Anschlagsserie in Afghanistan Terror in Kabul: wohl Dutzende Tote – etliche US-Soldaten darunter
Terroristen richten in Kabul ein Massaker an. Sie töten viele Afghanen und mindestens 13 US-Soldaten. Den Evakuierungseinsatz will US-Präsident Biden trotzdem fortsetzen. Das Militär warnt vor weiteren Anschlägen.
Vor dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul hat es zwei Explosionen gegeben – eine an einem der Flughafentore und eine bei einem nahe gelegen Hotel. Die britische BBC berichtet unter Berufung auf einen Gesundheitsbeamten von mindestens 60 Todesopfern und 140 Verletzten. Die Taliban sprachen bislang von bis zu 20 Toten und mehr 52 Verletzten. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) bekannte sich über den Internet-Dienst Telegram zu dem Angriff.
Unter den Todesopfern sind nach Angaben der US-Regierung auch 13 amerikanische Soldaten, 18 weitere seien verletzt worden. Auch zahlreiche Afghanen seien der Attacke zum Opfer gefallen. US-Präsident Joe Biden kündigte nach den Anschlägen Vergeltung an. "Wir werden nicht vergeben. Wir werden nicht vergessen", sagte Biden im Weißen Haus an die Adresse der Verantwortlichen für die Attacken gerichtet.
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Soldaten der Bundeswehr oder Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und der Bundespolizei kamen nach Angaben von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nicht zu Schaden. Sie seien alle ausgeflogen worden.
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Der Abflug der Maschinen fand unmittelbar nach den zwei Anschlägen vor dem Flughafen statt. Am Abend teilte die Bundeswehr auf Twitter mit, die letzte von vier A400M-Militärmaschinen sei in der usbekischen Hauptstadt Taschkent gelandet. Am Freitagnachmittag sollen die Einsatzkräfte der Bundeswehr wieder nach Deutschland zurückkehren.
"Wir erwarten, dass diese Angriffe weitergehen werden"
Der Chef des Zentralkommandos der US-Streitkräfte, General Kenneth McKenzie erklärte, zwei Selbstmordattentäter hätten Sprengsätze in der Nähe des Abbey Gate am Kabuler Flughafen und des nahe gelegenen Baron Hotels gezündet. Anschließend hätten mehrere IS-Kämpfer das Feuer auf Zivilisten und Militärs eröffnet. "Wir erwarten, dass diese Angriffe weitergehen werden", sagte McKenzie weiter.
Im Baron Hotel hatten die USA und andere westliche Staaten Menschen untergebracht, die außer Landes gebracht werden sollten. Wegen der chaotischen und gefährlichen Lage am Flughafen waren einige von ihnen von dort mit Hubschraubern abgeholt worden.
In der Nacht zum Freitag war in Kabul eine weitere gewaltige Explosion zu hören. Taliban-Sprecher Mudschahid erklärte, es habe sich um eine kontrollierte Explosion gehandelt, bei der US-Truppen die Ausrüstung des Flughafens zerstört hätten. Von unabhängiger Seite lag zunächst keine Bestätigung dafür vor.
Bilder zeigen Rauchwolke über dem Flughafen
US-Soldaten hätten an einem anderen Flughafengate Tränengas eingesetzt, um die Menschen auseinander zu treiben, berichtete ein Bewohner Kabuls, der an diesem Gate war. Er schätzte, zu dem Zeitpunkt hätten dort 2.000 bis 4.000 Menschen gestanden. Mehrere Frauen und Mädchen seien durch das Tränengas verletzt worden.
Ein auf Twitter geteiltes Bild, das offenbar vom Inneren des Flughafengeländes aufgenommen wurde, zeigte eine große Rauchwolke. Der lokale Fernsehsender ToloNews veröffentlichte auf Twitter Bilder, auf denen zu sehen ist, wie Verletzte in Schubkarren transportiert werden. Ein Augenzeuge erzählte dem TV-Sender die Explosion sei sehr stark gewesen. Manche Menschen seien ins Wasser gefallen – an einem Gate ist ein langer Wassergraben – und mehrere ausländische Soldaten seien zu Boden gefallen. Er habe auch Tote gesehen.
Wie konnten die Attentäter unbemerkt bleiben?
Die Frage ist, wie die Selbstmordattentäter an den Kontrollpunkten der Taliban unbemerkt vorbeikommen konnten. Die Islamisten haben ihre Präsenz rund um den Flughafen in den letzten Tagen deutlich verstärkt, es gab immer wieder Berichte, dass Menschen nicht zu den Toren gelassen wurden.
Die Taliban verurteilten die Anschläge. "Das Islamische Emirat verurteilt den Bombenanschlag gegen Zivilisten am Kabuler Flughafen scharf", erklärte ein Taliban-Sprecher auf Twitter. Der Sprecher fügte hinzu, die Explosionen hätten sich in einem Gebiet ereignet, in dem US-Soldaten "für die Sicherheit verantwortlich sind".
Die Kräfte der Taliban, die am Flughafen im Einsatz sind, werden dem Hakkani-Netzwerk zugerechnet, sagten US-Kräfte in Kabul dem US-Nachrichtensender CNN. Die Hakkani-Gruppe war in den vergangen Jahren immer wieder für Anschläge in Afghanistan verantwortlich.
Sicherheitslage hatte sich zuletzt zugespitzt
Die Sicherheitslage rund um den Flughafen hatte sich in den vergangenen Stunden noch einmal deutlich zugespitzt. Die deutsche Botschaft in Afghanistan und andere Stellen hatten vor einer Terrorgefahr gewarnt. Die US-Botschaft hatte US-Bürger, die sich am Abbey Gate, East Gate oder North Gate aufhielten, in der Nacht zu Donnerstag dazu aufgerufen, das Gebiet sofort zu verlassen.
Seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban versuchen Tausende Menschen, aus Afghanistan zu fliehen. Seit mehr als einer Woche versammeln sie sich rund um verschiedene Eingänge des Flughafens, um auf einen Evakuierungsflug zu kommen. Dabei herrschten rund um den Flughafen dramatische Zustände – mehrere Menschen sind ums Leben gekommen.
Deutschland hat Rettungsflüge beendet
Einige internationale Partner hatten die USA zu einer Verlängerung des Einsatzes aufgefordert, um noch mehr Zeit für die Evakuierungen zu haben. Der Militäreinsatz ist von den US-Truppen abhängig. Taliban-Kämpfer sollen an ihren Kontrollstellen im Umfeld des Flughafens bereits mehrere Attentäter des IS abgefangen und getötet haben, heißt es aus Militärkreisen.
Wie Deutschland beendeten auch die Niederlande am Donnerstag ihre Rettungsflüge. Frankreich fliegt spätestens am Freitagmorgen zum letzten Mal zu Evakuierende aus. Durch die Bundeswehr wurden laut Auswärtigem Amt vom Donnerstagabend mehr als 5.300 Menschen ausgeflogen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte die Bluttat als "absolut niederträchtig". Der britische Premierminister Boris Johnson berief eine Krisensitzung ein. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Lage bei einem Besuch in Dublin als "extrem angespannt".
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich entsetzt gezeigt: "Ich verurteile den grausamen Terroranschlag vor dem Flughafen Kabul auf das Schärfste", teilte er am Donnerstag mit. Priorität der Nato bleibe es, möglichst schnell möglichst viele Menschen in Sicherheit zu bringen. Seine Gedanken seien bei allen Betroffenen des Anschlags und ihren Angehörigen. Die Vereinten Nationen kündigten ein Krisentreffen des UN-Sicherheitsrates zu Afghanistan für Montag an.
- Nachrichtenagenturen dpa, Reuters, AFP