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Ukraine-Konflikt: Das verrät Russlands Militärlager über Putins Pläne


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Grenze zur Ukraine
Putins Militärlager offenbart mögliche Angriffspläne


Aktualisiert am 17.04.2021Lesedauer: 5 Min.
Wladimir Putin in Uniform 2019: Über seine tatsächlichen Pläne hält sich der Präsident bedeckt.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin in Uniform 2019: Über seine tatsächlichen Pläne hält sich der Präsident bedeckt. (Quelle: Alexei Nikolsky/imago-images-bilder)
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Panzer, Soldaten und Munition – seit Tagen formiert sich an der ukrainischen Grenze ein neues russisches Militärlager. Experten sehen darin Hinweise auf die Pläne von Präsident Putin.

Die Sorge vor einer Eskalation wächst rasant. Russland bewege derzeit so viele Soldaten wie noch nie seit Ausbruch des Ukraine-Konflikts an die Grenze, sagte US-Diplomatin Courtney Austrian. Seit Beginn des Jahres wird im Donbass wieder verstärkt gekämpft. 28 ukrainische Soldaten sind seitdem bereits ums Leben gekommen.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Joe Biden fordern Russlands Präsidenten Wladimir Putin zum Rückzug auf. Der sieht sich vom Westen und der Ukraine bedroht, verurteilt Waffenlieferungen in die Ukraine, ist erzürnt wegen Kriegsschiffen im Schwarzen Meer und mobilisiert seine Truppen. Aufnahmen davon sehen Sie oben im Video oder hier.

Doch welches Ziel verfolgt Putin mit der Ukraine? Eine neue, riesige Militärbasis steht beispielhaft für das russische Vorgehen – und gibt Experten erste Hinweise.

Neue Nachbarn in Woronesch

Das Lager entstand in den vergangenen Tagen auf einem Feld südlich von Woronesch, etwa 250 Kilometer von der ukrainischen Grenze und der Region Donbass entfernt. Anwohner gehen öfter zum Pilzesammeln dorthin – nun stehen dort Zelte und Panzer.

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Bekannt gemacht hatte die Militärbasis der Analyst Ruslan Lewijew vom Conflict Intelligence Team. Er wertete Fotos und Videos der Panzertransporte aus und verfolgte ihre Spur nach Woronesch. Satellitenbilder, die New-York-Times-Journalist Christiaan Triebert veröffentlichte, belegen, dass es sich um ein Militärlager handelt.

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Waffentechnik aus dem Syrienkrieg

Experten erkennen auf den Bildern Panzerhaubitzen und Radschützenpanzer, zudem sind Panzertransporter zu sehen und Mehrfachraketenwerfer des Typs TOS-1, die in der Lage sind, thermobarische Sprengköpfe abzufeuern. Diese erzeugen nach der Explosion einen Unterdruck, entziehen dabei der Umgebung den Sauerstoff und sollen bereits in Syrien beim Angriff auf Aleppo zum Einsatz gekommen sein.

Auch zahlreiche Videos und Fotoaufnahmen in den sozialen Netzwerken belegen die russischen Truppenbewegungen und das Militärcamp. Neben mobilen Kommunikationsfahrzeugen haben Experten einen Buk-M2-Lenkwaffenstarter identifiziert. Mit einer solchen Waffe, einer Buk-M1, wurde 2014 das Passierflugzeug MH17 in der Nähe von Donezk abgeschossen.

Panzer aus ganz Russland bewegen sich nach Westen

Mindestens vierzehn verschiedene Bodentruppeneinheiten hat Analyst Thomas Bullock gezählt. Die Nummern auf den Fahrzeugen geben Auskunft über die Herkunftsregion. Demnach verlegt Russland auch Panzer aus dem über 3.000 Kilometer entfernten Sibirien an die ukrainische Grenze.

Militärexperte Gustav Gressel von der Denkfabrik "European Council of Foreign Relations" berichtet in einem Gespräch mit t-online von Munitionstransporten und sogenannten Pipelinepionieren, die er auf Aufnahmen identifiziert hat.

"Pipelinepioniere brauche ich, um große Verbände in gegnerischem Territorium vorzubringen. Damit lassen sich Pipelines verlegen und somit Dieselkraftstoff für Panzer besorgen. Zudem brauche ich die Pipelines, wenn ich Flughäfen in den Vollbetrieb stellen will. Also ein ständiges Ein- und Ausfliegen bei Angriffen auf Gegner habe."

Übungen zur Bombardierung von Seezielen

Schwieriger zu beobachten sind die Aktivitäten der Luftwaffe, da deren Basen weitestgehend abgeschottet sind, sagt Gressel. Gesichert ist allerdings, dass das russische Militär Kampfjets derzeit in Richtung Schwarzes Meer verlegt, um dort gemeinsam mit dem südlichen Militärdistrikt (SMD) und der Schwarzmeerflotte die Bombardierung von Seezielen zu üben.

Wie das russische Verteidigungsministerium erklärte, soll die Luftwaffe allerdings nicht nur Übungen fliegen, sondern auch "die Sicherheit im Schwarzen Meer gewährleisten." Im Asowschen Meer, also ebenfalls unmittelbar vor der Region Donbass, wurden darüber hinaus Kanonenboote der Kaspischen Flotte gesichtet. Mehr dazu sehen Sie oben im Video oder hier.

Weitere Militärbasen sind wahrscheinlich

Seit Jahren ist Russland mit Truppen auf der Krim und im Donbass präsent. Doch auch dort werden die Einheiten derzeit aufgestockt. Im neuen Lager bei Woronesch befinden sich neben Militärfahrzeugen auch Zelte für Bodentruppen sowie Soldaten der Luftverteidigung und Artillerie.

Insgesamt sollen sich etwa 48 Bataillone in der Grenzregion um die Ukraine aufhalten. Wie viele genau, "das ist schwer zu sagen", sagt Militärexperte Gressel zu t-online. "Wir können den russischen Militärfunk nicht mithören und müssen uns auf offene Informationen verlassen und da gibt es vieles, das wir nicht sehen und nicht wissen."

Bis zu hunderttausend russische Soldaten

Vermutlich ist das Lager bei Woronesch nicht das einzige. Militäranalyst Konrad Muzyka geht davon aus, dass es mehrere Basen geben muss, da auf Airbus-Satellitenbildern zu erkennen sei, dass sich alle Einheiten des südlichen Militärdistrikts (SMD) aus ihren Basen bewegt haben. Was lässt sich also über die Anzahl der Soldaten sagen, die rund um die ukrainische Grenze stationiert wurden?

"Die Gesamttruppenstärke lässt sich nur in einer Spanne zwischen 40.000 und 100.000 schätzen", sagt Militärexperte Gressel. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, sagte am Donnerstag im Deutschlandfunk, dass die Ukraine davon ausgehe, dass sich die Zahl auf 110.000 erhöhen werde: "Das ist die Hälfte unserer Gesamtarmee", betonte Melnyk.

Damit wäre Russland der Ukraine in der Grenzregion zahlenmäßig bereits überlegen. "In der Donbass-Region halten sich ukrainische Truppen und pro-russische Kräfte mit etwa 30.000 die Waage", sagt Gustav Gressel. Doch im Hinterland stünden der Ukraine nur noch 30.000 weitere kampffähige Einsatzkräfte zur Verfügung.

"Russland wäre in der Lage, einen Großteil der ukrainischen Streitkräfte zu vernichten"

Das reine Zählen von Truppen sei heutzutage aber recht irrelevant, betont Gressel: "Wir sind nicht mehr im 18. Jahrhundert, wo sich Truppen linear aufstellen und wer die längere Linie hat, überflügelt den anderen und gewinnt automatisch." Viel wichtiger seien deshalb die militärischen Fähigkeiten der Einheiten, aber auch dabei sieht es für die Ukraine schlecht aus.

"Russland wäre in der Lage, einen Großteil der ukrainischen Streitkräfte zu vernichten", prognostiziert der Militärexperte. Zudem sei Russland mit seiner Luftwaffe deutlich überlegen und habe noch einen weiteren Vorteil: "Da die ukrainische Luftwaffe ausschließlich aus Erbgeräten der Sowjetunion betrieben wird, kennt die russische Luftabwehr deren Funkfrequenzen."

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Auffällig ist, was noch nicht zu sehen ist

Dennoch, im Gegensatz zu 2014 hat sich ukrainische Armee verbessert und Putin würde zahlreiche Soldaten verlieren, sollte er eine große Offensive wagen. Dagegen spricht laut Gressel auch, dass "ich auf den Internetbildern immer noch keine paramilitärischen Sicherheitskräfte sehe, was darauf schließen würde, dass Russland plant, ukrainisches Territorium dauerhaft zu besetzen."

Doch neben einer Eroberung von großen Teilen der Ukraine, als "Noworossija" (Neues Russland) bezeichnet, wären auch weitere Szenarien denkbar, wie die Schaffung eines Landkorridors zur Krim oder die Eroberung eines Brückenkopfs zum Festland, um, so zumindest das offizielle Argument, für die abgeschnittene Insel Wasser zu sichern.

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Solch begrenzte Eskalation würde bereits einen Zweck erfüllen, denn "wenn es nur darum geht, von der Ukraine politische Zugeständnisse militärisch zu erpressen, dann muss ich jetzt nicht die volle Invasion planen", so Gressel. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk ist anderer Meinung: "Der Aufmarsch ist mehr als Säbelrasseln oder Kriegstrommeln, wie viele in Deutschland glauben", sagte er, denn vielmehr trachte der Kreml danach, die Ukraine auszuradieren.

Machtdemonstration und Erpressung

Die Position des Lagers könnte aber auch auf andere Absichten hindeuten. Es befindet sich schließlich in unmittelbarer Nähe zur Kriegsregion Donbass. Auch dort ist die russische Militärpräsenz erhöht worden. "Die Truppen auf der Krim und bei Woronesch sollen eine Flankenbedrohung darstellen", schätzt Gressel die strategische Lage des Militärlagers ein. Dadurch muss die Ukraine Streitkräfte auch im Hinterland bereitstellen und könnte im Donbass schwerer eingreifen, falls die Situation dort weiter hochkocht.

Ein zweiter Beleg für die Absicht, die Ukraine zu erpressen, sind die vielen Videos und Fotos, die sich im Netz finden und auch die Tatsache, dass Journalisten nahe an die Militärbasis heran und berichten können. "Üblicherweise ist man bedacht, das Ganze zu verstecken", erklärt Gressel.

So werden Transporte nur bei Nacht durchgeführt und schwere Geräte mit Planen verdeckt, sodass diese aussehen wie normale Güterwaggons. "Um jemandem zu drohen, muss ich auch sichergehen, dass der andere sieht, dass ich bereit bin, loszuschlagen", sagt der Militärexperte. Diese Botschaft zumindest ist in der Ukraine und im Westen angekommen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Gustav Gressel
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa, AFP und Reuters
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