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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Retter über Katastrophe in Mosambik "Die Großstadt Beira ist fast völlig zerstört"
Nach Sturm "Idai" ist die Lage in Teilen Mosambiks kritisch, teilweise harren die Menschen auf Bäumen aus.
Ein Zyklon hat in Mosambik ein Bild der Verwüstung hinterlassen: Häuser wurden weggeschwemmt, Straßen sind nicht passierbar, Brücken eingestürzt. Rund 3.000 Quadratkilometer Land – eine Fläche größer als das Saarland – stünden unter Wasser, teilte die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung mit.
Die Katastrophenschutzbehörde in Mosambik sprach von 293 Toten und 1.511 Verletzten. Belastbare Zahlen gibt es aber nicht. Und die Lage spitzt sich weiter zu: Es regnet weiter und die Wasserpegel in den betroffenen Gebieten steigen. Menschen flüchten sich auf Dächer und Bäume und werden dort von Schlangen und Raubtieren angegriffen. Es fehlt an sauberem Trinkwasser und die Gefahr von Epidemien steigt.
Daniel Timme arbeitet für das Kinderhilfswerk UNICEF und ist aktuell in Mosambik. Im Interview mit t-online.de schildert er die dramatische Lage vor Ort.
Herr Timme, Sie sind aktuell vor Ort in Mosambik. Entspannt sich die Lage im Land nach dem Zyklon "Idai" wieder?
Leider ist das Gegenteil der Fall. Mehrere hunderttausend Menschen und mehr als eine viertel Million Kinder sind schätzungsweise von dem Zyklon betroffen. Das größte Problem sind die Überschwemmungen. Viele Menschen harren immer noch auf Häuserdächern und in Bäumen aus, um sich von den Wassermassen zu retten.
Und es hört einfach nicht auf zu regnen. Weiterhin sind schwere Unwetter in der betroffenen Region in Gange und der Wasserpegel steigt. Besonders die Kinder sind von lebensbedrohlichen Durchfall-Erkrankungen bedroht, viele sind unter freiem Himmel und brauchen Notunterkünfte, es gibt kaum Trinkwasser, sodass wir Tabletten zur Wasserreinigung verteilen. Ein Wettlauf mit der Zeit. Meine Kollegen und ich stehen unter großem Druck, die wichtigsten Nöte zu lindern.
Daniel Timme ist Sprecher von UNICEF in Mosambik. Er hat viele Jahre für UNICEF unter anderem in Madagaskar, der Zentralafrikanischen Republik und in Pakistan gearbeitet. Er ist 45 Jahre alt und wuchs in der Eifel auf.
Wie groß ist das Ausmaß der Zerstörungen?
Die Großstadt Beira mit 500.000 Einwohnern ist fast völlig zerstört. Zehntausende Menschen haben ihr Dach über dem Kopf verloren. Die Zugangswege sind zerstört, was für uns eine enorme logistische Herausforderung darstellt, da alle Hilfsgüter per Luftbrücke in die Katastrophenregion gebracht werden müssen.
Woran fehlt es der Bevölkerung aktuell?
Erste Priorität ist, dass die Menschen von Hausdächern, aus Bäumen und anderen höhergelegenen Orten gerettet werden. Sogenannte "Search & Rescue" Teams sind unterwegs, die nun auch von vielen internationalen Teams unterstützt werden können, da die Regierung den Notstand ausgerufen hat.
Wenn die Menschen gerettet sind, brauchen sie Notunterkünfte, die jetzt hergerichtet werden müssen. Der Mangel an sauberem Trinkwasser macht uns besonders große Sorgen. Gerade für Kinder können Durchfallerkrankungen nämlich sehr schnell lebensbedrohlich werden. Viele Gesundheitszentren sind weggespült worden.
Wir müssen nun provisorische Zentren einrichten, um eine grundlegende medizinische Versorgung zu gewährleisten. Als nächstes denken wir daran Not-Schulen einzurichten. Nicht nur soll die Schulbildung weitergehen, sondern die Not-Schulen geben den Kindern auch ein Gefühl der Sicherheit und Stabilität in dieser traumatischen Situation und die Kinder sind in der Schule vor Ausbeutung und Missbrauch geschützt.
Im Land regnet es weiterhin. Wie groß ist die Angst vor einer weiteren Katastrophe?
Es sind weitere schwere Regenfälle und Unwetter in der Katastrophenregion angekündigt. Es wäre schön, wenn der Trend wenigstens positiv sein würde, aber das Wasser läuft nicht ab, es steigt. In Teilen ist es bis zu 8 Metern hoch. Insbesondere in einem Distrikt südlich von Beira namens Buzi ist es besonders schlimm. Einige Staudämme führen darüberhinaus so viel Wasser, dass große Mengen in die Flutgebiete ablassen werden müssen, um eine noch größere Katastrophe eines plötzlichen Dammbruchs zu verhindern.
Ist die Regierung mit der Situation überfordert?
Aus vergleichbaren Naturkatastrophen in der Vergangenheit hat man schon gelernt. Gemeinsam mit der Regierung zusammen haben wir uns vorbereitet. Beispielsweise gibt es im ganzen Land Notspeicher mit Hilfsgütern, die leider auch stark beschädigt wurden. Das Problem ist doch, dass eine Katastrophe diesen Ausmaßes nicht vorhersehbar war. Deshalb ist es gut, dass die Regierung jetzt sehr schnell die Hilfe der internationalen Gemeinschaft um Hilfe gebeten hat und mit den Organisationen zusammenarbeitet
Präsident Filipe Nyusi sprach von Leichen, die in den Flüssen treiben. Konnten Sie selbst derartige Beobachtungen machen?
Unseren Kollegen vor Ort sind mit schrecklichen Situationen konfrontiert. Oft reden wir in diesen Tagen von abstrakten Opferzahlen, aber das Leid wird erst fassbar wenn man Familien trifft, die einen geliebten Menschen verloren haben. Besonders den Kindern müssen wir helfen, diese traurigen Ereignisse zu verarbeiten.
Besteht dadurch die Gefahr, dass Epidemien ausbrechen?
Ja, insbesondere durch Krankheiten die im Wasser entstehen, wie die Cholera, aber auch Malaria wird verstärkt auftreten in den überschwemmten Gebieten.
Lässt sich aktuell schon etwas über die Opferzahlen sagen?
Opferzahlen sind zur Zeit noch Spekulation, aber als humanitäre Helfer können wir aufgrund unserer Erfahrung sagen, dass die Zahlen die wir jetzt haben, leider dramatisch ansteigen werden. Je länger diese Notlage anhält – und damit ist noch für einige Zeit zu rechnen – müssen wir befürchten, dass es neue Opfer gibt. Dazu kommt, dass in der Region auch noch die Ernten vernichtet sind und viele Familien alles verloren haben. Wie solle es für sie weitergehen?
Erreicht die Menschen Hilfe aus dem Ausland?
Durch viele internationale Geber, aber auch einzelne Menschen helfen uns jetzt und sind solidarisch mit der notleidenden Bevölkerung in Mosambik. Dafür sind wir dankbar.
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In den letzten Jahren gab es zahlreiche Naturkatastrophen. Muss bei derartigen Ereignissen der afrikanische Kontinent, Ihrem Gefühl nach, mehr um öffentliche Präsenz und Hilfe kämpfen, als beispielsweise die Menschen in Nordamerika oder Südostasien?
Das ist wohl leider so. Es hat lange gedauert, bis die Hilferufe aus Mosambik gehört wurden. Um so mehr Hoffen wir nun auf Hilfe, Mitmenschlichkeit und Solidarität aus Deutschland und anderen wohlhabenden Ländern.
- Eigene Recherche