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Putin, Trump und AfD: Angriff auf Deutschland von drei Seiten


Politologe warnt
Deutschland ist jetzt dramatisch bedroht

MeinungEin Gastbeitrag von Timo Lochocki

20.02.2025 - 16:19 UhrLesedauer: 4 Min.
Donald Trump: Deutschland muss nun Führung für die liberalen Demokratien übernehmen, sagt Timo Lochocki.Vergrößern des Bildes
Donald Trump: Deutschland muss nun Führung für die liberalen Demokratien übernehmen, sagt Timo Lochocki. (Quelle: Rebecca Blackwell/AP/dpa)
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Die USA sind die globale Supermacht, allerdings wenden sie sich von Europa ab. Den liberalen Demokratien drohen dramatische Folgen. Im Gastbeitrag erklärt Politologe Timo Lochocki, wer nun gefragt sei: Deutschland.

Nach dem ankündigten Trump-Putin-Deal und nach der Rede von J. D. Vance in München ist die Demokratie in Europa und Deutschland so bedroht wie noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Wir werden von drei Seiten angegriffen: durch die autoritären Regime China und Russland, durch die AfD und einen zunehmenden identitätspolitischen Kulturkampf sowie durch die wachsende Distanz zum einstmals wichtigsten Alliierten USA, der Richtung Autoritarismus abdriftet.

Auch wenn es unserer deutschen Selbstwahrnehmung widerspricht: Nach dem Abschied der Vereinigten Staaten aus dem Kreis der "lupenreinen" Demokratien ist Deutschland aktuell die mächtigste liberale Demokratie der Welt. Das bringt mit großer Wucht die "deutsche Frage" zurück: Welche Rolle kann das wirtschaftliche und militärische Potenzial Deutschlands in der Mitte Europas zum Guten oder zum Schlechten für den Kontinent und die Welt spielen?

Zur Person

Timo Lochocki, Jahrgang 1985, ist promovierter Politologe. Lochocki forscht insbesondere zu rechtspopulistischen Parteien und zur Resilienz liberaler Demokratien in Europa. Nach einer Tätigkeit für den German Marshall Fund leitete er das Referat Strategische Planung im Bundesgesundheitsministerium während der Corona-Pandemie. Seit 2022 ist Lochocki als Berater für den Umgang mit antidemokratischen Kräften tätig. Gerade ist sein Buch "Deutsche Interessen. Wie wir zur stärksten Demokratie der Welt werden – und damit den liberalen Westen retten" erschienen.

Mit dem Rückzug der Amerikaner aus Europa wird dieses Potenzial die Zukunft des Kontinents entscheiden. Aber im Gegensatz zu 1914 und 1939 sind wir Deutschen dieses Mal die "Guten". Nicht wir bedrohen die Demokratie in Europa, sondern wir sind ihre beste Hoffnung. Deutschland ist viel mächtiger und handlungsfähiger, als wir glauben – und es gibt guten Grund zu großem Optimismus. Deutschland kann das neue Amerika werden, die Schutzmacht aller liberalen Demokratien.

Deutschland versuchte in zwei Weltkriegen eine Hegemonie über Europa zu erzwingen, scheiterte aber mit katastrophalen und grauenvollen Folgen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte die europäische Integration Deutschland einhegen. Doch die EU und ihre Vorläufer gaben keine Antwort auf die Frage, wer die europäische Sicherheit garantiert. Denn die USA ersetzten die europäische Sicherheitsordnung durch eine amerikanische.

Deutschland muss seine Rolle finden

Die Omnipräsenz von US-Truppen und vor allem der US-Nuklearschirm machten alle innereuropäischen Absprachen sekundär. Nun, weil die USA sich aus Europa zurückziehen wollen, gar die Demokratien der EU als Gegner betrachten, steht die europäische Sicherheitsordnung wieder grundlegend zur Disposition. Und mit ihr die deutsche Rolle darin. Denn nur das deutsche wirtschaftliche und militärische Potenzial kann die Sicherheit des Kontinents garantieren, nur wir verfügen über die Finanzkraft, die damit verbundenen Kosten über Jahrzehnte zu stemmen.

In diesen Tagen bietet sich uns die einmalige historische Chance, Deutschlands Potenzial zum Wohl der Demokratie in der Welt auszuspielen. Erstmals kann die deutsche Frage Europa nicht spalten, sondern einigen. Europa braucht eine eigenständige Sicherheitsstruktur ohne die USA. Diese Sicherheitsstruktur muss das digitale Netz, den demokratischen Debattenraum, die konventionellen Streitkräfte und vor allem die nukleare Abschreckung einbeziehen und so konstruiert werden, dass sie möglichst viele Länder zusammenführt.

Ideal wäre eine EU-weite Allianz, die aber aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen sehr unwahrscheinlich ist. Stattdessen müssen einige Staaten mutig vorangehen. Leider fallen die beiden Atommächte Frankreich und Großbritannien als zentrale Akteure, die vorangehen, aus. Denn beide Staaten werden ihren nuklearen Schutzschirm nicht über Europa spannen und den Verbündeten hierbei ein Mitspracherecht gewähren. Das würde als fundamentale Einschränkung ihrer nationalen Souveränität aufgefasst werden. Die Stärke von rechtspopulistischen und nationalistischen Parteien in beiden Staaten wird verhindern, dass sie ihr nukleares Know-how teilen.

Daher müssen die durch Russland und China am meisten gefährdeten nord- und osteuropäischen Staaten nach anderen starken Partnern suchen, mit denen sie Sicherheitsallianzen unterhalb der Nato bilden können. Ihr natürlicher Verbündeter USA fällt als Bollwerk gegen Russland aus.

Ausgestreckte Hand

Deutschland muss den nord- und mitteleuropäischen Staaten anbieten, seine enormen wirtschaftlichen und (potenziellen) militärischen Ressourcen in einen neuen Staatenbund einzubinden: die Hanse 2.0. Die Balten, Mittelosteuropäer, Skandinavier und die Benelux-Staaten sollten ihre digitalen Netze und konventionellen Streitkräfte mit Deutschland aufs Engste verbinden und unter einen gemeinsamen Oberbefehl stellen. In der Konsequenz werden diese Staaten auch ihr eigenes nukleares Abschreckungspotenzial aufbauen. Die Kommandostrukturen und der rotierende Zugriff auf die Nuklearwaffen werden entsprechend der finanziellen und personellen Beiträge gestaltet.

Allein die Planungen dieser Allianz würden die Wahrscheinlichkeiten enorm erhöhen, dass Frankreich und Großbritannien doch noch einsteigen. Denn was nützte es ihnen, mit ihren veralteten und deutlich kleineren Nuklearstreitkräften nebenanzustehen? Und selbst wenn "nur" die Hanse 2.0. mutig vorangeht, wäre dies ein historischer Glücksfall. Es würde die deutsche Frage erstmals pro-europäisch klären, mit Deutschland als Führungsmacht der liberalen Demokratien dieser Welt.

Deutschland hat hierfür alle materiellen Möglichkeiten: Unser Schuldenstand ist historisch niedrig, unsere Volkswirtschaft ist – entgegen aller Unkenrufe – innovationsfähig und stark, die demokratischen Parteien werden auch nach der Wahl über Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat verfügen. Der Ball liegt sozusagen für Deutschland auf dem Elfmeterpunkt.

Die kommenden Wochen und Monate sind entscheidend. Uns bieten sich zwei Möglichkeiten: Entweder kuschen wir vor der Trump-Regierung und flüchten uns in unser gewohntes Abwarten und Klein-Klein. Dann werden wir – wie auch der Rest Europas – über kurz- oder lang ein (nationalistischer) Vasallenstaat der autoritären Regime Russlands, Chinas und auch der USA. Ungarn ist hier ein abschreckendes Beispiel.

Oder aber wir nehmen die Zügel der Weltgeschichte selbst in die Hand. Deutschland kann und muss die neue Führungsmacht des liberalen Westens werden. Die deutsche Frage wurde stets als ein Kampf eines antidemokratischen und nationalistischen Deutschlands gegen die europäischen Demokratien gelesen. Nun ist es umgekehrt. Uns bietet sich die historische Chance, die deutsche Frage neu zu beantworten. Greifen wir zu!

Verwendete Quellen
  • Gastbeitrag von Timo Lochocki
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