Staaten, um Machtpolitik zu betreiben und dabei auch noch sehr viel Geld zu verdienen. Das steht nun alles auf dem Spiel, da Europa durch diesen Krieg energieunabhängiger werden will. Der politische und wirtschaftliche Schaden für Russland wäre massiv.
  • Abhängigkeit von China: Putin hat sein Land in eine große Abhängigkeit von China getrieben – wirtschaftlich und finanzpolitisch. Wenn der Westen Russland isoliert, bleibt dem Kreml nur Peking, besonders als Absatzmarkt für seine Rohstoffe. Das gibt dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping eine gewisse Kontrolle über Putin, denn ohne China stünde dieser international fast alleine da.

Das alles sind schwere Implikationen, die der Kreml für die Invasion in die Ukraine in Kauf genommen hat und die kaum in Relation zu einem möglichen strategischen Nutzen zu stehen scheinen. Putin hat eigentlich schon verloren, auch wenn er am Ende den Krieg doch noch gewinnen sollte. Der russischen Präsident hat mit der Entscheidung für einen Angriff seinem Land massiv geschadet – und wird es wahrscheinlich viele Jahre spüren.

Der Kremlchef steht mit dem Rücken zur Wand, aber das macht die Lage allgemein noch gefährlicher. Er droht mit Atomkrieg, sendete aber eine Delegation für Verhandlungen mit der Ukraine. Diese Sprunghaftigkeit zeigt eine gewisse Überforderung mit der Lage. Vertrauen sollte man russischen Zusagen momentan in jedem Fall nicht.

Die Kosten für diesen Krieg waren so hoch, dass Russland sich nicht ohne etwas zurückziehen wird, das es innenpolitisch als Erfolg verkaufen kann. Im Gegenteil: Wahrscheinlicher ist sogar, dass Putin seine Ziele in der Ukraine mit aller Kraft durchzusetzen versucht – und dabei auch ein Blutbad in Kauf nimmt. Die Ukraine kann nur hoffen, dass die russische Bevölkerung oder der Führungskreis im Kreml irgendwann aufsteht – gegen einen Präsidenten, der nicht mehr viel zu verlieren hat.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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