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Russland: Die orthodoxe Kirche hilft Putin – rekrutiert neue Soldaten


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Kirche und Kreml
Putin ist überhaupt nichts mehr heilig

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 17.12.2023Lesedauer: 4 Min.
Patriarch Kyrill I. und Wladimir Putin: Die Russisch-Orthodoxe Kirche ist dem Kreml hörig.Vergrößern des Bildes
Patriarch Kyrill I. und Wladimir Putin: Die Russisch-Orthodoxe Kirche ist dem Kreml hörig. (Quelle: SPUTNIK/reuters)
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Russlands Krieg gegen die Ukraine fordert unzählige Leben. Beim Werben um neue Soldaten hat Wladimir Putin eine Verbündete an seiner Seite: die Russisch-Orthodoxe Kirche. Wladimir Kaminer weiß mehr darüber.

Allein mit Geld ist kein Krieg zu gewinnen, schon gar nicht ein Stellungskrieg, der viele Menschenleben kostet. Der russische Staat hat sich dazu verpflichtet, für jeden gefallenen Soldaten eine "Prämie" in zweistelliger Millionenhöhe – in Rubel – an die betreffenden Familien zu zahlen. Bei Zigtausenden von Toten an der Front ist das ein ordentlicher Batzen.

Aber nicht nur die Staatskasse, auch die Wirtschaft wird durch einen solchen Krieg auf Dauer geschwächt. Schon heute ist mehr als die Hälfte der russischen Produktion für die friedlichen Bürger nicht mehr zu konsumieren, denn Bomben, Drohnen und Raketen kann man nicht essen. Und wenn Menschen hungern, haben sie Fragen an den Staat.

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Im August 2023 ist sein neues Buch "Frühstück am Rande der Apokalypse" erschienen.

Deswegen bemüht sich der russische Präsident, eine Ideologie zu erschaffen, die seine Bürger dazu bringt, nicht allzu anspruchsvoll zu sein – und am besten für umsonst das Leben an der Front zu riskieren. In diesem Vorhaben stützt er sich auf die Russisch-Orthodoxe Kirche. Die Propaganda erzählt Tag für Tag, dass es bei diesem Krieg überhaupt nicht um die Eroberung irgendwelcher kaputt geschossener Dörfer in der Ostukraine gehe, sondern um einen heiligen Krieg gegen den Westen, der die wahren christlichen Werte gegen LGBTQ und ein Goldenes Kalb ausgetauscht habe.

Nur die Russen, als letztes christianisiertes Volk der Erde, könnten die Welt vor dem Untergang retten, heißt es. Vor diesem Hintergrund erhält die Russisch-Orthodoxe Kirche, als Avantgarde der neuen Ideologie, enorme Summen vom Staat. Sie hat jetzt Zugang zu den Schulen, sie hält Unterricht an den Universitäten, sie ist ständig in den staatstreuen russischen Medien präsent.

Krieg gegen die Kirche

Ohne den Segen der Kirche startet keine Rakete vom Kosmodrom Baikonur; Regierungssitzungen, sogar die Pläne des Generalstabs, müssen vom Patriarchen Kyrill I. persönlich abgesegnet werden. Die Kirche lebt gut in dieser symbiotischen Beziehung mit dem totalitären Staat. Der Patriarch, genauso wie der Präsident, ist ein ehemaliger Agent des KGB: Während Putin in Dresden spionierte, war Kyrill I. einst in Genf für den sowjetischen Staat tätig.

Seine Bekannten aus dieser Zeit erinnern sich, dass der zukünftige Patriarch ein leidenschaftlicher Skifahrer und Weinbrandtrinker war. Die Tatsache, dass Kirchenobere wie Kyrill I. aus den Reihen des Geheimdienstes rekrutiert wurden, ist der Geschichte des Landes geschuldet. Gleich nach der Oktoberrevolution vor mehr als hundert Jahren haben die Bolschewiken der Kirche des zaristischen Russland den Krieg erklärt.

Gottesdiener wurden in Massen erschossen, die Gotteshäuser gesprengt oder in Lagerhallen umgewandelt. Jeder aus meiner Generation kennt ein solches Gebäude, ich bin auch neben einer ehemaligen Kirche aufgewachsen, die zu einem Depot für Kartoffeln umfunktioniert worden war. Doch dann nahm die Geschichte der Kirche eine unerwartete Wendung. Im Großen Vaterländischen Krieg von 1941 bis 1945, als das Land vor einer existenziellen Herausforderung stand, suchte Josef Stalin nach einer dringend notwendigen Stärkung des Patriotismus.

Nicht nur Marx und Engels, auch Gott soll auf unserer Seite sein, dachte er. Stalin schuf also schnell eine neue orthodoxe Kirche, ihre Führungskräfte wurden von der Staatssicherheit angeworben. Diese neue Kirche fand daraufhin erstaunlich schnell ihren Platz in einer mehrheitlich atheistischen Gesellschaft. Nach dem Krieg wurde das Projekt Kirche dann wieder eingemottet.

Alte Seilschaften

Erst unter Michail Gorbatschow erlebte sie ihre zweite Renaissance. Der politische Druck auf die Gesellschaft ließ nach, das Interesse an der Kirche stieg. Unter Gorbatschow hatte die Kirche viel Freiheit und bekam sogar einige ihrer Gotteshäuser zurück, die Kartoffeln mussten umgelagert werden. Zum Zeitpunkt des Unterganges der Sowjetunion war die Russisch-Orthodoxe Kirche eine gesellschaftliche Institution mit großer Autorität, 1990 äußerten laut Umfrage 67 Prozent der Bevölkerung, dass sie der Kirche vertrauen – und das nach 70 Jahren Atheismus.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion herrschte ideologische Leere im Land, die alten sozialistischen Werte verschwanden, die neuen mussten erst noch definiert werden. In diesem ideologischen Vakuum gelang es Putin, an die Macht zu kommen. Er gab sofort ein neues Konzept der nationalen Sicherheit in Auftrag. In diesem Konzept, das im Jahr 2000 vom Parlament abgesegnet wurde, ging es unter anderem um die "geistige Erneuerung Russlands."

Und wer sollte diese geistige Erneuerung einführen? Natürlich die alten Agentenfreunde von der Kirche. Dafür wurden ihnen erhebliche wirtschaftliche Vorteile gewährt. Die Kirche durfte zollfreien Handel mit Spirituosen und Zigaretten treiben. Obwohl das Trinken und Rauchen als Sünde angesehen wird, hat die Kirche Milliarden mit Import-Export-Geschäften eingenommen.

Imperium Kirche

Ihr gehören Banken, Medienhäuser, Fernsehkanäle, Bauunternehmen, die natürlich neue Kirchen bauen. Der Kirchenbau bekam unter Putin einen mächtigen Schub, nach dem Willen des Patriarchen soll jeder russische Bürger in direkter Erreichbarkeit einer Kirche leben. Die Kirche heiligt den Krieg in der Ukraine, verbreitet Homophobie und segnet Massenvernichtungswaffen.

Nicht alle Popen waren damit einverstanden. Zu Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine schrieben fast 300 Diener der Kirche einen öffentlichen Brief an den Präsidenten, sie beteten um Frieden. All diese Menschen wurden inzwischen aus der Kirche entlassen, nicht wenige verließen das Land, sie wurden zu Verfolgten. Es werden immer mehr Kirchen in Russland gebaut, mit immer weniger Gläubigen darin. Denn die Russen mögen verwirrt sein, aber blöd sind sie nicht: Das Vertrauen in die Kirche ist seit Beginn des Krieges um 30 Prozent gesunken, berichten die Soziologen.

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