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Militärexperte Carlo Masala über Russland, Ukraine, Israel und die Hamas


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Militärexperte Carlo Masala
"Das wird sich noch rächen"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 19.10.2023Lesedauer: 7 Min.
Wladimir Putin: Deutschland muss resilienter werden, fordert Experte Carlo Masala.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Deutschland muss resilienter werden, fordert Experte Carlo Masala. (Quelle: IMAGO/Pavel Bednyakov/imago-images-bilder)

Russland bekriegt weiter die Ukraine, im Nahen Osten hat die Hamas Terror nach Israel gebracht. Ist Deutschland auf solche Krisen gut vorbereitet? Experte Carlo Masala zweifelt.

Die Schocks werden zahlreicher: Russland bekriegt weiter die Ukraine, im Nahen Osten greift die Terrororganisation Hamas Israel an. Nun wird der Einmarsch der israelischen Armee in den Gazastreifen erwartet. Deutschland allerdings habe keine langfristige Strategie, um mit aktuellen und zukünftigen Krisen und Herausforderungen umzugehen. Das sagt mit Carlo Masala einer der führenden Sicherheitsexperten. Im Interview erklärt Masala, was nun zu tun wäre.

t-online: Professor Masala, die alte liberale Weltordnung schwindet, die Zahl der gewaltsamen Konflikte steigt. Die Stärkung der Bundeswehr geht Deutschland aber mit Gelassenheit an. Wie kann das sein?

Carlo Masala: Deutschland denkt seit 1990 nicht in geo- und sicherheitspolitischen Kategorien – diese Fähigkeit haben wir verlernt. Im Gegensatz zu Briten oder Franzosen. Es bestand so gerade eben Konsens, dass wir eine Bundeswehr benötigen. Auch, weil diese Notwendigkeit im Grundgesetz verankert ist. Aber wozu diese Armee dienen soll und in welchem Rahmen? Etwa im Rahmen der Friedensstiftung oder kollektiver Sicherheit? Da herrschte eher Fehlanzeige.

Wladimir Putin hat uns dann allerdings am 24. Februar 2022 mit dem Überfall auf die Ukraine demonstriert, wie wichtig die Fähigkeit zur Abschreckung ist.

Das hat Putin gründlich getan, ja. Nun hat ein Prozess begonnen, der langwierig und alles andere als gradlinig ist. Soldaten, Panzer, Luftwaffe, auf dem Papier waren die Ukrainer Russland am 24. Februar 2022 klar unterlegen, sie haben dies aber durch eine bemerkenswerte Moral wieder wettgemacht. Russlands Attacke traf damals eine Gesellschaft, die abwehrbereit gewesen ist. Da hat Putin eine Überraschung erlebt.

In Ihrem neuen Buch "Bedingt abwehrbereit. Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende" deklinieren Sie an einer Stelle das irreale Szenario durch, dass Russland Deutschland direkt angreifen würde. Was hätten wir dem entgegenzusetzen?

Wir könnten Russland nicht allzu viel entgegenwerfen. Meine Vermutung ist, dass die Bundeswehr einen Zeitraum zwischen drei Tagen und rund zweieinhalb Wochen durchhalten würde.

Carlo Masala, Jahrgang 1968, lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München. Der Politikwissenschaftler diskutiert regelmäßig im Podcast "Sicherheitshalber" über Sicherheitspolitik. Gerade ist Masalas neues Buch "Bedingt abwehrbereit. Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende" erschienen.

Dann würde die bisherige Munition auch bereits knapp.

So ist es. Während des Kalten Krieges hielt die Bundesrepublik Munition für 30 Tage vor, wie es die Nato-Vorgaben verlangt haben. Heute sind es drei. Aber das ändert sich gerade, die Bestellungen sind ja raus. Wobei es noch eine lange Zeit dauern wird, bis die Versäumnisse der Vergangenheit behoben sein werden.

Welche wären das, von der Munition abgesehen?

Wir müssen mehrere Faktoren unterscheiden. In Deutschland kann ich keine Resilienz, Zähigkeit und Abwehrbereitschaft innerhalb der Gesellschaft ausmachen, wie es in der Ukraine der Fall ist. Überraschend ist das selbstverständlich nicht, nach der langen Ära des Friedens, die wir genießen durften. Es braucht nun einfach Zeit, bis die Bedrohungslage zu einer veränderten Einstellung innerhalb der Gesellschaft führt.

Haben wir diese Zeit?

Die Zahl der Krisen wird nicht geringer. Zeit ist ein Luxus, den wir möglicherweise nicht haben.

Damit wären wir bei den anderen Faktoren. Bundeskanzler Olaf Scholz hat die "Zeitenwende" im vergangenen Februar ausgerufen, sie verläuft aber eher schleppend. Woran liegt das? Und müsste die Politik den Bürgerinnen und Bürgern nicht klarmachen, dass die eher friedlichen Zeiten dem Ende zugegangen sind?

Deutschland hat einfach nicht in den Krisenmodus geschaltet, sondern befindet sich nach wie vor im Friedensmodus. Obwohl die Zeichen eher auf Sturm stehen, macht man einfach weiter wie gehabt. Wolfgang Schmidt, Chef des Bundeskanzleramts, hat einmal sinngemäß geäußert, dass nach dem Rückzug der Russen aus Kiew der notwendige Druck einfach weg gewesen wäre.

Gesetzt den Fall, dass Russland Kiew aber eingenommen hätte: Was wäre dann geschehen?

Dann wäre mächtig Druck entstanden. Der Fall Kiews hätte eine massive Bedrohung der baltischen Republiken bedeutet, die Mitglieder der Nato sind. Da dies aber nicht geschehen ist, fangen wir jetzt – fast zwei Jahre nach dem russischen Überfall auf die Ukraine – damit an, Munition zu bekommen.

Alfons Mais, der Inspekteur des Heeres, hatte am 24. Februar 2022 den Hilferuf verkündet, dass die Truppe "mehr oder weniger blank" dastehe.

Ich habe Mais' Worte so verstanden, dass Deutschland an diesem 24. Februar 2022 nichts in der Hinterhand hatte, um den Ukrainern schnell helfen zu können. Sein Hilferuf ist allerdings erhört worden und besteht in dem 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen. Das wird nun nach und nach ausgegeben. Die Probleme bleiben allerdings die alten.

Wie meinen Sie das?

Wir haben "Zeitenwende" und Sondervermögen, gut. Aber diese 100 Milliarden Euro werden halt mittels des alten, teils dysfunktionalen Systems ausgegeben, das man über die zurückliegenden 40 Jahre kreiert hat. Es ist überaus ineffektiv. Eine grundlegende Bundeswehrreform ist noch nicht in Sicht, deswegen haben wir die bekannten Probleme.

Wie bei den neuen Funkgeräten für die Bundeswehr, die sich nicht ohne Weiteres einbauen lassen?

Das ist das neueste Beispiel in einer langen Reihe. Durch Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin haben wir fast ein Jahr verloren, ihr Nachfolger Boris Pistorius kann auch nicht von einem Tag auf den anderen ändern, was in 40 Jahren an Missständen aufgebaut wurde.

Wie bewerten Sie Pistorius' bisherige Amtszeit?

Pistorius ist fulminant eingestiegen – und hat im Prinzip zunächst alles richtig gemacht. Aber jetzt befindet er sich am Scheideweg, denn allmählich wird Pistorius an Ergebnissen gemessen. Und die muss er erst mal produzieren: mit und gegen das alte System, das er schon ein wenig reformiert hat, aber noch lange nicht genug.

Wenn aber der Schock des russischen Krieges gegen die Ukraine nicht ausgereicht hat, um in Deutschland Reformen anzustoßen, was dann? Abgesehen vom jüngsten Krisenereignis im Nahen Osten?

Genau darin liegt das Anliegen meines Buches: Es ist ein Plädoyer für die baldige Herstellung von Strukturen, mit denen wir auf Krise und Krieg reagieren können. Schnell, effektiv und vor allem langfristig. Eigentlich haben wir bislang recht gut auf Krisen reagiert, aber stets in einem kleineren Zeitrahmen. Das muss sich dringend ändern, denn sonst zahlen wir einen Preis.

Welche Maßnahmen empfehlen Sie?

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Die Einrichtung eines Krisenstabs unter Leitung des Bundeskanzlers wäre vernünftig – unter Einbindung der demokratischen Opposition, damit die Entscheidungen gesamtgesellschaftlich getragen werden. Ferner braucht es ein neues Verständnis von Verteidigung. Eine effektive Verteidigung braucht mehr als nur eine effektive Bundeswehr. Die Gesellschaft muss insgesamt resilient werden, wir müssen alle Strukturen und Prozesse auf den Prüfstand stellen und daraufhin abklopfen, ob sie einen Beitrag dazu leisten, uns resilient zu machen.

Haben Sie ein Beispiel?

Desinformation und Propaganda – das ist Deutschlands größte Bedrohung. Dazu Cyberangriffe und Anschläge auf unsere kritische Infrastruktur. Sind wir vor so etwas geschützt? Nein! Wir können von Polen, den baltischen und skandinavischen Ländern lernen, wo Verteidigung als Aufgabe von Staat und Gesellschaft zugleich begriffen wird.

Kommen wir auf die Ukraine zu sprechen: Wie beurteilen Sie das erneute Hin und Her in der Frage nach Lieferung eines weiteren Waffensystems an die Ukraine, in diesem Fall des Marschflugkörpers Taurus?

Die Diskussion um Taurus ist nur ein Symptom eines grundlegenderen Problems: Wir verlieren uns im Kleinklein. In der Debatte über einzelne Waffensysteme für die Ukraine vergessen wir eine grundlegende Frage: Warum sollten wir ein Interesse daran haben, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt? Die Antwort lautet, dass uns ein russischer Sieg weitaus mehr kosten wird.

Warum wird diese Debatte aber dann nicht geführt?

Es ist eine Frage politischer Führung und politischer Kommunikation. Dazu kommt die Nichtexistenz einer langfristigen Strategie. Das wird sich noch rächen. Noch ein Punkt: Putin muss nur mit Nuklearwaffen wedeln und schon schrecken wir uns selbst ab. Und da kommt wieder Taurus ins Spiel.

Wie meinen Sie das?

Wir sollten den Spieß bei Putin umdrehen. Wenn Russland weiter zivile Ziele in der Ukraine angreift, dann bekommt die ukrainische Armee eben Taurus. Das müsste die Botschaft an Russland sein. Denn so wäre die für den russischen Nachschub so wichtige Kertsch-Brücke zur Krim in akuter Gefahr. Das ist eine Strategie. Putin würde das beeindrucken. Im Augenblick muss er nur warten, auf das Ergebnis der nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA und das erlahmende Interesse in den westlichen Gesellschaften am Krieg. Womit wir wieder bei politischer Führung und politischer Kommunikation angelangt sind – die Politik müsste den Menschen hierzulande klarmachen, was auf dem Spiel steht.

Wie steht es um den erneut eskalierten Konflikt im Nahen Osten? Die Bundeswehr verzichtet zugunsten der israelischen Armee auf zwei ihrer Drohnen.

Der Ausbruch des Krieges im Nahen Osten ist ein weiteres Warnsignal, dass wir den Hebel umlegen müssen. Die Welt wird in absehbarer Zeit nicht friedlicher. Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einmal erklärt, dass die Sicherheit Israels Teil deutscher Staatsräson sei. Niemand hat sich aber Gedanken darüber gemacht, was dieser Satz bedeutet. Wir müssten bereit sein, Israels Existenz mit weit mehr als nur der Zurverfügungstellung von zwei geleasten Drohnen zu verteidigen – sondern unter Umständen kämpfend im Nahen und Mittleren Osten. Wer dazu nicht bereit ist, sollte derartige Worte nicht mehr in den Mund nehmen.

Nun wird nach den Attacken seitens der Hamas auf Israel eine Bodenoffensive der israelischen Armee in den Gazastreifen erwartet. Was ist Ihre Prognose?

Es wird extrem blutig, schreckliche Bilder werden produziert werden. Mehr als zwei Millionen Menschen leben im Gaza, da gehen dann 300.000 israelische Soldaten rein. Denn Israel will der Hamas das Rückgrat brechen, militärisch und politisch, dieses Ziel wird Israel um jeden Preis verfolgen. Der Blutzoll für die Israelis wird ebenfalls hoch werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach.

Professor Masala, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Carlo Masala via Telefon
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