Lage an Grenze dramatisch Flüchtlingskrise: Seehofer ruft EU-Staaten zu Hilfe
Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert EU-Unterstützung bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms. Deutschland und Polen könnten das Problem nicht allein lösen. Derweil spitzt sich die Lage zu.
Der Streit zwischen Belarus und seinen Nachbarländern über Grenzübertritte von Migranten verschärft sich zusehends. Polen warf der belarussischen Führung am Montag vor, eine "große Provokation" vorzubereiten. Die Regierung in Warschau stellt sich nach Worten von Außenstaatssekretär Piotr Wawrzyk darauf ein, dass die Führung in Minsk massenweise Menschen nach Polen lassen will.
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"Belarus will einen bedeutenden Zwischenfall, Medienberichten zufolge möglichst mit Schüssen und Opfern", sagte Wawrzyk im staatlichen Radio.
Angesichts der Spannungen fordert Bundesinnenminister Horst Seehofer von den EU-Staaten Unterstützung. "Wir müssen der polnischen Regierung bei der Sicherung der Außengrenze helfen", sagte der CSU-Politker der "Bild"-Zeitung vom Dienstag. Alle EU-Staaten müssten nun zusammenstehen, da der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko versuche, die Schicksale der Flüchtlinge zu benutzen, "um den Westen zu destabilisieren".
Deutsche Polizisten angeboten
Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU), bot der Regierung in Warschau die Unterstützung deutscher Polizisten zur Sicherung der Grenze an. "Wir bieten Polen jede Hilfe an, um den Angriff auf die Grenze zu Belarus abzuwehren", sagte Mayer der "Bild"-Zeitung. "Deutschland könnte auch sehr zeitnah Polizeikräfte zur Unterstützung nach Polen schicken, wenn Polen dies möchte."
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber hat ein entschiedenes Auftreten der Europäischen Union gefordert. "Die europäische Botschaft muss sein: Es reicht!", sagte der Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europaparlament der Zeitung "Bild" (Dienstag). Er sprach sich für "verschärfte Sanktionen" gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko und sein Umfeld aus.
Die Unionsfraktion im Bundestag hält die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung gegen unerlaubte Einreisen über Belarus für richtig, aber nicht ausreichend. In einem Antrag von CDU/CSU heißt es, die Bundesregierung solle sich auf europäischer Ebene für Landeverbote und andere Sanktionen gegen solche Fluggesellschaften einsetzen, "die Migranten aufgrund der von Belarus missbräuchlich eingeräumten Visafreiheit befördern".
Litauen sichert Polen Hilfe zu
Nach Angaben der Behörden in Belarus machten sich am Montag Hunderte Migranten auf den Weg zur Grenze nach Polen. Auf Fotos war zu sehen, wie die Menschen in größeren Gruppen ihr Hab und Gut trugen. Ein Video, das die polnische Regierung verbreitete, zeigt wiederum, wie Migranten versuchten, den Stacheldrahtzaun an der Grenze mit Spaten und einem Baumstamm umzureißen. Ein polnischer Uniformierter ging mit Tränengas gegen die Männer vor.
Auch Litauen sagte Polen seinen Beistand zu. "Wir sind bereit, unserem Nachbarn jede erforderliche Unterstützung zu leisten, um diese Herausforderung der illegalen Migration zu meistern", twitterte Staatpräsident Gitanas Nausėda am Montag nach einem Telefonat mit seinem polnischen Amtskollegen Andrzej Duda. Das ebenfalls an Belarus grenzende Litauen stehe in "voller Solidarität" zu Polen.
Litauen verstärkt unterdessen seine Maßnahmen an der Grenze. Die Armee des baltischen EU- und Nato-Landes hat zudem die diensthabenden Militäreinheiten an der Grenze in höhere Alarmbereitsschaft versetzt.
Nato: Belarus setzt Geflüchtete als hybride Taktik ein
Die EU-Kommission forderte am Montagabend, dass neue Sanktionen gegen Belarus beschlossen werden sollen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: "Die Instrumentalisierung von Migranten für politische Zwecke durch Belarus ist inakzeptabel." Sie rufe die Mitgliedsstaaten zur Billigung erweiterter Sanktionen gegen die belarussischen Behörden auf.
Die Nato verurteilte das Handeln der belarussischen Führung. Mit dieser "Welle" von Flüchtlingen setze der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko die Nato-Mitgliedstaaten Litauen, Lettland und Polen gezielt unter Druck. Es sei "unakzeptabel, wie das Lukaschenko-Regime Flüchtlinge als hybride Taktik einsetzt", sagte ein Nato-Vertreter.
Er warnte Belarus davor, Geflüchtete gegen das Militärbündnis zu instrumentalisieren. Das Militärbündnis stehe bereit, die Verbündeten zu unterstützen und für Sicherheit zu sorgen.
Organisationen bringen Hilfsgüter
Aktivisten aus Deutschland schickten einen Bus mit Hilfsgütern in das Grenzgebiet. Der Bus der Initiativen Seebrücke Deutschland und LeaveNoOneBehind startete am Montag von Berlin aus. Er werde Hilfsgüter wie etwa warme Winterschuhe, Socken, Rettungsdecken und Stirnlampen nach Polen bringen, teilten die Organisatoren mit.
Ursprünglich hatten die Aktivisten geplant, auf dem Rückweg Migranten und Flüchtlinge aus Polen nach Deutschland zu bringen. Dies sei aber nur mit einer Aufnahmezusage des Bundesinnenministeriums möglich, teilte die Seebrücke mit. Eine entsprechende Anfrage sei am Donnerstag an das Ministerium gerichtet, aber bisher nicht beantwortet worden. "Wir erwarten eine Aufnahmezusage", die Lage im Grenzgebiet sei "eine einzige Katastrophe".
Pro Asyl verlangt Aufnahme
Auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl verlangte die Aufnahme und Versorgung der von Belarus aus ankommenden Flüchtlinge in Polen. "Den Zugang zu Asyl zu wahren, Flüchtlinge aufzunehmen und ihre Versorgung sicherzustellen, darauf haben wir uns in internationalen Verträgen geeinigt, das ist unsere Antwort auf Diktatoren", erklärte Pro-Asyl-Europareferent Karl Kopp am Montag.
Nur wenn internationales Recht und EU-Recht eingehalten würden, "können die Spirale der Eskalation gestoppt und Menschenleben geschützt werden", mahnte Kopp.
Polen schließt Grenzübergang
Wegen der angespannten Situation entschied sich die polnische Regierung dazu, einen Grenzübergang zu schließen. Ab Dienstag 7.00 Uhr werde der Grenzverkehr für Waren und Personen am Übergang Kuznica eingestellt, teilte der Grenzschutz am Montag über Twitter mit. Reisende wurden gebeten, auf die Grenzübergänge in Terespol und Bobrowniki auszuweichen.
Die Regierung in Warschau und die EU werfen dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Er hatte als Reaktion auf Sanktionen gegen sein Land erklärt, Menschen auf ihrem Weg zu einem besseren Leben im "gemütlichen Westen" nicht mehr aufzuhalten. In der Grenzregion gab es bereits mehrere Todesfälle unter Migranten.
Die EU-Staaten Polen und Litauen haben in den vergangenen Monaten Tausende Grenzübertritte gemeldet. Deutschland gilt als ein Hauptziel der Migranten.
- Nachrichtenagenturen dpa, Reuters, AFP