Polonium-Fund in Leiche Das Gift-Rätsel um Palästinenserführer Arafat
Schweizer Experten haben Gewebe am Brustkorb und Bodenproben rund um das Grab untersucht, sie fanden stark erhöhte Polonium-Werte: Die Mediziner gehen davon aus, dass Palästinenserführer Jassir Arafat wohl vergiftet wurde. Jetzt beginnt die Suche nach den Tätern.
Schweizer Forscher überzeugt von Polonium
Die Symptome haben zu einer Polonium-Vergiftung gepasst: Bauchschmerzen und Durchfall. Doch hätte die Erkrankung des damals 75-Jährigen nicht auch durch etwas anderes ausgelöst worden sein können? Gleich nach Jassir Arafats Ableben wurde spekuliert, ob er ermordet worden sei oder nicht. Dass nicht sofort nach seinem Tod, sondern erst acht Jahre später eine Autopsie stattfand, heizte die Spekulationen weiter an.
Von den drei Forensiker-Teams, die seit einem Jahr die Überreste Arafats untersuchen, haben die Schweizer nun ihre Ergebnisse vorgelegt. Hundertprozentig sicher sind sich die Schweizer Forscher nicht. Doch mit "moderater" Sicherheit stellen sie fest: Es spricht viel mehr dafür, dass Arafat mit Polonium vergiftet wurde, als dagegen. Die Berichte der französischen und russischen Forscherteams stehen noch aus.
Das schwierige Rätsel
Es ist ein schwer lösbares Rätsel für die Wissenschaftler. Was die Untersuchung so schwierig macht, ist, dass Polonium sich hauptsächlich in Gewebe statt in Knochen einlagert. Da Arafats Leichnam jedoch acht Jahre nach seinem Tod erst exhumiert wurde, war davon fast nur noch das Skelett übrig. Lediglich an Brustkorb und Unterleib fand sich noch etwas Gewebe. Dazu kommt: Das radioaktive Polonium-210 zerfällt schnell. Würde davon, acht Jahre später, noch etwas nachzuweisen sein?
Die Prüfungen zogen sich über Monate hin. Noch am Grab haben die Forensiker versucht, mögliche andere Strahlenquellen auszuschließen. Vor und nach der Öffnung der Grabkammer wurde die Radioaktivität geprüft. Dabei waren die Strahlenwerte der Beta- und Gamma-Strahlung nach der Grabesöffnung doppelt so hoch wie davor. Die radioaktive Alpha-Strahlung war von vorher null auf deutlich über null gestiegen.
Die Ergebnisse sprechen für eine Ermordung
Anschließend, im Labor, untersuchten die Schweizer Gewebeteile, Stücke des Leichentuchs, Knochenteile, Bodenproben sowie Haare Arafats. Die Untersuchung auf Polonium-210 ergab hohe Werte vor allem für die Knochenproben aus dem Brustkorb und dem Beckenkamm sowie die Gewebe- und Bodenproben, in die das Leichenwasser gesickert war.
Polonium-210 lagert sich als erstes in der Leber, den Nieren und dem Knochenmark ein. Die Forscher schlossen daher aus, dass Arafat dauerhaft und regelmäßig Polonium eingenommen hatte. Dazu war der Stoff nicht gleichmäßig genug im Körper verteilt.
Monatelanges Verfahren angewandt
Mit Simulationen haben die Schweizer monatelang immer wieder ihr Verfahren angepasst, um etwaige Verunreinigungen auszuschließen. Auch die Hypothese, dass möglicherweise das viele Rauchen zu Arafats höherer Polonium-Konzentration führte, schlossen sie aus.
Auch überprüften die Schweizer, ob möglicherweise andere Giftstoffe in Arafats Körper vorhanden waren. Eine toxikologische Untersuchung fand nur Wirkstoffe, die zur Behandlung von Depressionen verwendet werden, zur Verhinderung von Infektionen sowie ein Beruhigungsmittel. Diese Mittel waren auch in den französischen Krankenakten über Arafat notiert worden. Die Medikamente waren ihm dort in den zwei Wochen bis zu seinem Tod gegeben worden.
Nun beginnt das Rätselraten um die Täter
Zusätzlich erschwert wurde die Untersuchung dadurch, dass hohe Mengen von Blei-210 in den Proben festgestellt wurden, die Polonium-210 tarnen. Es könnte also noch weit mehr Polonium in Arafats Körper vorhanden gewesen sein. Woher dieses Blei-210 kommt, konnten die Forscher nicht erklären. Sie glauben jedoch, dass auch dieser mysteriöse Wert auf eine Polonium-Vergiftung hinweist. Blei-210 ist häufig ein Bestandteil von Polonium, das außerhalb eines Labors und seiner klinischen Bedingungen in Umlauf ist.
Doch damit fängt das Rätselraten um Arafats Ableben erst an. Wer könnte hinter der mutmaßlichen Polonium-Vergiftung stecken?
Als Hauptverdächtiger gilt vielen Palästinensern Israel. Demnach soll es den alten Erzfeind auf seine alten Tage hin ermordet haben. Der damalige israelische Ministerpräsident Ariel Scharon wurde nicht müde, auf Arafats terroristische Vergangenheit hinzuweisen. Doch warum hätte Israel ihn 2004 noch umbringen sollen, als er unter dem wachsamen Auge Jerusalems in seinem Hauptquartier in Ramallah unter Hausarrest lebte?
Macht und Geld als Mordmotiv?
Doch auch die Palästinenser stehen unter Verdacht. Ein Rivale, möglicherweise Arafat-Nachfolger Mahmud Abbas, hätte sich des alten Mannes entledigen wollen. In dieser Version geht es um Macht und um Geld: Nicht immer ist klar, wohin die Millionen flossen, die an die Palästinenserbehörde überwiesen wurden. Wichtigen PLO-Mitgliedern und ihren Familien mangelte es kaum an etwas.
Auch Arafats Witwe werden Vorwürfe gemacht. Sie soll sich mit den einstigen Weggefährten ihres Mannes ums Erbe zanken.
Das Mysterium um die möglichen Täter werden auch die Berichte der Franzosen und Russen nicht lösen können. Wann sie ihre Analysen präsentieren werden, ist noch offen.
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