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Syrien: Wiederkehr des Arabischen Frühlings? "Die Wahrheit stirbt nie"


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"Die Wahrheit stirbt nie"
Syrien: Wie der Arabische Frühling doch wiederkehren könnte

MeinungEin Gastbeitrag von Gregor Jaecke, Beirut

27.01.2021Lesedauer: 4 Min.
Syrien: Jahre des Kriegs haben das Land zerstört, doch es besteht Hoffnung, schreibt Gregor Jaecke im Gastbeitrag.Vergrößern des Bildes
Syrien: Jahre des Kriegs haben das Land zerstört, doch es besteht Hoffnung, schreibt Gregor Jaecke im Gastbeitrag. (Quelle: Andrew Chittock/imago-images-bilder)

Viele Syrer wollten 2011 Freiheit und Demokratie, doch das Land versank im Krieg. Dennoch gibt es Hoffnung auf Besserung, schreibt Gregor Jaecke als Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung im Gastbeitrag.

Vor zehn Jahren, Anfang Februar 2011, riefen junge syrische Aktivisten im Internet zu Protesten im Land auf: "Syriens Tag des Zorns" lautete das Motto, unter dem die Facebook-Gruppe "The Syrian Revolution 2011" versuchte, ihre Anhänger zu mobilisieren – ähnlich wie es ihre Vorbilder in Tunesien und Ägypten zuvor erfolgreich getan hatten.

Ihr Ziel: größere Freiheiten, die Durchführung freier Wahlen, die Freilassung aller politischen Gefangenen sowie die Achtung der Menschenrechte. Doch ihr Versuch, auch in Syrien Massenproteste zu organisieren, scheiterte zunächst an der großen Angst der Bevölkerung vor dem Assad-Regime und seiner Geheimdienste. Aus dem "Tag des Zorns" wurde somit ein "Tag der Ernüchterung".

Proteste wie in Tunesien und Ägypten verhindern

Dutzende Sicherheitskräfte marschierten in den Straßen der großen Städte auf, das Internet wurde blockiert. Das Regime hatte zuvor deutlich gemacht, dass es keine Aufstände im Land dulden und diese sofort im Keim ersticken werde. So wie Baschars Vater Hafiz es 1982 getan hatte, als er eine Revolte der Muslimbrüder in der westsyrischen Stadt Hama blutig niederschlagen und Tausende Menschen töten ließ.

Gregor Jaecke ist seit Januar 2019 Leiter des Auslandsbüros Syrien/Irak der Konrad-Adenauer-Stiftung in Beirut (Libanon).

Diese grausame Erinnerung und Einschüchterungen der Geheimdienste führten dazu, dass die meisten Menschen in den ersten Februarwochen des Jahres 2011 zu Hause blieben. Das Regime war überzeugt, dass es in Syrien zu keinen Massenprotesten wie in Ägypten oder Tunesien kommen werde.

Die Lage änderte sich allerdings in den folgenden Wochen und Monaten schlagartig: Auslöser war vor allem die Festnahme und Misshandlung einer Gruppe Jugendlicher im südsyrischen Daraa Ende Februar 2011 durch Assads Sicherheitskräfte. Die Minderjährigen, die oppositionelle Parolen an die Mauer ihrer Schule gesprüht hatten, wurden von den Schergen des Diktators verhaftet und brutal gefoltert. Die Familien verlangten ihre Freilassung. Tausende Bewohner Daraas schlossen sich der Forderung an und demonstrierten vor der örtlichen Polizeidirektion.

Ein Bürgerkrieg entstand

Die Sicherheitskräfte reagierten brutal: Sie schossen in die Menge und töteten Dutzende Demonstrierende. Vor allem aufgrund dieses schrecklichen Ereignisses eskalierte die Lage ab März 2011 zunehmend, es kam im gesamten Land zu Aufständen. Die Protestler forderten zunächst politische Reformen und ein Leben in Würde. Wenig überraschend reagierte die Staatsgewalt auch weiterhin mit aller Härte: Panzer wurden eingesetzt und Sicherheitskräfte schossen wiederholt auf Protestierende. Immer mehr Syrer verlangten nun den Sturz des Regimes und damit das Ende der Alleinherrschaft der Baath-Partei, die seit 1963 die Geschicke Syriens lenkte.

Als Antwort auf das gewaltsame Durchgreifen des syrischen Regimes bildeten sich lokale bewaffnete Oppositionsgruppen, wie die sogenannte Freie Syrische Armee (FSA), mit dem Ziel, die Demonstranten zu schützen und Assad zu stürzen. Zahlreiche Soldaten desertierten und schlossen sich der Opposition an, es kam immer häufiger zu Belagerungen und bewaffneten Kämpfen zwischen den Widerstandsgruppen und dem Regime. Wenige Monate nach Beginn des "Arabischen Frühlings" in Syrien hatten sich die Proteste zu einem erbitterten Bürgerkrieg zwischen Regime-Anhängern und seinen Gegnern entwickelt.

Ein internationaler Stellvertreterkrieg

Zunehmend traten regionale Kräfte in den Konflikt ein, um das entstandene Machtvakuum zu füllen. Einige Golfstaaten, Israel, Iran und die Türkei unterstützten in der Folge finanziell, politisch und militärisch verschiedene Konfliktparteien. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen begünstigten ebenso das Erstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS), dem es gelang, die Wirren des Bürgerkrieges zu seinem Vorteil zu nutzen, Gebiete im Nordosten Syriens zu erobern und 2014 das "Kalifat" auszurufen.

Offiziell zum Kampf gegen die Terrororganisation traten schließlich auch globale Mächte, wie die USA und Russland, in den syrischen Konflikt ein, bekämpften aber auch Pro- beziehungsweise Anti-Regime-Kräfte. Aus dem Bürgerkrieg wurde ein globaler Stellvertreterkrieg, der bis heute anhält, eine friedliche Lösung erschwert und damit einer dauerhaften Stabilisierung des Landes entgegensteht.

Wo stehen wir heute? – Ein langer Weg zum Frieden

Um den eigenen Machterhalt zu sichern, ermordeten das Regime und seine Verbündeten schätzungsweise über eine halbe Million Syrer. Über 5,5 Millionen Menschen flohen vor Gewalt und Krieg ins Ausland und weitere 6,6 Millionen wurden zu Vertriebenen im eigenen Land. Hunger, Massenarmut und die Angst vor Verfolgung durch den brutalen Polizei- und Geheimdienstapparat bestimmen den Alltag der syrischen Bevölkerung.

Die Erfüllung der Forderung nach einem demokratischen Übergang ist weiterhin nicht in Sicht. Damit ist Syrien auch zehn Jahre nach Beginn des "Arabischen Frühlings" noch weit von einer Demokratisierung entfernt. Assad hat zwar weite Teile des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht, doch die Lage wird auch durch komplexe internationale und regionale Interessenskonflikte weiterhin instabil bleiben.

Wie kann es weitergehen?

Die Möglichkeiten der westlichen Staatengemeinschaft sind längst nicht ausgeschöpft und insbesondere Europa sollte den politischen Druck auf das Assad-Regime weiter erhöhen. Es dürfen darüber hinaus keine Zugeständnisse erfolgen, ohne dass das Regime einen glaubhaften politischen Transformationsprozess im Sinne der UN-Sicherheitsratsresolution 2.254 einleitet. Solange das Regime seine Blockadehaltung nicht aufgibt, dürfen Europa und die USA dem syrischen Machthaber nicht entgegenkommen und beispielsweise Sanktionen lockern oder Wiederaufbauhilfen leisten.

Langfristig hat Syrien nur ohne das Assad-Regime und unter Einbeziehung aller Syrer eine friedliche Zukunft. Die syrische Gesellschaft ist nach zehn Jahren Krieg tief gespalten. Ein möglicher Aussöhnungsprozess bedarf politischer Reformen, diese sind jedoch unter dem Assad-Clan undenkbar. Zudem ist eine juristische Aufarbeitung notwendig: Diejenigen, die schwere Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen begangen haben, müssen mit internationaler Unterstützung zur Rechenschaft gezogen werden.

Beispielhaft sei an dieser Stelle der derzeit vor dem deutschen Strafgericht in Koblenz stattfindende "Modellprozess" nach dem Weltrechtsprinzip genannt. Angeklagt sind zwei Syrer, die nach ihrer Ankunft in Deutschland von anderen Geflüchteten als Folterer in einem Assad-Gefängnis identifiziert wurden.

Aus Gesprächen mit syrischen Kooperationspartnern der Konrad-Adenauer-Stiftung weiß ich, dass viele Syrer noch immer an den Ideen und Hoffnungen des "Arabischen Frühlings" festhalten. So sagte man mir erst vor wenigen Wochen: "Die syrische Revolution ist eine Revolution der Wahrheit, und die Wahrheit stirbt nie."

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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