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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verschärfung des Korea-Konflikts Sprengmeister Kim hat in Wirklichkeit andere Sorgen
Mit einer Explosion verschärft Nordkorea erneut den Korea-Konflikt. Die Kim-Diktatur sprengt das Verbindungsbüro an der Grenze zu Südkorea. Aber dieser drastische Schritt offenbart auch die aktuelle Not des Regimes.
Eine große Rauchwolke ist über der nordkoreanischen Stadt Kaesong zu sehen. Bilder, die die südkoranische Nachrichtenagentur YNA und das südkoreanische Verteidigungsministerium veröffentlichen zeigen, dass ein großes Gebäude eingestürzt sein muss. Später wird klar: Es handelt sich um das Verbindungsbüro zu Südkorea, die Kim-Diktatur hat es gesprengt.
"Um 14.50 Uhr (Ortszeit) wurde das Verbindungsbüro auf tragische Weise mit einer fürchterlichen Explosion zerstört", berichten nordkoreanische Staatsmedien. Doch was wie ein tragischer Unfall klingt, war eine gezielte Provokation des Kim-Regimes in Richtung Südkorea. Damit werde der "menschliche Abschaum" bestraft und jene, die ihm Unterschlupf gewährt hätten, meint die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA. Der Norden bezeichnet Überläufer üblicherweise als "menschlichen Abschaum".
Ein Schrei nach Aufmerksamkeit
Nordkorea hätte das Gebäude einfach schließen können, die Sprengung war Propaganda und ein Zeichen der Wut. Trotzdem war dieser drastische Schritt keine Überraschung. Die einflussreiche Schwester von Machthaber Kim Jong Un, Kim Yo Jong, hatte zuvor mit dem Abriss des "nutzlosen" Gebäudes in der grenznahen Stadt gedroht. Zuletzt flogen immer wieder Luftballons aus Südkorea über die Grenze in den Norden. An ihnen hefteten Nachrichten von nordkoreanischen Flüchtlingen, die zum Aufstand gegen das Kim-Regime aufforderten. Nordkorea empfand das als massive Provokation und gab dem Süden die Schuld.
Aber das ist nur ein Grund für die derzeitige Zuspitzung des Konfliktes: Die isolierte Diktatur findet international kaum noch Beachtung, trotz atomarer Drohgebärden und Raketenabschüssen. Dabei ist das Land dringend auf Hilfen aus dem Ausland angewiesen, auch durch die Corona-Pandemie entstand eine große Hungersnot im Land. Die Sprengung eines wichtigen Symbols ist deshalb vor allem ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Das nordkoreanische Regime sieht seine Existenz gefährdet, wenn es seine Bevölkerung nicht ernähren und gleichzeitig ihre alten Feindbilder pflegen kann: Das des kapitalistischen Südens und das der USA.
Zerstörung eines Symbols
Das Verbindungsbüro war einst das "Symbol des Friedens". Dessen Einrichtung war ein konkretes Ergebnis des ersten Gipfeltreffens zwischen dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In und Kim Jong Un im April 2018. Sein Zweck war es unter anderem, sich jederzeit über bilaterale Angelegenheiten beraten zu können. Seoul wollte das Büro auch dazu nutzen, um mit Nordkorea über den Abbau von dessen Atomwaffenprogramm zu sprechen.
Nun liegt es das 15-stöckige Gebäude in Schutt und Asche. Durch die Corona-Pandemie war es ohnehin momentan verwaist, die Gespräche lagen auf Eis. Zum einen wirft Pjöngjang der Regierung in Seoul vor, die Propaganda-Aktionen mit den Luftballons zu tolerieren. Ende Mai wurden dabei etwa 500.000 Flugblätter in den Norden losgeschickt.
Das nordkoreanische Regime sieht in diesen Aktionen eine Beleidigung der Würde des Machthabers Kim Jong Un. Deshalb hatte Nordkorea zuvor schon die Telefon- und Faxleitungen zum Süden gekappt und mit dem Abbruch aller Kontakte sowie mit weiteren Vergeltungsmaßnahmen gedroht.
Nordkorea findet kaum noch Beachtung
Die Zeit der Drohgebärden ist zurück, aber dem Norden geht es eigentlich mehr als um Flugblätter aus dem Süden. Machthaber Kim Jong Un vermochte es im letzten halben Jahr nicht mehr, die USA, Südkorea und China mit Provokationen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Dabei legte sich das nordkoreanische Regime ins Zeug: Erst im April führte das nordkoreanische Militär erneut Raketentests durch und Kim drohte mit einem "Mega-Raketenwerfer". Doch außer einiger wütender Reaktionen, beispielsweise aus Japan, verpuffte die internationale Empörung schnell wieder. Man scheint Nordkorea als Atommacht akzeptiert zu haben, was das Regime einerseits vor Angriffen schützt, aber andererseits ihnen auch die Verhandlungsmasse nimmt.
Die Sprengung ist ein Ruf nach Aufmerksamkeit, denn für das Land ist ein möglicher Angriff aus dem Süden derzeit nicht die größte Sorge. So hat sich in Nordkorea die Versorgung mit Lebensmitteln in der Corona-Krise noch einmal drastisch verschlechtert. Mancherorts hungern die Menschen bereits, wie der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Nordkorea, Tomas Ojea Quintana, in der letzten Woche mitteilte. Er forderte Pjöngjang und die internationale Gemeinschaft dringend zum Handeln auf.
Bereits vor der Corona-Pandemie waren mehr als 40 Prozent der Menschen in Nordkorea von Nahrungsmittelknappheit betroffen. Jedes fünfte Kind unter fünf Jahren sei bereits jetzt in seiner Entwicklung beeinträchtigt, sagte die Sprecherin des Welternährungsprogramms, Elisabeth Byrs. "Mangelernährung in diesem Ausmaß bedeutet irreversible Schäden für hunderttausende Kinder."
Handel mit China eingebrochen
Die Schließung der Grenze zu China vor fünf Monaten und die Isolation Tausender Nordkoreaner wegen der Corona-Pandemie hätten die Situation weiter verschärft, sagte Quintana. Der Handel mit China sei um mehr als 90 Prozent eingebrochen. Berichten zufolge habe die Obdachlosigkeit in den Großstädten zugenommen, die Preise für Medikamente seien in die Höhe geschossen.
Immer mehr Familien könnten nur noch zwei Mal am Tag essen oder hätten nur noch Mais zu essen. Manche litten bereits Hunger, erklärte Quintana. Auch Soldaten seien von der Nahrungsmittelknappheit betroffen.
Wegen der drastischen Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Lebensgrundlage der Menschen forderte Quintana vom UN-Sicherheitsrat, die internationalen Sanktionen gegen Nordkorea "zu überdenken".
Das extrem abgeschottete und autoritär geführte Nordkorea hat zahlreiche Maßnahmen gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus ergriffen, bisher aber noch keinen einzigen Corona-Fall gemeldet. Das sind allerdings nur die offiziellen Zahlen, wie schlimm die Auswirkungen der Pandemie im Land sind, ist derzeit aus dem Ausland nicht feststellbar.
Spannungen mit den USA
Dem Regime geht es mit der Sprengung als auch darum, mit dieser Aufmerksamkeit Hilfen und Devisen ins Land zu bekommen. Experten gehen davon aus, dass sogar noch mehr dahinter steckt. "Nordkorea ist dabei, Spannungen zu erzeugen", schreibt Jean H. Lee vom Wilson Center in den USA auf Twitter. "Pjöngjang leidet unter beißenden internationalen Sanktionen und versucht, Seoul dahin zu treiben, die von den USA angeführte Sanktionskampagne zu durchbrechen." Seit dem gescheiterten Gipfeltreffen zwischen Kim Jong Un und US-Präsident Donald Trump im Februar 2019 in Vietnam kommen die bilateralen Nuklearverhandlungen nicht mehr voran. Unter dem Stillstand leiden auch die innerkoreanischen Beziehungen.
Aber auch Trump, der sich gerne als Freund von Kim Jong Un bezeichnet, hat den Fokus nur wenig auf den Korea-Konflikt gerichtet. Die gemeinsamen Militärmanöver mit Südkorea haben die USA wegen Corona abgesagt und der US-Präsident hat innenpolitisch mit der US-Wahl, den Protesten nach dem Mord an George Floyd und mit den Auswirkungen der Pandemie auf die US-Wirtschaft andere Sorgen.
Zuletzt jährte sich das historische Gipfeltreffen zwischen Trump und Kim zum zweiten Mal. Am 12. Juni bekundete das nordkoreanische Regime ihre "Verzweiflung" über den aktuellen Zustand der Beziehungen zu Washington. Im Verhältnis beider Staaten gebe es eine "rasch fortschreitende Verschlechterung", beklagte Nordkoreas Außenminister Ri Son Gwon in einer Erklärung.
Freundschaft zwischen Trump und Kim ergebnislos
Wann immer Außenminister Mike Pompeo und andere US-Vertreter ihren Mund öffneten, "machen sie unsinnige Äußerungen, wonach die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel ein sicheres Ziel der USA ist", wurde Ri von den Staatsmedien zitiert. Das einzige sichere strategische Ziel seines Landes sei es, "zuverlässigere Kräfte aufzubauen, um mit den langfristigen militärischen Drohungen durch die USA umzugehen". Zuletzt hatte Nordkorea im Mai angekündigt, die atomare Schlagkraft erhöhen zu wollen.
Ri gab Washington die Schuld dafür, dass sich die Lage wieder deutlich verschlechtert habe. Eine Verbesserung der Beziehungen könne nicht allein dadurch erwartet werden, dass die persönliche Beziehung zwischen Kim und Trump aufrechterhalten werde.
Die nächste Eskalationsstufe
Letztlich scheint das einzige Land, das momentan aktiv an einer Aussöhnung auf der koreanischen Halbinsel arbeiten will, Südkorea zu sein. Aber Südkorea ist eine Demokratie und kann nordkoreanischen Flüchtlingen nur schwer verbieten, gegen die Diktatur im Norden zu protestieren. Deshalb können derartige Ballon-Aktionen nur schwer unterbunden werden.
Und auch bei den US-Sanktionen ist nur wenig Bewegung in Sicht. Trump wird sich nicht vor der Präsidentschaftswahl in den USA gegen die Hardliner in den Reihen der Republikaner stellen, die eigentlich noch eine Verschärfung der Sanktionen gegen Nordkorea fordern.
Deshalb reagierte man im Süden mit den üblichen Drohungen auf die nordkoreanische Provokation. "Falls Nordkorea weitere Schritte unternimmt, um die Situation zu verschärfen, werden wir strikt darauf reagieren", erklärte das Präsidialamt in Seoul nach einer Dringlichkeitssitzung des Nationalen Sicherheitsrats. Präsident Moon Jae In hatte noch am Montag an Nordkorea appelliert, zum Dialog zurückzukehren.
Aber dieser Dialog muss nun Ergebnisse bringen und dies kann nur durch den Einsatz Chinas und der USA passieren. Der Korea-Konflikt erlebt gegenwärtig einen deutlichen Rückschritt. Er zeigt, dass sich Beziehungen verschlechtern können, auch wenn kaum etwas passiert. Während die Welt nun auf Corona schaut, droht das Kim-Regime damit, die "entmilitarisierten" Zonen an der Grenze wieder mit Soldaten zu besetzen. Auch wenn keine Seite ein Interesse an einem bewaffneten Konflikt hat, wäre das die nächste Eskalationsstufe. Die harte Arbeit und die vielen kleinen Schritte im Friedensprozess in den letzten Jahren sind in Gefahr.
- Eigene Recherchen
- Mit Material von dpa, Reuters und AFP