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Russland: Wie es Putin-Kritiker Nawalny im härtestem Straflager ergeht


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Krankheit und Hungerstreik
Wie es Alexej Nawalny in Russlands härtestem Straflager ergeht

  • Jonas Mueller-Töwe
Von J. Mueller-Töwe und M. von Lüpke

Aktualisiert am 07.04.2021Lesedauer: 4 Min.
Russland: Aufnahmen vor dem Straflager, in dem der erkrankte Kreml-Kritiker Alexej Nawalny inhaftiert ist, zeigen Festnahmen mehrerer Unterstützer – darunter auch Nawalnys Ärztin. (Quelle: Glomex)

Seit Wochen befindet sich Alexej Nawalny im Straflager, der Zustand des Putin-Kritikers verschlechtert sich weiter. t-online zeigt, wo und unter welchen Bedingungen Nawalny gefangen gehalten wird.

"Wenn man es mit Humor nimmt, ist es möglich, zu leben." Mit diesen Worten meldete sich Alexej Nawalny im März auf Instagram aus der Strafkolonie IK-2 im russischen Pokrow. Anfang Februar 2021 war der bekannte Oppositionelle von einem Gericht in Moskau zu mehr als zwei Jahren Straflager verurteilt worden. Der Vorwurf: Nawalny habe gegen Bewährungsauflagen verstoßen.

Der Galgenhumor ist Nawalny aber inzwischen abhandengekommen: Er befindet sich aus Protest im Hungerstreik, seine Gesundheit war nach einem Anschlag im vergangenen August, den er knapp überlebte, ohnehin angegriffen. Der Putin-Widersacher war dem hochgiftigen Kampfstoff Nowitschok ausgesetzt worden.

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"Zur Hölle mit ihm"

Nun muss Nawalny das Straflager erdulden. Die offiziell als "Besserungskolonie Nummer 2 mit allgemeinem Regime" (IK-2) bezeichnete Einrichtung ist in Russland als eine der härtesten ihrer Art berüchtigt. Sie liegt in der Kleinstadt Pokrow, im Oblast (Verwaltungsbezirk) Wladimir, fast 100 Kilometer in östlicher Richtung von der Hauptstadt Moskau entfernt.

Wie ist Nawalnys Zustand? Wie die Haftbedingungen? Wenig erfährt die Öffentlichkeit darüber – abseits der Briefe aus der Haft, die das Team des Oppositionellen verbreitet. Darin schildert Nawalny seine Erlebnisse. Die Zustände und der sarkastische Ton können Leser an Alexander Solschenizyns Schilderung der sowjetischen Gulags erinnern. Er berichtet von Drill, Schikanen und fehlender Versorgung.

"Lieber Alexander Alexandrowitsch", so beginnt Nawalny seinen Brief an den Gefängnisdirektor, in dem er seinen Hungerstreik publik macht und über Taubheitsgefühle in den Beinen klagt. "Aber zur Hölle mit ihm, diesem rechten Bein, Alexander Alexandrowitsch! Ich würde es irgendwie schaffen mit einem. Aber ich möchte nicht zwei Beine verlieren. Es wäre unfair: Jeder hat zwei und ich habe gar keins."

Auf Corona getestet

Es ist der Ton eines Dissidenten, der besagten Giftanschlag überlebt hat, der wiederum dem russischen Geheimdienst zugeschrieben wird. Er werde angesichts dessen "von vagen Zweifeln an den Ursachen der Krankheit gequält und den Aussichten auf Erholung", schreibt Nawalny. "Ich sehe keinen Sinn darin, neue Appelle und Erklärungen zu schreiben." Die vorerst einzige Lösung sei der Hungerstreik.

Vor einer Woche schrieb Nawalny diese Zeilen. Seitdem überschlagen sich die Nachrichten. Mit Fieber und Husten soll er ins Gefängniskrankenhaus gebracht worden sein. Mehrere Mitgefangene seien an Tuberkulose erkrankt, auch auf Corona sei Nawalny getestet worden. Die internationale Presse wartet vor den Türen des Straflagers auf Neuigkeiten. Erst am Mittwoch wurde ein CNN-Reporter dort festgenommen.

Straflager muten als Einrichtungen des Justizvollzugs archaisch an, und das sind sie auch. So ist es alles andere als ungewöhnlich, wenn die Angehörigen eines Verurteilten erst Wochen später offiziell den genauen Ort erfahren, an den ihr Verwandter gebracht worden ist. So war es laut "Neuer Zürcher Zeitung" auch bei dem 44-jährigen Nawalny.

Die "NZZ" schrieb auch, dass Nawalny laut einem Bürgerrechtsaktivisten bislang nicht misshandelt worden sei. Diese Ausnahme von der Regel könnte Nawalnys Prominenz geschuldet sein. Denn Gewalt und Willkür sind in Russlands Straflagern durchaus Alltag.

Bislang habe er nicht einmal einen Hinweis auf Gewalt gesehen, schrieb Nawalny bereits am 15. März aus der Haft. Doch wenn er strammstehenden Häftlingen zuschaue, die "Angst haben, ihren Kopf frei zu bewegen" – dann glaube er gerne an Geschichten darüber, wie dort "erst vor Kurzem Menschen mit Holzhämmern halb tot geprügelt" worden sein sollen.

"Sie brechen Dich"

Denn auch Folter ist in den Lagern keineswegs unbekannt. In verschiedenster Form. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International befürchtet sogar, dass der russische Staat damit in der Haft das vollbringen könnte, was der Anschlag auf Nawalny nicht vermochte.

"Russland, die russischen Behörden, bringen ihn möglicherweise in eine Situation eines langsamen Todes und versuchen zu verbergen, was mit ihm geschieht", sagte Agnes Callamard, die Generalsekretärin von Amnesty International (AI), der Nachrichtenagentur Reuters. Damit bezieht sie sich auf Nawalnys Schilderungen seiner Haft, etwa auf den Schlafentzug.

Nawalny wirft den Wächtern unter anderem vor, ihn achtmal in der Nacht zu wecken. Auch andere Arten der Misshandlung sind im Lager gebräuchlich laut dem Juristen Pjotr Kurjanov von der Nichtregierungsorganisation "Verteidigung der Rechte von Häftlingen", den das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zitiert: "Sie brechen Dich. Seit Langem ereignen sich dort furchtbare Dinge."

Sprechverbote, Hochsicherheitstrakt, immer wieder angeordnetes Bettenmachen, An- und Auskleiden und Stehen mit gesenktem Kopf seien Mittel der Zermürbung, schildern auch Nawalnys Mitarbeiter die allgemeinen Zustände in Pokrow. Eine andere Art bestehe im Falle des Oppositionellen in der Vorenthaltung eines Arztes, der die vielen Beschwerden des Inhaftierten Nawalny untersuche, wie auch Amnesty International nun kritisiert.

13 Kilogramm habe Nawalny mittlerweile abgenommen. Und er befürchtet, wie geschildert, seine Beine zu verlieren. Besserung ist allerdings fraglich, Nawalnys Ärztin Anastassija Wassiljewa ist mit anderen Medizinern der Organisation Allianz der Ärzte gestern vor dem Lager abgewiesen worden, ohne Nawalny gesehen zu haben.

Ob die russischen Behörden den Forderungen Nawalnys nachgeben werden, ist bislang nicht absehbar. Er werde behandelt wie jeder andere Häftling, heißt es lapidar.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
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