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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Angriff auf Israel "Die Mullahs haben eine Ohrfeige bekommen"
Der Iran attackierte Israel, zum ersten Mal direkt. Nun droht eine israelische Gegenreaktion. Experte Richard C. Schneider schätzt die Lage ein.
Mit Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern griff das iranische Regime Israel an, die Attacke konnte das Land mit westlicher und auch arabischer Hilfe abwehren. Warum attackierte der Iran aber Israel zum ersten Mal direkt von seinem Territorium in einem derartigen Ausmaß? Wie wird Israel auf die Provokation reagieren? Und droht gar ein Flächenbrand? Richard C. Schneider, Journalist, "Spiegel"-Autor und Experte für die Geschichte des Nahostkonflikts, beantwortet diese Fragen im Gespräch.
t-online: Herr Schneider, der Iran hat Israel mit Hunderten Drohnen und Raketen direkt angegriffen. Wie groß ist die Gefahr einer Eskalation?
Richard C. Schneider: Alles hängt nun von der israelischen Gegenreaktion ab. US-Präsident Joe Biden hat der Regierung Netanjahu bereits signalisiert, dass die Vereinigten Staaten keinen direkten Vergeltungsschlag auf iranisches Territorium unterstützen werden. Aber ob diese Warnung so von Netanjahu und seinem Kriegskabinett akzeptiert wird? Wir werden abwarten müssen.
Der iranische Angriff kam nicht von ungefähr: Kürzlich starben zwei Generäle der Islamischen Revolutionsgarden bei einem Luftschlag auf das Konsulat des Iran im syrischen Damaskus. Teheran macht Israel verantwortlich.
Die Iraner haben nach der Tötung ihrer Generäle reagieren müssen. Beide Generäle waren nicht nur äußerst wichtig, der israelische Luftangriff hat sie genau genommen auch auf iranischem Territorium getötet: Denn das Gelände eines Konsulats oder einer Botschaft ist nach internationalen Gepflogenheiten Territorium des Landes, das sie unterhält. Es handelte sich also um eine Attacke auf iranischen Boden, das konnte das Mullah-Regime nicht hinnehmen.
Hätte der iranische Vergeltungsschlag nicht auch durch die verbündete Hisbollah aus dem Libanon erfolgen können?
Dafür fühlte sich Teheran zu herausgefordert. Das Regime konnte nicht einfach über seine sogenannten Proxies wie die Hisbollah reagieren. Dieses Regime will vor allem eins: überleben. Deswegen muss es einerseits Stärke demonstrieren, andererseits darf es die Vergeltung nicht übertreiben. Dem Iran war im Vorfeld völlig klar, dass es keinen großen Krieg lostreten kann, weil die Amerikaner schnell ihre Bereitschaft erklärt haben, Israel in einem solchen Fall zu verteidigen. Die militärischen Fähigkeiten Israels und der USA übersteigen alles, was der Iran zumindest im Moment aufbieten kann.
Richard C. Schneider, Jahrgang 1957, ist Journalist und "Spiegel"-Autor. Von 2006 bis Ende 2015 war er ARD-Studioleiter und Chefkorrespondent in Tel Aviv, 2016/17 Chefkorrespondent im ARD-Studio Rom. Schneider ist Experte für die Gesellschaft Israels und die Geschichte des Nahostkonflikts. 2023 erschien sein Buch "Die Sache mit Israel. Fünf Fragen zu einem komplizierten Land".
Der iranische Angriff konnte abgewehrt werden. Was aber, wenn Drohnen und Raketen für Zerstörungen in Israel gesorgt hätten?
Im Krieg kann man nie wissen, was geschehen wird. Es besteht immer das Risiko einer Eskalation. Im schlimmsten Fall wäre es der Beginn eines ganz großen Krieges zwischen Israel und dem Iran, in den dann auch die iranischen Proxies noch weiter hineingezogen würden.
Israel führt bereits in Gaza Krieg gegen die Terroristen der Hamas.
Der Gazakrieg ist meines Erachtens eigentlich vorbei, zum immer wieder angedrohten Angriff auf Rafah im Süden Gazas wird es nicht kommen. Das ist eher eine Drohkulisse. Jetzt den Krieg gegen die Hamas wieder zu intensivieren, wäre strategisch auch ziemlich unklug von Netanjahu, weil die gesamte internationale Aufmerksamkeit auf die Aggression des Iran gerichtet ist.
Welche Szenarien sind nun denkbar in Hinsicht auf eine israelische Gegenreaktion?
Das schlimmste anzunehmende Szenario besteht in einem israelischen Luftangriff auf Ziele im Iran. Selbstverständlich mit militärischen Zielen, keinen zivilen. Die Folgen wären unabsehbar.
Der Iran soll laut Experten binnen Wochen eine Atombombe bauen können.
Das bringt uns zu einem weiteren denkbaren Szenario. Die Gefahr besteht tatsächlich nun mehr denn je, dass der Iran eiligst seine Bombe bauen wird. Israel kann jetzt strategisch und diplomatisch geschickt die Weltöffentlichkeit auf diese Gefahr hinweisen, die unmittelbar droht. Und möglicherweise – um eine dritte Möglichkeit zu nennen – wird sich der israelische Vergeltungsschlag gegen die ganzen Revolutionsgarden in Syrien und möglicherweise auch gegen die Hisbollah im Libanon richten, um das Problem mit der Hisbollah ein für alle Mal zu erledigen.
Die Hisbollah hat ein immenses Reservoir an Raketen, die gen Süden ausgerichtet sind. Wird Netanjahu die Konfrontation suchen?
Es wäre ein überaus massiver Krieg mit gewaltigen Schäden auf beiden Seiten. Aber möglicherweise wird Netanjahu diesen Krieg trotzdem führen wollen: Um länger an der Macht zu bleiben, aber auch, um den Amerikanern in der Weise "entgegenzukommen", indem Israel eben nicht den Iran direkt angreift. Zugleich würde er damit etwas tun, um dem iranischen Atomwaffenprogramm zum Nutzen Israels schaden zu können.
Wie genau?
In Israel habe ich über die Jahre immer wieder Gespräche mit Experten zu dem Thema geführt. Sie sind einhellig der Überzeugung, dass Israel zunächst die Hisbollah ausschalten muss, wenn der Iran die Atombombe baut. Damit sich die israelische Luftwaffe im Ernstfall nicht an der Heimatfront mit dieser Bedrohung beschäftigen muss.
Jedes von Ihnen beschriebene Szenario bedeutet Eskalation. Gibt es keine anderen Optionen?
Selbstverständlich könnte sich Israel auch auf einige eher "symbolische" Schläge beschränken. Zumal es sich auf dem Feld der Diplomatie gerade im Vorteil befindet. Wir dürfen auch eine Tatsache nicht übersehen: Die Mullahs in Teheran haben gestern eine klatschende Ohrfeige bekommen. Die Allianz, die Israel bei der Abwehr der anfliegenden iranischen Drohnen geholfen hat, umfasste nicht nur die USA und Großbritannien; auch etwa Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien haben mitgeholfen.
Allesamt sunnitische Staaten, die sich im Konflikt mit den schiitischen Mullahs befinden?
Das ist der entscheidende Punkt. Diese Staaten lieben Israel keineswegs, aber sie haben alle Angst vor dem Iran. Seit den sogenannten Abraham-Abkommen von 2020 gibt es etwa eine Zusammenarbeit beim Ausbau der Radarüberwachung, um alle Teilnehmer sogleich wissen zu lassen, wenn in Teheran ein Fahrrad umfällt. Um es salopp auszudrücken. Die Terrorattacke der vom Iran unterstützten Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 sollte dieses Bündnis schwächen, besser noch sprengen. Das hat nicht funktioniert, wie sich nun zeigte.
Warum hat die Regierung Netanjahu das iranische Regime aber mit der mutmaßlichen Tötung seiner Generäle in Damaskus überhaupt derart provoziert?
Israel nutzt sich bietende Gelegenheiten immer wieder, um wichtige Figuren des Gegners auszuschalten – ohne sich groß Gedanken darum zu machen, was die möglichen strategischen Folgen sein könnten. Eine andere Möglichkeit ist, dass Netanjahu die Tötung der iranischen Generäle bewusst beabsichtigt hatte, um zu eskalieren. Vielleicht traute er den Mullahs aber auch nicht zu, dass sie einen direkten Angriff auf Israel von iranischem Territorium wagen würden.
Dann hätte er sie aber unterschätzt.
Die Mullahs mussten sich trauen, die getöteten Generäle waren wirklich extrem wichtige Figuren der Revolutionsgarden. Für den Iran war es eine ungeheure Schmach, dass diese Leute so ohne Weiteres ausgeschaltet werden konnten. Ajatollah Ali Chamenei hat sich in der Öffentlichkeit auch gleich dreimal darauf festgelegt, dass Israel dafür bestraft gehöre. Für den Iran gab es kein Zurück.
Das iranische Arsenal an Drohnen und Raketen ist groß, sie schickten aber nur einige Hundert gen Israel.
Nicht zu wenige, nicht zu viele aus iranischer Sicht. Der Angriff sah massiv aus, war aber für Israel und seine Verbündeten in den Griff zu bekommen. Selbst wenn die iranischen Drohnen durchgekommen wären, waren ausschließlich militärische Ziele vorgesehen. Wenn Raketen in Tel Aviv oder Haifa eingeschlagen wären mit zahlreichen zivilen Toten, dann wäre die Lage jetzt eine völlig andere.
Herr Schneider, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Richard C. Schneider via Telefon