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Journalismus in der arabischen Welt: "Es war noch nie so schlimm wie heute"


Arabische Journalisten
"Es war noch nie so schlimm wie heute"

  • Johannes Bebermeier
Ein Interview von Johannes Bebermeier

19.09.2018Lesedauer: 5 Min.
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Journalisten bei einer Demo für Pressefreiheit in Pakistan: Nicht überall auf der Welt können Reporter ihrer Arbeit frei nachgehen.Vergrößern des Bildes
Journalisten bei einer Demo für Pressefreiheit in Pakistan: Nicht überall auf der Welt können Reporter ihrer Arbeit frei nachgehen. (Quelle: Faisal Mahmood/reuters)

Das Netzwerk ARIJ unterstützt arabische Journalisten und wird nun für seine Arbeit ausgezeichnet. Gründerin Rana Sabbagh erklärt im Interview die schwierige Lage der Presse in der Region.

Journalisten können längst nicht überall so frei arbeiten wie in Deutschland. Gerade in der arabischen Welt mangelt es an Presse- und Meinungsfreiheit. Das hat nicht zuletzt der Fall Raif Badawi gezeigt. Der Blogger hatte in Saudi-Arabien kritische Texte über Politik und Religion veröffentlicht – und wurde zu zehn Jahren Haft und 1.000 Peitschenhieben verurteilt.

Badawis Ehefrau Ensaf Haidar und der TV-Moderator Constantin Schreiber haben daraufhin einen Preis ins Leben gerufen, der an Journalisten vergeben wird, die unter schwierigen Bedingungen wichtige Arbeit leisten. So wie Rana Sabbagh, die den Preis in diesem Jahr am 10. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse entgegennehmen wird.

Sabbagh hat viele Jahre für die internationale Nachrichtenagentur Reuters gearbeitet und war als erste Frau in der Region Chefredakteurin einer politischen Zeitung, der "Jordan Times" – bis sie wegen kritischer Berichterstattung entlassen wurde. 2005 gründete sie dann das Journalistennetzwerk "Arab Reporters for Investigative Journalism", kurz ARIJ. Das Netzwerk fördert investigative Recherchen in der arabischen Welt und hilft Journalisten dabei, ihre Arbeit zu machen.

Die neunköpfige Jury, der auch t-online.de-Chefredakteur Florian Harms angehört, begründet ihre Wahl so: "Wir haben uns für 'Arab Reporters for Investigative Journalism' entschieden, weil sie sich in einem immer schwieriger werdenden Umfeld für Aufklärung und Transparenz einsetzen, nicht selten unter Lebensgefahr. Gleichzeitig unterstützen sie Kollegen bei Rechercheprojekten und bieten Medien-Training an. Netzwerke wie ARIJ sind ein Vorbild für Journalisten in der ganzen Region: Wer sich zusammenschließt, zusammen recherchiert, veröffentlicht und sich gegenseitig unterstützt, ist stärker als allein und kann mehr bewirken. Die 'Arab Reporters for Investigative Journalism' sind Leuchttürme in einer dunkler werdenden Welt."

t-online.de hat mit Rana Sabbagh über ihre schwierige Arbeit gesprochen. Sie sagt: "Die letzten drei Jahren waren die schlimmsten in meinem Leben was den Druck auf unsere Arbeit angeht." Angst habe sie aber nicht, denn sie habe eine Mission.

Frau Sabbagh, Sie haben Ihr Büro in Jordanien, arbeiten aber in der ganzen arabischen Welt. Wie ist die Situation dort derzeit für Journalisten?

Die arabische Welt war noch nie eine sehr demokratische Region. In den vergangenen sechs Jahren hat sich die Presse- und Meinungsfreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen zufolge aber noch verschlechtert. Seit dem arabischen Frühling hatten wir etwas Hoffnung, dass es besser würde. Leider gab es keinen Business-Plan für die Revolution. Nach einer Weile haben die gleichen autokratischen Kräfte in den Ländern wieder die Kontrolle übernommen und die Fortschritte wieder zurückgedreht. Es war noch nie so schlimm wie jetzt. Abweichende Meinungen haben keinen Platz.

Wie macht sich das bemerkbar?

Nehmen wir das Beispiel Ägypten, wo es derzeit am schlimmsten ist. Amnesty International urteilt, die Einschränkung der Meinungsfreiheit habe das Land zu einem Freiluftgefängnis gemacht. Selbst wenn man nur etwas auf Facebook teilt oder liked, kann man vor Gericht kommen und beschuldigt werden, eine terroristische Gruppe zu unterstützen oder die Stabilität des Landes zu gefährden. Und Ägypten ist nicht das einzige Land, das ein Freiluftgefängnis geworden ist. Jeder arabische Staat, der ein Cybercrime-Gesetz verabschiedet hat, ist eines geworden. Selbst in Tunesien, dem Vorzeigeland des arabischen Frühlings, behandelt die Polizei Journalisten, die etwa über Demonstrationen berichten, so wie zu Zeiten der Diktatur.

Wie wirkt sich die mangelnde Presse- und Meinungsfreiheit auf Ihre Recherchen aus?

Wir haben einmal eine eigentlich recht einfache Geschichte über illegale Hühnerfarmen in Wohngebieten im Sudan gemacht. Der Journalist hat dokumentiert, wie die Farmen die Privatsphäre der Menschen verletzen und gegen Gesetze verstoßen. Es gab Gerichtsbeschlüsse, die die Umsiedlung der Farmen anordneten. Es ging "nur" um Hühnerfarmen. Aber eine davon gehörte einem Gouverneur, einem sehr mächtigen Mann. Eine andere gehörte dem Chef der Zeitung, für die der Journalist arbeitete. Der hat den Journalisten dann gefeuert – für eine einfache Geschichte über Hühner.

Wie hilft ARIJ Journalisten dabei, unter diesen Bedingungen zu arbeiten und sich zu schützen?

Wir trainieren die Journalisten zum Beispiel, ihre Daten und E-Mails zu verschlüsseln. Allerdings ist es etwa in Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten verboten, verschlüsselte E-Mails zu nutzen. Dafür kann man ins Gefängnis kommen. Unsere besten Journalisten trainieren wir auch, sich physisch zu verteidigen, um in den schwierigsten Ländern wie Libyen, Irak, oder Jemen zu arbeiten. Sie simulieren, wie sie sich bei einer Entführung verhalten, wie sie Erste Hilfe leisten. Aber jeder, der für uns arbeitet, nimmt große Risiken in Kauf. Selbst wenn er eine einfache Hühnerstory schreibt. Jeder kämpft gegen korrupte Systeme, gegen Wirtschaftsinteressen, gegen Regierungen, gegen die Mafia und gegen die Sicherheitsbehörden, die noch mal eine eigene Agenda verfolgen.

Welche Situationen haben Sie selbst erlebt, in denen es richtig unangenehm wurde?

Ich fing mit 20 Jahren als professionelle Journalistin an. Ich habe damals viel sexuelle Belästigung erlebt. Meine Art damit fertig zu werden war, immer sehr weite Kleidung zu tragen, meine Weiblichkeit zu verstecken. Ich wollte, dass die Menschen mich als professionelle Journalistin sehen und nicht als Frau. Sehr geholfen hat mir, dass ich von meiner deutschen Mutter großgezogen wurde, die niemals zwischen mir und meinen zwei Brüdern unterscheiden hat. Das hat mir ermöglicht, Männer und Frauen als gleichwertig zu betrachten. Aber natürlich wurde ich oft persönlich beschimpft. Ich habe zum Beispiel einmal in Jordanien etwas über die Muslimbrüder geschrieben. Und sie beschimpften mich dafür, dass ich eine Frau bin und eine Christin. Ich arbeitete damals für die internationale Nachrichtenagentur Reuters und sie warfen mir vor, eine Agentin zu sein, die das Bild des Islam beschmutzen wolle. Aber Angst macht mir all das nicht. Ich glaube, das wir eine Mission haben, nämlich unsere Gesellschaften besser zu machen. Journalismus ist der schönste und nobelste Beruf, den es gibt.

Auf welche investigative Geschichte sind Sie besonders stolz?

Wir haben mit ARIJ bisher mehr als 465 Investigativgeschichten veröffentlicht. Jede war ein Erfolg. Und jede hatte in irgendeiner Form Konsequenzen. Hervorheben würde ich eine Geschichte, die wir mit BBC Arabic in Jordanien gemacht haben. Dort haben wir dokumentiert, wie Betreuer in privaten Einrichtungen für geistig Behinderte ihre Patienten misshandelt haben. Sie haben sie sexuell misshandelt, verletzt und beleidigt. Unser Journalist hat in drei dieser Einrichtungen als Freiwilliger gearbeitet und dabei die Missstände mit versteckter Kamera aufgezeichnet, über Wochen und zu mehreren Zeitpunkten. Wir haben so rausgefunden, dass die Probleme System hatten. Danach gab es einen großen Aufschrei. Und der König hat gehandelt, die Gesetze wurden geändert. Nun gibt es Kameras, die 24 Stunden alles aufzeichnen, was dort passiert.

Verwendete Quellen
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