Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Feuerkatastrophe auf Lesbos Berichte aus Moria: "Die Polizei hat alles abgeriegelt"
Auf Lesbos ist das Elendslager Moria abgebrannt, fast 13.000 Flüchtlinge sind nun obdachlos. t-online sprach mit Mohammad Raza, der die Katastrophe miterlebt hat und in den Flammen alles verlor.
Ein Großbrand hat in der Nacht das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos fast vollständig zerstört. Nach letztem Stand wurde niemand verletzt, die griechische Regierung geht von Brandstiftung aus. Schon seit Jahren gibt es massive Kritik an den Zuständen im Camp. Nun sind die fast 13.000 Bewohner obdachlos. Überlebende wie Helfer berichten von dramatischen Zuständen.
Mohammad Raza hat die Katastrophe miterlebt. t-online schildert er am Telefon, wie sich in der Nacht die Flammen ausbreiteten, wie er mit seiner Frau und seinem jüngeren Sohn fliehen musste, und wie er nun vor dem Nichts steht.
- Katastrophe in Moria: Was wir wissen – und was nicht
Nach Razas Beobachtungen brach das Feuer in der Nacht in einem Wald außerhalb des Lagers aus. Sicherheitskräfte rückten an. Zuvor soll es Unruhen gegeben haben. "Die Menschen waren verärgert über die Lage im Camp. Die Polizei schoss mit Tränengas auf sie. Es war ein Chaos."
Anschließend hätten sich die Flammen ausgebreitet, zunächst in den Wäldern in der Umgebung, dann auch innerhalb des Camps. Razas Familie musste fliehen. Alles was sie bei sich hatten, fiel dem Feuer zum Opfer, berichtet der 33-Jährige.
Durch ein Unglück in Moria gestrandet
Raza spricht am Telefon gut Deutsch. Der gebürtige Afghane floh 2015 aus dem Iran nach Deutschland, zusammen mit seinem älteren Sohn. Er ging hier zur Berufsschule, arbeitete in der Krankenpflege und als Postbote, bevor ihn ein Unglück nach Moria brachte. Als er seine Frau und den jüngeren Sohn aus Teheran nach Deutschland holen wollte, verlor er seinen Pass. Die Flucht begann von Neuem. Anfang des Jahres strandete er mit seiner Familie auf Lesbos.
Ein paar Kilometer außerhalb von Moria harrt er am Morgen nach der Brandnacht gemeinsam mit Hunderten anderen Migranten aus. Auf dem Parkplatz vor einem Lidl-Supermarkt sitzt er mit seiner Familie und weiß nicht weiter. "Meiner Frau geht es nicht gut, meinem Sohn ist schlecht. Der Stress ist zu viel für sie."
Die Polizei habe Straßen in der Umgebung abgesperrt, berichtet Raza. Die Migranten stünden fast ohne Unterstützung da. Er habe Mitarbeiter von Unicef gesehen, doch die kümmerten sich vor allem um die Kinder. "Hilfe gibt es kaum, zu wenig für die vielen Menschen."
Auch Helfer schildern eine dramatische Versorgungslage vor Ort. Der Arzt und Sozialarbeiter Gerhard Trabert aus Mainz, der im Camp Menschen mit Behinderung unterstützt und zuletzt vor zwei Wochen auf Lesbos war, steht seit dem Morgen mit Helfern vor Ort in Kontakt. t-online sagt er am Telefon, dass es praktisch keinen Zugang zu den nun obdachlosen Migranten gebe. "Es wurde versucht, medizinisches Equipment, Lebensmittel und Trinkwasser zu den Bedürftigen zu bringen. Doch das war nicht möglich. Die Polizei hat alles abgeriegelt."
Politiker fordern Verteilung der Migranten aus Moria
Außenminister Heiko Maas (SPD) forderte am Morgen schnelle Unterstützung für Griechenland. "Dazu gehört auch die Verteilung von Geflüchteten unter Aufnahmewilligen in der EU", schrieb der Minister auf Twitter. Er bezeichnete das Feuer als "eine humanitäre Katastrophe". Mit der EU-Kommission und anderen hilfsbereiten EU-Mitgliedsstaaten müsse Deutschland schnellstens klären, wie Griechenland unterstützt werden könne.
Die Grünen appellierten an Innenminister Horst Seehofer, die Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland zu ermöglichen. Die Menschen müssten umgehend ausgeflogen werden, sagte die Bundestags-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. "Minister Seehofer, ich fordere Sie auf: Geben Sie ihren Widerstand auf und schlagen Sie die Aufnahmebereitschaft der Länder und Kommunen nicht länger in den Wind."
Am frühen Nachmittag kündigte ein Sprecher von Innenminister Horst Seehofer Hilfe für Griechenland an: "Wir befinden uns seit gestern in intensiven Gesprächen mit der griechischen Regierung", schrieb der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, bei Twitter. Er erklärte: "Wir haben Griechenland in der Vergangenheit geholfen und wir werden selbstverständlich auch jetzt helfen." Innenminister Horst Seehofer (CSU) habe dies bereits angeboten. Wie genau diese Hilfe aussehen könnte, teilte er nicht mit.
Die Unionsfraktion im Bundestag sprach sich hingegen gegen einen nationalen Alleingang bei der Hilfe aus. Deren innenpolitischer Sprecher, Mathias Middelberg, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die neueste Entwicklung auf Lesbos macht deutlich, wie dringend eine europäische Antwort auf die Flüchtlingsentwicklung ist." Griechenland müsse jetzt jede notwendige Unterstützung erhalten. Das EU-Türkei-Abkommen müsse umgesetzt und die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vorangetrieben werden. "Alleingänge Deutschlands wären nicht hilfreich, weil sie den Eindruck erwecken könnten, Deutschland werde die Flüchtlinge allein aufnehmen", betonte Middelberg.
Unruhen nach Corona-Ausbruch
Dem Großbrand vorangegangen waren nach Angaben der halbstaatlichen griechischen Nachrichtenagentur ANA-MPA Unruhen unter den Migranten, weil das Lager nach einem ersten Corona-Fall unter Quarantäne gestellt worden war. Am Dienstag wurde bekannt, dass die Zahl der Infizierten bei 35 liege. Manche Migranten hätten daraufhin das Lager verlassen wollen, um sich nicht mit dem Virus anzustecken. Einige Infizierte und ihre Kontaktpersonen, die isoliert werden sollten, hätten sich hingegen geweigert, das Lager zu verlassen und in Isolation gebracht zu werden.
Nach Ausbruch des Feuers hätten Lagerbewohner die Feuerwehrleute mit Steinen beworfen und versucht, sie an den Löscharbeiten zu hindern, berichtete der Einsatzleiter im Fernsehen. Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei waren im Einsatz – Athen hat nun weitere Einheiten vom Festland auf die Insel geschickt.
- Eigene Recherchen
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa