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Russland: Dafür wird Wladimir Putin ausgelacht


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Kolumne "Russendisko"
Putin hat ein Schimmelproblem

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 19.05.2024Lesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin: Russlands Präsident will wohl in alle Ewigkeit regieren, fürchtet Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Präsident will wohl bis in alle Ewigkeit regieren, fürchtet Wladimir Kaminer. (Quelle: Kazakov/Kremlin Pool/imago-images-bilder)
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Russlands neuer Präsident ist der alte, Wladimir Putin will wohl für alle Ewigkeit im Kreml bleiben. Doch sollte er besser auf ein altes Sprichwort hören, meint Wladimir Kaminer.

Den russischen Medien zufolge besteht das öffentliche Leben zurzeit nur aus Feiern. Putins feierliche fünfte Amtseinführung Anfang Mai, die im offiziellen Jargon als "Ausübung der heiligen Pflicht" bezeichnet wurde, unterscheidet sich von den vorherigen und ähnelt nun einer archaischen Hochzeit. Der Bräutigam wird prunkvoll gekleidet, die geladenen Gäste platzen vor Stolz, die Braut ist nicht anwesend.

Der Treueschwur wird auf der frisch gedruckten russischen Verfassung geleistet, einem aufwendig hergestellten Buch mit einem Einband aus der Haut von Waranen. Weil dieses "Grundgesetz" kurz vor Beginn des Krieges auf die ewige Präsidentschaft Wladimir Putins umgeschrieben wurde, musste es neu gedruckt werden. Mehrere Echsen haben dafür mit dem Leben bezahlt. Aber was ist schon das Leben eines Warans, wenn die eigene Bevölkerung tausendfach täglich unter Artilleriebeschuss stirbt, im sinnlosesten Krieg der neueren Geschichte?

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch "Gebrauchsanweisung für Nachbarn" (mit Martin Hyun) ist im März 2024 erschienen.

Die alte Verfassung wurde ebenso wie die neu gedruckte feierlich der Präsidialbibliothek übergeben. Angeblich befindet sich diese Bibliothek in dem berühmten Palast des Präsidenten am Kap Idokopas am Schwarzen Meer. Das Schloss wurde bereits vor dem Krieg von investigativen Journalisten ausfindig gemacht, abfotografiert und von Alexei Nawalny und seinem Verein als Film ins Netz gestellt. Dieser avancierte in kurzer Zeit zu einem Blockbuster, er wurde hundert Millionen Mal angeklickt.

Die russische Bevölkerung empört sich schon lange nicht mehr über Willkür und Korruption in den Machtetagen. Doch hinter die Gardinen, in die Küchen und Schlafzimmer zu schauen, wie ihre Machthaber leben, welche Farbe ihre Tapeten im Gästezimmer haben und wie groß die Betten sind, daran finden sie immer noch großen Gefallen. Also staunte und lachte das Land über den schlechten Geschmack und die schrägen Sitten seines Präsidenten, über seine "Aqua-Disco" mit Strip-Stange, über den Fitnessraum und vergoldete Klobürsten.

Putin war blamiert

Die Offenlegung seines Privatlebens hat dem Präsidenten damals wehgetan. Böse Zungen behaupten, die Veröffentlichung dieser Aufnahmen und nicht die politischen Statements hätten Alexei Nawalny das Leben gekostet. Die Überwachung am Kap Idokopas wurde verstärkt, das Schloss musste geschlossen und umgebaut werden. Es wurde dort Schimmel gefunden. "Wo Putin aufkreuzt, verschimmelt alles", lachten die investigativen Journalisten. Niemand sollte mehr über das Schloss berichten.

Doch wir leben in einem gläsernen Zeitalter, nichts und niemand kann sich vor neugierigen Augen verstecken. Also hat sich wieder jemand als Bauarbeiter verkleidet ins Schloss einschleust und jedes Zimmer fotografiert. Der neue Film, pünktlich zur Amtseinführung veröffentlicht, hat bei Weitem nicht so eine große Aufmerksamkeit bekommen. Es ist Krieg, das Land befindet sich im Ausnahmezustand, und ein Ende der Kampfhandlungen ist nicht in Sicht.

Die Nachrichten von der Front haben das umgebaute Schloss in den Schatten gestellt. Die Bauveränderungen stimmen einen jedoch pessimistisch. Die Aqua-Disco ist verschwunden, zusammen mit der Strip-Stange. An ihrer Stelle steht jetzt ein Altar, es hängen dort nun Ikonen von Heiligen, die mit Speer und Schwert bewaffnet durch verwüstete Landschaften reiten. Daneben befindet sich eine Bibliothek mit heiligen Schriften und dem alten, in Waran-Haut gebundenen Grundgesetz.

Der Freizeitspaß hat dem Ernst des Lebens Platz gemacht. Das ist keine fröhliche Entwicklung, wenn man bedenkt, dass der Hauptbewohner des Schlosses über siebzig ist, unter Minderwertigkeitskomplexen leidet und über das zweitmächtigste Arsenal an Nuklearwaffen weltweit gebietet. Es bleibt nur zu hoffen, dass Putins Waffen wie sein Schloss verschimmeln und nicht einsatzfähig sind.

Putin für die Ewigkeit?

Nach seiner Amtseinführung segnete ihn der Patriarch, er nannte Putin "Eure Hoheit " und wünschte ihm, er solle "bis zum Ende des Jahrhunderts regieren". So wurde die Rede des Patriarchen in den deutschen und europäischen Zeitungen wörtlich übersetzt. Am Ende des Jahrhunderts müsste Putin 150 Jahre alt sein, wunderten sich die ausländischen Beobachter. Wie ist das möglich? Im Russischem ist diese Redewendung jedoch eine Metapher, eine Allegorie, die so viel wie "Bis ans Ende aller Zeiten" bedeutet und für die Ewigkeit steht.

Auch in der aktuellen russischen Hymne, die Russlands Macht verherrlicht und besingt und die bei der Hochzeit, sprich Amtseinführung, gespielt wurde, heißt es "So war es immer und so soll es ewig bleiben". Ein Reich, das nicht für die Ewigkeit erschaffen wurde, sei eine Bruchbude. Laut einer Volksweisheit soll eine Braut bei der Hochzeit aber etwas Altes, Neues, Geliehenes und Blaues haben. Hat sie das?

Russland hat einen alten Präsidenten, der gleichzeitig der neue ist, einen geliehenen Stolz über die Siege der Vorfahren und einen neuen Verteidigungsminister, den ehemaligen Wirtschaftsminister, der selbst dermaßen überrascht über seinen neuen Posten war, dass er ganz blau im Gesicht wurde. Dabei muss er als Verteidigungsminister nichts anderes machen, als er ohnehin als Wirtschaftsminister gemacht hat.

Die russische Wirtschaft ist zu einer Kriegswirtschaft geworden, es wird nichts mehr außer Militärgerät und Munition produziert und schnell verbraucht. Das Geld und die Mikrochips für die Waffenproduktion sollen auf Umwegen aus dem Ausland kommen, im Tausch gegen Georessourcen, der Handel wird zunehmend durch Sanktionen des Westens erschwert. Der neue Verteidigungsminister ist aber ein Experte für Kryptowährung und digitales Finanzwesen, er soll sich kümmern und liefern, damit Putins Armee weiter intakt bleibt.

Ach so, den Groschen im Schuh haben wir noch vergessen, den muss die Braut auch noch haben, um die finanzielle Sicherheit in der Zukunft zu gewährleisten. Mit dem Groschen wird es langsam problematisch, in einem Haushalt, in dem die Einnahmen permanent verschossen werden und die Soldaten immer mehr Geld für ihre Dienste haben wollen. Krieg ist teuer. Alle Reiche und Imperien sind daran gescheitert, obwohl sie alle, ohne Ausnahme, mit der eigenen Ewigkeit gerechnet haben. Doch eine andere Volksweisheit sagt: Jede Ewigkeit geht schnell vorbei.

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