Reporter weltweit unter Beschuss Kein Land verhaftet so viele Journalisten wie die Türkei
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Journalisten werden in der gesamten Welt bei ihrer Arbeit behindert, verhaftet und getötet. Den unrühmlichen Spitzenplatz bei der Verhaftung von Reportern nimmt die Türkei ein.
In keinem Land der Welt sitzen derzeit mehr Journalisten in Haft als in der Türkei. Prominentestes Opfer der autoritären Politik von Staatschef Recep Tayyip Erdogan ist der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel, der vor einem Jahr verhaftet wurde. Außer Yücel sitzen mindestens 38 weitere Journalisten – einige von ihnen schon seit Jahren – in türkischen Gefängnissen.
Das "Barometer der Pressefreiheit" von Reporter ohne Grenzen für 2018 meldet bereits drei getötete Journalisten oder Blogger und 187 Journalisten, 15 Medienarbeiter und 122 Blogger in Haft (Stand: 13. Februar 2018). Weltweit wurden in den vergangenen 15 Jahren 1035 professionelle Journalisten in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet.
An erster Stelle bei den Verhaftungen steht 2018 die Türkei, wo derzeit mindestens 39 Journalisten in Haft sitzen. Es folgen Ägypten (23), China (15) und Aserbaidschan (13). Reporter ohne Grenzen schätzt die Zahl der Journalisten, die in der Türkei aufgrund ihrer Arbeit verhaftet wurden, sogar auf über 100. Da bei vielen verhafteten Medienvertretern keine Anklageschrift vorliegt, lässt sich ein Zusammenhang zwischen der journalistischen Arbeit und der Haft jedoch nicht beweisen – ein direkter Zusammenhang ist aber wahrscheinlich. Die Türkei belegt auf der Rangliste der Pressefreiheit damit Platz 155 von 180.
Reporter ohne Grenzen sieht Deniz Yücel als Geisel der Türkei und fordert dessen sofortige Freilassung. "Die ein Jahr anhaltende politische Geiselhaft von Deniz Yücel ist unerträglich. Dass immer noch keine Anklageschrift vorliegt und die türkische Justiz an den haltlosen Anschuldigungen festhält, ist eine Schande für die Türkei", sagt Geschäftsführer Christian Mihr im Interview mit t-online.de.
Er fordert auch mehr Einsatz von der deutschen Regierung: "Die Bundesregierung muss trotz des diplomatischen Tauwetters zwischen Berlin und Ankara den Druck auf die türkische Regierung aufrechterhalten. Die türkische Justiz muss Deniz Yücel sofort freilassen und die Vorwürfe gegen ihn fallen lassen."
Dem deutsch-türkischen Journalisten Yücel werden wegen seiner Artikel "Volksverhetzung" und "Terrorpropaganda" vorgeworfen, doch gibt es bis heute weder eine Anklageschrift noch ist ein Prozessbeginn absehbar.
Ausnahmezustand und Notstandsdekrete verschlechtern die Lage dramatisch
Neben Yücel wird auch die Deutsche Mesale Tolu in der Türkei festgehalten. Die Journalistin war im April 2017 in der Türkei unterwegs, unter anderem, um ihren ebenfalls inhaftierten Mann zu besuchen. Die türkischen Behörden werfen beiden "Verbindungen zu Terroristen" und "Terrorpropaganda" vor – und beide weisen die Anschuldigungen von sich. Im Dezember wurde Tolu freigelassen, doch droht ihr wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation weiter eine lange Haftstrafe. Sie darf die Türkei bis auf Weiteres nicht verlassen und muss sich einmal in der Woche bei der Polizei melden.
Denn die Lage für Journalisten hat sich nach dem gescheiterten Putschversuch vom Sommer 2016 und dem anschließend ausgerufenen Ausnahmezustand sowie den seitdem verhängten Notstandsdekreten dramatisch verschlechtert. Die türkische Justiz hält Journalisten systematisch über längere Zeiträume in Untersuchungshaft und bestraft sie damit, ohne ein Gerichtsurteil abzuwarten.
Auch wenn die Türkei den Spitzenplatz bei den inhaftierten Journalisten innehat – in anderen Ländern ist die Lage für Medienvertreter noch bedrohlicher. Die weltweit gefährlichsten Orte für Journalisten, Bürgerjournalisten und Medienmitarbeiter waren 2017 Syrien (12 Medienschaffende getötet), Mexiko (11), Afghanistan (9), der Irak (8) und die Philippinen(4).
- - Reporter ohne Grenzen: Jahresbilanz der Pressefreiheit (2017)
- - Reporter ohne Grenzen: Barometer der Pressefreiheit 2018
- - eigene Recherchen