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Australien | Ex-Premier Rudd zu USA und China: "Keine Schwäche zeigen”


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Experte Rudd über Kriegsgefahr
"Dann könnte die Welt aufatmen"


Aktualisiert am 06.12.2023Lesedauer: 6 Min.
Chinesisches Marineschiff im Manöver: Ein Krieg zwischen China und den USA muss verhindert werden, sagt Kevin Rudd.Vergrößern des Bildes
Chinesisches Marineschiff im Manöver: Ein Krieg zwischen China und den USA muss verhindert werden, sagt Kevin Rudd. (Quelle: ChinaFotoPress/MAXPPP/dpa)
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China und die USA liefern sich einen Wettkampf, der schnell in einen Krieg ausarten könnte. Kevin Rudd, Australiens Ex-Premier und China-Experte, erklärt im t-online-Interview, wie das Schlimmste verhindert werden kann.

Krieg in Europa, Krieg im Nahen Osten – droht demnächst auch ein militärischer Schlagabtausch zwischen den USA und China im Pazifik? Niemand kann dieses Risiko besser einschätzen als Kevin Rudd, der ehemalige Premierminister Australiens und heutige Botschafter seines Landes in den Vereinigten Staaten. Kein anderer westlicher Politiker kennt China und dessen Präsidenten Xi Jinping so gut wie der Sinologe.

Kürzlich ist Rudds Buch "Der vermeidbare Krieg. Die Gefahr eines katastrophalen Konflikts zwischen den Vereinigten Staaten und Xi Jinpings China" in Deutschland erschienen. Im Interview mit t-online erklärt Rudd, wie Xi Jinping denkt, auf welche Weise sich das Risiko eines Krieges im indopazifischen Raum verringern ließe und wie Australien gelernt hat, mit der aufsteigenden Großmacht China umzugehen.

t-online: Herr Rudd, wie groß ist die Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen China und den USA im Pazifik?

Kevin Rudd: Die Gefahr ist absolut real, dieses Risiko existiert – falls sich die Beziehungen zwischen den USA und China nicht stabilisieren. Um eine solche Stabilisierung zu gewährleisten, muss China davon abgehalten werden, militärische Gewalt gegen Taiwan einzusetzen. Sonst könnte ein Konflikt ausbrechen, der möglicherweise Verbündete auf der ganzen Welt beträfe.

Bislang beschränkt sich China gegenüber Taiwan auf martialische Worte und militärische Drohgebärden. Wie lässt sich sicherstellen, dass daraus nicht mehr wird?

Wir müssen China um jeden Preis von einem Gewalteinsatz zur Eroberung Taiwans abhalten. Bislang ist die Abschreckung erfolgreich, aber sie braucht kontinuierliches Engagement und konsequente Investitionen.

Was also tun?

Abschreckung ist im weitesten Sinn zu verstehen. Zunächst muss sie die chinesische Zentrale Militärkommission unter dem Vorsitz von Xi Jinping zu dem Schluss bringen, dass der Einsatz unilateraler militärischer Gewalt zur Einnahme Taiwans für China viel zu riskant wäre. Anders ausgedrückt: Das militärische Risiko muss Peking sehr hoch erscheinen. Dazu braucht es militärische Abschreckung sowohl durch die Vereinigten Staaten als auch durch Taiwan.

Wie kann Europa helfen?

Abschreckung lässt sich auf vielen Ebenen leisten. Zunächst auf außenpolitischer Ebene, indem man Pekings Zentraler Militärkommission deutlich macht, dass Chinas weltweites Ansehen durch den Einsatz von militärischer Gewalt gegen Taiwan leiden würde. Das würde Chinas Plan untergraben, die künftige Weltordnung anzuführen. Sähen die chinesischen Militärbehörden außerdem ein, dass neben dem militärischen und außenpolitischen Risiko auch die wirtschaftlichen und finanziellen Kosten infolge einer gewaltsamen Grenzverschiebung zu hoch wären, ergäbe sich eine wirkungsvolle Abschreckung.

Kevin Rudd, Jahrgang 1957, amtierte zweimal als Premierminister Australiens, zudem vertrat der Sinologe sein Land als Außenminister. 2023 wurde Rudd zum australischen Botschafter in den Vereinigten Staaten von Amerika berufen. Kürzlich ist sein Buch "Der vermeidbare Krieg. Die Gefahr eines katastrophalen Konflikts zwischen den Vereinigten Staaten und Xi Jinpings China" in Deutschland erschienen.

US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping haben sich nach längerer Funkstille Mitte November in Kalifornien getroffen. Ist das schon die erhoffte Entspannung?

Persönliche Gespräche sind gut und wichtig. Aber die Differenzen zwischen den beiden Staaten sind derart groß, dass es weiterer großer Anstrengungen bedarf.

In Ihrem gerade in Deutschland erschienenen Buch "Der vermeidbare Krieg" warnen Sie davor, dass die 2020er-Jahre eine Dekade seien, in der man "gefährlich lebt". Sind Sie also doch eher skeptisch, was den Frieden angeht?

Wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken: Der Wettbewerb um die globale Führungsrolle war niemals schärfer, die Einsätze waren niemals höher. Die beiden Giganten USA und China müssen einen Weg der Koexistenz finden, dann könnte die Welt aufatmen. Ich nenne das einen geordneten strategischen Wettbewerb.

Falls Peking und Washington daran scheitern sollten – was geschähe dann?

Dann droht die Gefahr eines Krieges, der die Welt, wie wir sie kennen, grundlegend verändern würde. Dieses Szenario müssen wir unbedingt verhindern.

Europa ist derzeit aber vor allem mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine beschäftigt.

Ja, und das wird in Asien auch verstanden und akzeptiert. Zugleich sieht man in Taiwan und anderen asiatischen Demokratien, dass Russland in erheblichem Ausmaß diplomatische und wirtschaftliche Unterstützung aus China genießt. Deshalb sollten die Europäer mehr Solidarität in Asien zeigen.

Was schlagen Sie konkret vor?

Europäische Staaten könnten regelmäßig Marineschiffe zur Durchfahrt durch das Südchinesische Meer entsenden, um die Freiheit dieses internationalen Seewegs zu betonen. Auch wenn China das überhaupt nicht gefällt. Solange unsere kollektive Haltung mit dem Internationalen Seerecht vereinbar ist.

Europa hat sich nach dem Überfall auf die Ukraine im letzten Jahr schnell und entschlossen zu weitreichenden Sanktionen gegen Russland durchgerungen. War China Ihrer Beobachtung nach davon beeindruckt?

China – insbesondere die Zentrale Militärkommission – war ziemlich überrascht vom Ausmaß und der Kontinuität der europäischen Solidarität mit der Ukraine. Daraus ergeben sich Auswirkungen auf das chinesische Kalkül, wie stark die Europäer mit den USA in Fragen strategischer globaler Prioritäten übereinstimmen: nämlich deutlich mehr als angenommen.

Der russische Präsident Putin spielt auf Zeit, er hofft auf ein nachlassendes Interesse der USA und der Europäer an der Ukraine. Welche Folgen hätte es im Pazifikraum, falls die Ukraine mehr oder weniger sich selbst überlassen würde?

Jede Form der Abwendung von der Ukraine – sei es durch die USA, die Europäer oder die gesamte internationale Gemeinschaft – hätte eine fatale Auswirkung auf die Abschreckung Chinas in Bezug auf Taiwan. Peking bekäme signalisiert, dass Aggression sich lohnt. Deshalb ist die anhaltende Solidarität mit der Ukraine so wichtig.

Während Ihrer Karriere haben Sie Xi Jinping nicht nur persönlich kennengelernt, sondern sich auch wissenschaftlich mit seiner Ideologie beschäftigt. Wie schätzen Sie ihn ein?

Für meine Doktorarbeit habe ich mich selbst gezwungen, alles zu lesen, was Xi Jinping geschrieben hat. Das ist sehr aufschlussreich, weil man dann seine Ideologie versteht. Meine wichtigste Erkenntnis: Xi Jinping ist ein zutiefst überzeugter Marxist-Leninist. Für euch Europäer in eurer postsozialistischen Erfahrung mag das überraschend sein, aber der Marxismus-Leninismus ist dank Xi Jinping in China quicklebendig.

Xi Jinping betreibt Weltpolitik also unter anderem auf Grundlage des Historischen Materialismus von Karl Marx?

So ist es. Innerhalb dieses weltanschaulichen Systems wird deutlich, auf welche Weise Xi Jinping seine Politik entwickelt: Er sieht den Niedergang des Westens als zwingende Folge der Weltgeschichte – während der Osten an Macht hinzugewinnt, natürlich angeführt von China. Um es in Xis Denkweise auszudrücken: Diese Entwicklung sei unvermeidlich, weil sie von den Kräften des historischen Determinismus angetrieben werde. Hier zeigt sich der deutsche Einfluss auf die werdende Supermacht China.

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Wie das?

Deutschland hat der Nachwelt die Philosophien von Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Karl Marx hinterlassen. Historisch gesehen ist der deutsche intellektuelle Einfluss auf den Marxismus-Leninismus in der Kommunistischen Partei Chinas tatsächlich groß.

Xi Jinping will sich also wie Wladimir Putin einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern – als "Erneuerer" der Macht?

Ich habe Xi Jinping viele Male getroffen und kann Ihnen versichern: Er ist ein Führer, der sich bei der Ausübung politischer Macht sehr wohlfühlt. Obendrein ist Xi ein Politiker, der sein ganz spezielles Verständnis vom historischen Schicksal Chinas hat: Er ist geradezu besessen davon, bis zur Mitte des Jahrhunderts Chinas globalen Aufstieg zu sichern. Zu diesem Zweck hat er die Kommunistische Partei mit eiserner leninistischer Disziplin revitalisiert.

Australien hat vor nicht allzu langer Zeit Chinas Zorn in Form von Sanktionen zu spüren bekommen. Was können andere Staaten daraus lernen?

Meine Heimat ist nur ein Beispiel von vielen Staaten, die Handelshindernisse durch China erlebt haben. Gegen Japan gab es ein Importverbot für Seltene Erden. Südkorea, Norwegen, Schweden und andere Nationen haben Ähnliches erlebt. So etwas ist ein Standardelement im chinesischen Eskalations-Repertoire. Wir Australier haben überparteilich daraus eine Erkenntnis gewonnen: Bloß keine Schwäche zeigen. Schwäche gegenüber China ist brandgefährlich. Man muss hart bleiben – bis zu dem Punkt, an dem China selbst zu der Einsicht gelangt, dass die aggressive Politik den eigenen Interessen schadet.

In China gilt Geduld allerdings als Tugend.

Trotzdem haben wir Australier die Erfahrung gemacht, dass unsere Strategie erfolgreich ist. Kürzlich war unser Premierminister zu Besuch in Peking: Es war das erste Mal seit sieben Jahren, dass ein australischer Regierungschef dort eingeladen war!

Auf der anderen Seite des Pazifiks könnte im kommenden Jahr ein Mann erneut ins Weiße Haus einziehen, der für seine Ungeduld und Unberechenbarkeit berüchtigt ist. Könnte eine erneute Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten zu einer Eskalation der amerikanisch-chinesischen Beziehungen führen?

Mir steht es nicht zu, über die Zukunft der amerikanischen Politik zu spekulieren. Was ich allerdings beobachte, sind Differenzen in Bezug auf die Ukraine zwischen Demokraten und Republikanern. In der Taiwan-Frage kann ich Vergleichbares nicht ausmachen. Insofern gehe ich davon aus, dass die bisherige amerikanische Abschreckung gegenüber China Bestand haben wird.

Herr Rudd, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Kevin Rudd via Videokonferenz
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