Kurdische Terroristenjäger Diese Kämpfer treiben den IS vor sich her
Von Christian Kreutzer, aus Qamischli in Nordsyrien
Wie kann man den IS am Boden besiegen? Das machen die Einheiten der syrisch-kurdischen PKK-Tochter YPG dem Westen gerade vor.
Durch die syrische Wüstenstadt Al-Hawl weht ein eisiger Wind. Ab und zu rasen kurdische Kämpferinnen und Kämpfer auf Pickups in Richtung Front. Ansonsten sind die Gassen menschenleer, die Bewohner geflohen.
In einer Garage abseits der Hauptstraße knien Kurden und Araber abwechselnd neben einem Sofa nieder. Sie lächeln, heben den Daumen und lassen sich von ihren Kameraden fotografieren. Auf dem Sofa liegt ein toter IS-Kämpfer. Die Front ist über ihn hinweg gezogen: Der Geschützdonner hallt bereits aus mehreren Kilometern Entfernung über die endlose Ebene vor der Stadt.
Verwaist liegen das örtliche Hauptquartier des IS, eine Bombenwerkstatt in einer Schule und ein Stahlgerüst auf einem Platz: Daran wurden Menschen öffentlich ausgepeitscht oder hingerichtet.
Koalition mit Beduinen-Kriegern
Hier, südöstlich der Wüstenmetropole Hasaka, haben die als "Volksverteidigungseinheiten" bekannten Truppen der Kurdenpartei Partiya YekitIya Demokrat (PYD) wieder einmal die Anhänger des "Islamischen Staates" (IS) geschlagen.
Geholfen hat die amerikanische Luftwaffe. Mitgekämpft haben arabische Verbündete. Diese sind vor allem Stammeskämpfer der beduinischen Sanadid, die beiderseits der syrisch-irakischen Grenze leben. "Syrian Democratic Forces" heißt diese neue Koalition. Die Hauptrolle spielen indes die kurdischen YPG-Truppen, die der PKK nahe stehen.
Hier im Norden Syriens war es, wo PKK-Gründer Abdullah Öcalan bis 1998 immer wieder untertauchte, bevor ihn der türkische Geheimdienst 1999 in Nairobi fasste. Seither schmort er in Haft auf einer Insel vor Istanbul.
Was Öcalan in der Türkei nicht schaffte, ist den YPG-Kräften in den Wirren des syrischen Bürgerkrieges gelungen: Sie haben eine autonome Kurdenregion etabliert. Ihre Einwohner nennen sie Rojava, übersetzt heißt das "Westen" und steht für Westkurdistan.
"Jeder, der uns hilft, diese Pest zu besiegen, ist willkommen"
Genau so nennt sich auch der kurdische Kommandeur der Befreier von Al-Hawl. Levend Rojava hat gerade der beeindruckenden Liste kurdischer Siege gegen den IS einen weiteren hinzugefügt. Und er will mehr: "Jetzt holen wir uns Shadada", erklärt er, eine Ölstadt 100 Kilometer weiter südlich. "Dann kommt Deir es-Sor."
Für die USA ist die siegreiche YPG mittlerweile der wichtigste Verbündete auf syrischem Boden - zum Ärger des Nato-Partners Türkei, dem immer wieder vorgeworfen wird, sogar den IS diskret zu unterstützen, nur um den PKK-Ableger klein zu halten.
Sinnbild dieser Politik ist die nordsyrische Stadt Kobane: Die hatte der IS schon fast erobert, bevor sie im Januar dieses Jahres wieder befreit wurde. Türkische Truppen schauten zu und unterbanden, dass die eingeschlossenen Kurden Nachschub bekamen. Die US-Luftwaffe verhinderte das Schlimmste.
Ist die YPG damit ein Verbündeter des Westens? "Jeder ist uns willkommen", sagt Rojava. "Gerne auch Moskau. Jeder, der uns hilft, diese Pest zu besiegen." Levend Rojava hat eine einfache Botschaft: "Gebt uns endlich mehr Waffen. Wir kämpfen mit Kalaschnikows und Maschinengewehren gegen den IS mit seinen schweren Geschützen und Panzern." Und er fügt hinzu: "Wir kämpfen doch für Euch alle!"
Der Westen hat damit seine Probleme. Schließlich steht die türkisch-kurdische PKK, die Mutter der YPG und ihres politischen Überbaus, der kommunistischen PYD, immer noch auf den Terrorlisten vieler Nato-Staaten.
Blutjunge Frauen werden Scharfschützinnen
Was macht der syrische PKK-Ableger? Er errichtet in seinen drei "Kantonen" im Norden des Landes gerade ein sozialistisches Utopia. Für den Nahen Osten ist es unerhört fortschrittlich: In der Kurdenhauptstadt Hamuda, nahe der türkischen Grenze, bewachen Männer und Frauen gemeinsam den Zugang zum Regierungskomplex. Frauen spielen in den Reihen der YPG-Miliz fast die gleiche Rolle wie Männer - auch als Kommandantinnen.
Oft werden blutjunge Kämpferinnen der Frauenmiliz YPJ (Die YPJ ist Teil der YPG und besteht aus freiwilligen Frauen) als Scharfschützinnen knapp hinter den Hauptkampflinien oder sogar an vorderster Front eingesetzt. "Ich bin vor allem bei der YPJ, weil ich mir von Männern nichts mehr vorschreiben lassen will", sagt etwa eine 19-Jährige in Al-Hawl selbstbewusst.
Dann die Religion: Die soll im neuen Rojava nur noch im Privatleben vorkommen. Moslem, Christ oder Jeside - das interessiert YPG und PYD nicht. Regierungsposten werden gemischt besetzt: jeweils ein Kurde, ein Araber, ein assyrischer Christ teilen sich die Ministerien. Umweltschutz spielt im Regierungsprogramm ebenfalls eine große Rolle.
400 Kilometer von der Front bei Al-Hawl entfernt, zieht im zerstörten Kobane ein strahlender Wintermorgen herauf. Die Stadt summt geradezu beim Wiederaufbau: Drei Viertel der rund 100.000 Bewohner sind zurückgekehrt. Überall knattern Mopeds durch die Gassen, hämmern Maurer, rufen Marktschreier, johlen Kinder.
Vier Monate haben die Kurden gegen den IS mitten in ihrer Stadt gekämpft, 42 Autobombenanschläge auf ihre Linien überstanden. An der ehemaligen Frontlinie sieht man Bombentrichter: Hier haben US-Jets mitten in der Stadt ganze Häuser mit IS-Stellungen in die Luft gejagt. Jetzt verläuft die Front am Euphrat, 40 Kilometer von Kobane entfernt.
Der wahre Horror ist das Assad-Regime
Ein Bekenntnis zum Westen bekommt man auch hier nicht: "Jeder ist uns willkommen. Wir brauchen vor allem jede Art von Waffen", wiederholt gebetsmühlenartig der Verteidigungsminister des Kantons Kobane, Ismet Sheik Hessen, und schaut die Besucher undurchdringlich an.
Gegenüber von Hessens Schreibtisch hängt ein völlig überdimensioniertes Bild von Abduallah Öcalan. Hessen selbst sieht aus wie der PKK-Gründer: Schnurrbart, zurückgekämmtes kurzes Haar, entschlossener Blick - ein bisschen Stalin auf kurdisch.
Auf Kritik reagiert das junge Regime ungehalten. Deshalb will auch ein Oppositioneller bei einem geheimen Treffen in der syrisch-türkischen Grenzstadt Qamischli keinesfalls mit Namen genannt werden. Er gehört zum "Kurdish National Council" und ist Anhänger des Kurden-Präsidenten Masud Barzani im Nordirak. Mit dessen Peschmerga-Regime liegt die YPG über Kreuz.
Beobachter unterstellen den YPG Menschenrechtsverletzungen: Gelegentlich seien Araber summarisch aus eroberten Dörfern vertrieben worden, weil man ihnen Komplizenschaft mit dem IS unterstellte. Zu Beginn ihrer Herrschaft, 2011 und 2012, sollen einzelne oppositionelle Kurden verschwunden und ermordet worden sein.
Umgekehrt wirft die PYD der Barzani-Regierung in Erbil vor, sie paktiere mit der türkischen Regierung und habe dem Vormarsch des IS – inklusive dem Mord an den jesidischen Kurden im Sindschar – lange tatenlos zugeschaut. Retter waren auch damals die YPG, die den Jesiden einen Fluchtkorridor freikämpfte.
In Lebensgefahr fühle er sich nicht, sagt der Oppositionelle, aber er verliere womöglich seine Arbeitserlaubnis, so der Mann. Das Assad-Regime, das sich mit der YPG die Kontrolle über Qamischli teilt, und dessen bedrohliche Checkpoints man in der Stadt sehen kann, verursache bei ihm aber einen viel größeren Horror. Laut Amnesty International hat das Regime in den vergangenen vier Jahren 70.000 Menschen verschwinden lassen - viele davon zu Tode gefoltert.
"Die YPG sind keine mörderischen Unterdrücker", sagt er. "Sie müssen es auch nicht sein: Sie kontrollieren ohnehin alles. Und die Bevölkerung ist auf ihrer Seite - bis jetzt." Fakt ist: Ohne PYD und YPG geht nichts hier. Engmaschig überziehen ihre Checkpoints das Land.
"Gebt uns Waffen, aber bleibt uns vom Leib", lautet die unausgesprochene Botschaft der kurdischen Herrscher: Andi, eine Schweizer Aktivistin der "Roten Hilfe", die es immer wieder nach Kobane zieht, gibt zu, dass die YPG-Herrscher schwer durchschaubar seien. "Die haben Jahrzehnte lang gegen die Türkei gekämpft. Keiner hat ihnen geholfen. Jetzt vertrauen sie niemandem mehr", sagt Andi.