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Russland | Putins Propaganda: So indoktriniert der Kreml die Jugend


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Jugend in Russland
Putins Propaganda wird uns noch lange heimsuchen

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

01.11.2023Lesedauer: 4 Min.
Angehörige der Junarmija (Archivbild): Russlands Machthaber Wladimir Putin indoktriniert die Jugend.Vergrößern des Bildes
Angehörige der Junarmija (Archivbild): Russlands Machthaber Wladimir Putin indoktriniert die Jugend. (Quelle: Iliya Pitalev/reuters)
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Unaufhörlich indoktriniert Russlands Propaganda die Menschen, besonders die Jugend des Landes befindet sich im Fokus Wladimir Putins. Wie der Kreml vorgeht, beschreibt Wladimir Kaminer.

Jede nicht-demokratische Herrschaftsform bemüht sich um eine Ideologie, die als Rechtfertigung ihres Machtanspruchs herhalten soll. Warum eigentlich? Ein Diktator kann doch die Loyalität seines Volkes allein mit Gewalt erzwingen, das Volk wird zahm gehalten und kann sich nicht wehren. Es kann seinen Herrscher weder abwählen noch laut und ungestraft gegen das Regime protestieren.

Doch wenn das Volk dem Herrscher nur unter Androhung von Gewalt zujubelt, sich lediglich mit verkniffenem Gesicht widerwillig zur Arbeit meldet oder lustlos Richtung Krieg schleppt, macht das Regieren den Gewaltmenschen offensichtlich keinen Spaß. Deswegen ist für nicht-demokratische Regimes eine Ideologie unabdinglich. Und weil stets die Jugend als vermeintlich revolutionäre Avantgarde gilt, muss vor allem sie entsprechend indoktriniert werden.

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Kürzlich ist sein neues Buch "Frühstück am Rande der Apokalypse" erschienen.

Dafür braucht es drei Dinge: tote Helden zum Verehren, Feindbilder zum Hassen sowie Sommerlager mit Lagerfeuer, Fußball und Musik. Stilbildend in der ideologischen Indoktrinierung der Jugend bleibt aus meiner Sicht nach wie vor die Hitlerjugend (HJ) des nationalsozialistischen Deutschlands. Die Nazis haben es geschafft, die deutsche Jugend – für die Mädchen gab es den Bund Deutscher Mädel – quasi von Geburt an zu beschäftigen. Bereits mit zehn Jahren musste jedes Kind Mitglied einer der HJ-Organisationen werden, sonst musste man mit Nachteilen rechnen.

Ab 14 Jahren "durfte" man sich dann bei der Hitlerjugend anmelden, die entsprechend von Hugo Boss gefertigten schneidigen Uniformen erwerben und "endlich" so sein wie die älteren Kinder. Zigtausende Heranwachsende sehnten sich den Moment herbei, in dem sie endlich in die Hugo-Boss-Uniform schlüpfen durften. Zu ihren toten Helden gehörte wiederum der Hitlerjunge Herbert Norkus, der einst beim Verteilen von NS-Flugblättern im Alter von 15 Jahren von fast gleichaltrigen Jungkommunisten abgestochen worden war.

Alles unter einer Bedingung

Das Feindbild war klar umrahmt: Kommunisten und Juden. Die Sommerlager der Nazis waren legendär, man konnte Sport und Musik machen, auch Modellflugzeuge bauen – all das, was die Jugend mag. Die einzige Bedingung dabei war: Alles musste von der bedingungslosen Liebe zum "Führer" und der Rassendoktrin der Nationalsozialisten durchtränkt sein. In den zwölf Jahren NS-Diktatur ist dadurch eine ganze Generation entstanden, die nichts anderes kannte.

Und dem "Führer" selbst dann noch im Weltkrieg weiter ergeben diente, als die Erwachsenen sich bereits in Scharen ergaben. Hitlers Kinderarmee sah am Ende des Kriegs erbärmlich aus, sie trug auch keine schicken Hugo-Boss-Uniformen mehr. Viele hatten abgeranzte Kittel der Reichsbahn an, die ihnen einige Nummern zu groß waren. Viele Kinder kämpften aber trotzdem fanatisch. Zu viele von ihnen starben im Krieg, die übrig Gebliebenen konnten die ideologische Vergiftung nicht überwinden, sie blieben ihr Leben lang mental beschädigt.

Meine Heimat, die Sowjetunion, hatte sich ebenfalls bemüht, die Jugend zu indoktrinieren, an toten Helden und Feindbildern mangelte es nicht, auch die Pionierlager im Sommer waren für jedes sowjetische Kind unvermeidbar. Unsere Uniformen waren allerdings nicht von Hugo Boss, sie wurden in der Fabrik "Junge Bolschewikin" genäht. Sie waren hässlich, doch wenn alle gleich hässlich aussahen, fiel es nicht so auf.

Heute investiert Putins Regime eine Menge Geld in die Erschaffung einer neuen Ideologie, die der alten verblüffend ähnlich sieht. Nur anstelle des Kommunismus wird der besondere Weg Russlands gepriesen, des angeblich einzigen Landes der Welt, das geradesteht, während sich alle anderen vor dem Weltkapital verbeugen würden. Im neuen russischen Staatsbudget sind die Ausgaben für "patriotische Erziehung" um das Zehnfache gewachsen!

"Unterrichtet" von Überlebenden

Von 45 Milliarden Rubel bekommt die neu gegründete Jugendbewegung "Die Ersten" mehr als die Hälfte. Deren Finanzierung ist vergleichbar mit der Finanzierung einer mittelgroßen russischen Region. Die neue Bewegung hat alle anderen Jugendbewegungen "geschluckt": die Jungarmee, die Jungen Patrioten und den Pionierbund. Die Schulen und die Zellen der Bewegung tragen Namen von in der Ukraine gefallenen Helden, meistens ehemalige Knackis, die aus ihrer Zelle an die Front geschickt und dort verheizt wurden.

Im Lehrprogramm der "Ersten" wird "Wachsamkeit" eingeübt, denn der Feind – der Westen, angeführt von den USA – schlafe nie. Es wird von den "falschen" Bloggern und "feindlichen" Internetseiten abgeraten – wie auf die richtigen, patriotischen Quellen im Netz verwiesen. Im Rahmen des Kurses "Junge Verteidiger" werden militaristische Rollenspiele geübt, mit Waffen, die täuschend echt aussehen.

Die Kinder rennen durch den Wald, unter der Aufsicht überlebender Veteranen des Kriegs gegen die Ukraine. Besonders pikant: Noch vor Kurzem durften vorbestrafte Bürger in den Schulen nicht arbeiten, jeder Lehrer und Erzieher brauchte eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Innenministeriums. Dieses Gesetz wurde abgeschafft, die Ex-Knackis können sofort als Pädagogen anfangen, vorausgesetzt, dass sie im Krieg waren. An Sommerlagern darf es auch nicht fehlen: Kinder und Knackis am Lagerfeuer, wie romantisch ... Wer diesmal für die Uniformen zuständig sein wird, ist noch nicht geklärt.

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