Todesfall Khashoggi Türkische Ermittler verhören Dutzende Zeugen
Nach dem gewaltsamen Tod des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi werden Rufe nach Konsequenzen laut. Derweil setzen türkische Ermittler ihre Untersuchungen in dem Todesfall fort.
Die Türkei ermittelt weiter mit Hochdruck im Fall des im Istanbuler Konsulat getöteten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi. Fünf Zeugen seien am Montag von mehreren Staatsanwälten in Istanbul verhört worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Dabei handele es sich um Konsulatsmitarbeiter. Mehr als 20 weitere Zeugen, darunter Türken und Ausländer, würden im Laufe des Tages noch befragt. Bereits am Vortag hatte der Sender NTV von einer Vorladung berichtet.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte nach Angaben von Anadolu am späten Sonntagabend mit US-Präsident Donald Trump telefoniert. Die beiden seien übereingekommen, den Fall Khashoggi von allen Seiten zu beleuchten. Für Dienstag hat Erdogan eine Erklärung zum Tod Khashoggis angekündigt.
Deutsche Rüstungsexporte auf Eis
Die Bundesregierung schloss derweil weitere deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien aktuell aus. Kanzlerin Angela Merkel sagte am Sonntagabend mit Blick auf die Tötung des Regimekritikers im Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul, Rüstungsexporte könnten nicht stattfinden, "in dem Zustand, in dem wir im Augenblick sind". Zu der Gewalttat, die sie in aller Schärfe verurteile, gebe es dringenden weiteren Klärungsbedarf. Längst liege nicht alles dazu auf dem Tisch, längst seien nicht die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen, betonte Merkel.
Ähnlich kritisch hatte sich Außenminister Heiko Maas über neue Rüstungsexporte geäußert. Gemeinsam mit seinen Kollegen aus Frankreich und Großbritannien erklärte Maas zudem: "Die Bedrohung von Journalisten, der Angriff auf sie oder gar ihre Tötung sind ungeachtet der Umstände inakzeptabel und geben unseren drei Staaten Anlass zu größter Besorgnis."
Saudi-Arabien gibt Tod Khashoggis nach massivem Druck zu
Trotz seiner Kriegsbeteiligung und der schlechten Menschenrechtslage dort war das ölreiche Saudi-Arabien in diesem Jahr bisher nach Algerien der zweitbeste Kunde der deutschen Rüstungsindustrie. Bis zum 30. September erteilte die Bundesregierung Exportgenehmigungen im Wert von 416,4 Millionen Euro für das Königreich.
Auf massiven Druck hin hatte die autoritäre Staatsführung Saudi-Arabiens die Tötung Khashoggis eingeräumt - demnach war der 59-Jährige bei einer Schlägerei umgekommen. Türkische Ermittler gehen nach Medienberichten dagegen davon aus, dass er von einem aus Saudi-Arabien angereisten 15-köpfigen Einsatzkommando im Konsulat gefoltert, ermordet und zerstückelt wurde.
Überraschend kondolierten der saudische König und sein Thronfolger der Familie Khashoggis in der Nacht zum Montag. Sowohl König Salman als auch Kronprinz Mohammed bin Salman drückten in separaten Telefonaten ihr Beileid aus, berichtete die staatliche Agentur Spa. Khashoggis Sohn Saleh habe sich für die Anteilnahme bedankt, hieß es.
Türkische Justiz ermittelt mit Hochdruck
Die Führung Saudi-Arabiens weiß nach den Worten ihres Außenministers Adel al-Dschubair derzeit nichts über den Verbleib der Leiche. Auch sei aktuell unklar, wie genau er getötet wurde, sagte er dem US-Sender Fox News. Das Sicherheitsteam vor Ort habe offensichtlich kriminell gehandelt, einen "riesigen Fehler" gemacht und versucht, die Tötung auch noch zu vertuschen. Der Minister versicherte, seine Regierung sei entschlossen, "jeden Stein umzudrehen", alle Fakten aufzuklären und die Verantwortlichen für diese "Verirrung" zu bestrafen.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kündigte an, sich am Dienstag ausführlich zum Tod Khashoggis zu äußern und dabei "ins Detail" zu gehen. Erdogan telefonierte zu dem Fall und den Untersuchungen in der Nacht zum Montag mit US-Präsident Donald Trump, wie die Agentur Anadolu berichtete. Die türkische Justiz ermittelt intensiv in dem Fall.
Unklar ist neben dem Verbleib der Leiche auch, ob Khashoggi auf Anweisung getötet wurde. Die Führung in Riad bestreitet das. Die saudi-arabische Justiz hat laut staatlichen Medien 18 Staatsangehörige festgenommen, zudem seien zwei enge Berater des Kronprinzen Mohammed bin Salman aufgrund des "bedauerlichen und schmerzhaften Ereignisses" entlassen worden.
Zweifel an der Darstellung Saudi-Arabiens
Ein ranghoher republikanischer US-Senator glaubt, dass der Kronprinz für die Tötung Khashoggis verantwortlich ist. "Mein Gefühl ist, dass er dahinter steckt", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Senat, Bob Corker, dem Sender CNN. Auch sein Parteikollege Rand Paul zeigte sich überzeugt davon, dass Mohammed bin Salman in den Fall verstrickt ist. "Ich bin sicher, dass der Kronprinz involviert ist und dass er das angeordnet hat", sagte Paul dem Sender Fox News. "Und deshalb denke ich, dass wir nicht weiter Beziehungen zu ihm haben können und dass er ersetzt werden muss."
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Der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, zog die Darstellung Saudi-Arabiens ebenfalls in Zweifel. "Die Erklärungen scheinen mir unglaubwürdig und beantworten auch nicht die Hauptfrage, wie es überhaupt dazu kommen konnte", sagte er der "Passauer Neuen Presse" am Montag. Hardt fordert eine lückenlose Aufklärung. Auch Europa und die USA müssten auf die "ungeheuren Vorgänge" reagieren. Der CDU-Außenpolitiker erkannte zwar die Rolle Saudi-Arabiens "als stabilisierenden Faktor zur Sicherung des Friedens" in der Region an, sprach sich aber deutlich gegen Rüstungsexporte aus.
Zahlen bei deutschen Rüstungsexporten nach Klausel im Koalitionsvertrag brisant
Auch der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, Holger Bingmann, rief zu Besonnenheit auf. "Wenn wir immer gleich die Wirtschaft als Waffe der Politik nutzen, sind wir auch nicht besser als die Trumps, Putins und Erdogans dieser Welt", sagte Bingmann der "Bild"-Zeitung am Montag. Allerdings könne er sich bis zur restlosen Aufklärung des Falls "kein Business as usual" vorstellen.
Die Zahlen zu den Rüstungsexporten in diesem Jahr sind unter anderem wegen einer Klausel aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD brisant. Die Sozialdemokraten hatten in den Verhandlungen einen Exportstopp für alle Länder durchgesetzt, die "unmittelbar" am Jemen-Krieg beteiligt sind. Allerdings hatten sie auch Ausnahmen für bereits erteilte Vorgenehmigungen zugelassen.
- dpa