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"Unterstützt nicht unsere Mörder" – Demonstrationen im Iran


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Proteste im Iran
"Unterstützt nicht unsere Mörder"


Aktualisiert am 26.09.2022Lesedauer: 6 Min.
Die Gesichter des Protests: In ganz Europa gehen Frauen und Männer auf die Straße, um gegen das iranische Regime zu protestieren.Vergrößern des Bildes
Die Gesichter des Protests: In ganz Europa gehen Frauen und Männer auf die Straße, um gegen das iranische Regime zu protestieren. (Quelle: Francisco Seco)

Vor wenigen Tagen starb eine 22-Jährige, offenbar durch Polizeigewalt im Iran. Die Demonstranten fordern nun eindringlich eine "Revolution der Frauen".

"Wir wollen nicht viel, wir wollen nur unsere Freiheit". Dieser Satz wird von den iranischen Frauen im Netz derzeit tausendfach geschrieben. Leidenschaftlich und wütend – das sind die Demonstrantinnen und Demonstranten im Iran, die sich für Veränderung einsetzen. Masih Alinejad will nicht mehr akzeptieren, was in ihrem Land geschieht. Sie ist eine von Tausenden Aktivisten, die sich gegen das frauenfeindliche Regime im Iran auflehnen. Sie gibt dem Protest eine Stimme, ein Gesicht. Ihr Blick ist in die Menge gerichtet, durch ein Megafon ruft sie mit entschiedener Stimme: "Meine Wut ist auch eure Wut!" Und genau diese Wut ist spürbar, selbst in dem kleinen Video auf ihrem Twitter-Account.

Ausgelöst hat die Proteste ein einziger Fall, der stellvertretend für unzählige geworden ist. Mahsa Amini ist tot. Die 22-Jährige, auch unter dem kurdischen Namen Jina Amini bekannt, wurde allem Anschein nach von Polizisten in der Haft tödlich verletzt. Die Kurdin hatte ihr Kopftuch nicht richtig getragen, wurde von der iranischen Sittenpolizei verhaftet. Dann überschlugen sich die Ereignisse: Mit einem Krankentransport wurde sie aus der Polizeiwache in ein Krankenhaus in Teheran gebracht, sie fiel ins Koma. Drei Tage später, am 16. September, ist sie tot.

"Für uns ist Mahsa nicht tot – ihr Name ist zum Symbol geworden"

Nach ihrem Tod gingen im Iran Tausende Menschen auf die Straße. Die Aktivistin Masih Alinejad ist in erster Reihe bei den Protesten dabei. Erst sagt eine Mitarbeiterin ihres Teams – Alinejad ist auch Journalistin und Autorin – einem Interview mit t-online zu, doch dann gibt es kaum noch einen Internetzugang, die Anfragen häufen sich, eine Beantwortung der Fragen ist derzeit nicht möglich.

Doch Videos ihrer Reden werden in den sozialen Netzwerken geteilt. "Der Hidschab ist die wichtigste Säule eines religiösen Diktators", sagt sie. Deshalb werde der brutale Tod von Amini zu einem Wendepunkt für iranische Frauen. "Wir schreien auf den Straßen, dass Mahsa Amini für uns nicht tot ist. Ihr Name ist ein Symbol der Resistenz geworden. Das ist eine Revolution der Frauen." Die Frauen des Iran wollen nicht, dass der Westen kommt und sie rettet, sagt Alinejad. Vielmehr gehe es darum, dass der Westen ihre Unterdrücker, "unsere Mörder" nicht weiter unterstütze. "Ist das zu viel verlangt?" Auf Videos ist zu sehen, wie Frauen sich die Hidschabs – so der arabische Begriff für die Kopfbedeckung – herunterreißen, sie ins Feuer werfen und zusehen, wie sie verbrennen. Eine neue Zeitrechnung hat begonnen, so vermuten es viele.

Politiker aus westlichen Ländern hatten die iranische Führung in den vergangenen Tagen zum Umdenken aufgerufen. US-Präsident Joe Biden zeigte am Mittwoch Solidarität mit den iranischen Frauen: "Heute stehen wir hinter den mutigen Bürgern und den mutigen Frauen des Iran, die in diesem Augenblick demonstrieren, um ihre Grundrechte zu sichern", sagte Biden bei der UN-Generaldebatte in New York. Zuvor hatte der iranische Präsident Ebrahim Raisi dem Westen vorgeworfen, bei Frauenrechten mit "zweierlei Maß" zu messen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kündigte am Donnerstag in New York an, das gewaltsame Vorgehen gegen die Demonstranten vor den UN-Menschenrechtsrat zu bringen. Der "brutale Angriff auf die mutigen Frauen im Iran" sei "auch ein Angriff auf die Menschheit", sagte Baerbock am Rande der Generaldebatte.

Amnesty International hat Augenzeugenberichte dokumentiert und Bilder und Videos der Proteste analysiert. Sie offenbaren, in welch erschütterndem Ausmaß iranische Sicherheitskräfte völkerrechtswidrig und wiederholt mit Schrotkugeln direkt auf Demonstrierende schießen. "Der weltweiten Welle der Wut und der Anteilnahme am Tod von Mahsa Amini müssen konkrete Schritte der internationalen Gemeinschaft folgen, um die systematische Straflosigkeit anzugehen, die es ermöglicht, dass weit verbreitete Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und andere rechtswidrige Tötungen durch die iranischen Behörden weiterhin ungehindert stattfinden können, sowohl hinter Gefängnismauern als auch bei Protesten", sagt Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

Vater von Amini: "Sie lügen"

Die Polizei gibt an, Amini sei wegen Herzversagens plötzlich medizinisch in Not geraten. Ihr Vater und der Autopsiebericht zeichnen ein anderes Bild. Demnach hat die 22-Jährige schwere Kopfverletzungen erlitten, starb an einer Hirnblutung. Was in den Stunden auf der Polizeiwache geschah, darüber gibt es bisher keine Informationen – nur Vermutungen.

In einem Interview mit BBC Persian sagt Amjad Amini, Mahsas Vater, er habe den Autopsiebericht seiner Tochter nicht einsehen dürfen. Die Ermittler sprechen von einer Herzerkrankung, in deren Folge Amini starb. Das belege wohl der Autopsiebericht, doch Aminis Vater glaubt nicht an die Echtheit des Berichts. Seine Tochter habe keine Krankheit oder ein Herzleiden gehabt. "Mein Sohn war bei ihr. Einige Zeugen sagten ihm, sie sei im Lieferwagen und auf der Polizeiwache geschlagen worden", sagt Amjad Amini. Ihm sei auch gesagt worden, seine Tochter habe unanständige Kleidung getragen. "Das kann nicht sein, sie trug immer einen langen Mantel. Sie lügen."

17 Menschen sind offiziellen Angaben zufolge bislang bei den Protesten getötet worden. Die Organisation Iran Human Rights (IHR) mit Sitz in Oslo sprach sogar von mindestens 31 toten Zivilisten. Unter den Toten waren laut der Nachrichtenagentur Tasnim auch fünf Mitglieder der Sicherheitskräfte. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben aber derzeit nicht.

Mitten in den Menschenmengen, in Teheran oder auch in anderen Ländern vor iranischen Botschaften, schneiden sich Frauen im Zuge dieser Proteste die Haare ab. Die Journalistin Düzen Tekkal teilte ein Video einer Frau, die genau das aus Solidarität mit der getöteten Amini getan hat. "Das ist in der Symbolik nicht minder beeindruckend als brennende Einsatzwagen und Polizisten, die von den wütenden Menschenmengen niedergerungen werden. In meiner Herkunftskultur, die im Nahen Osten verortet ist, ist es ein Sakrileg, wenn sich eine Frau ihre Haare abschneidet", erklärt Tekkal unter dem Video. Lange Haare seien ein Symbol für Weiblichkeit. Das Abschneiden sei als Trauerakt zu verstehen. "Die Trauernde legt sie der verstorbenen Person mit ins Grab. Wenn sich Frauen in Iran nun die Haare abschneiden, ist das ein emanzipativer Befreiungsakt."

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Mahmud Amiri Moghaddam, Direktor der Organisation Iran Human Rights (IHR) in Oslo, sagte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP, die Proteste könnten "vielleicht der Anfang einer großen Veränderung" im Iran sein. "Wir verfolgen die Situation der Menschenrechte und die Demonstrationen im Iran seit 15 Jahren und ich habe die Menschen noch nie so wütend gesehen", sagte der Menschenrechtsaktivist.

Aktivistin Masih Alinejad hat auf Twitter Informationen über einige der bei den Demonstrationen getöteten Iranerinnen geteilt. Ghazale Chelavi sei eine von ihnen, sie sei durch die Sicherheitskräfte mit einem Kopfschuss getötet worden. Kurz zuvor habe sie gerufen: "Wir sind alle Mahsa Amini". Sie war erst 32 Jahre alt. Auch Hananeh Kia, 23 Jahre alt, sei unter den Toten, schreibt Alinejad. "Die Welt muss endlich etwas gegen unsere Mörder unternehmen", fordert sie.

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Die Situation im Iran ist seit Jahrzehnten, vor allem für Frauen, furchtbar und kaum mit westlichen Werten vereinbar. Frauen sind durch die im Iran angewandte Scharia in fast allen Rechtsbereichen unter Verstoß gegen völkerrechtlich bindende Menschenrechtsverträge stark benachteiligt, heißt es in einem Bericht der Internationalen Kommission für Menschenrechte. Beispielsweise haben Ehemänner das Recht auf die sexuelle Verfügbarkeit der Ehefrau und dürfen das auch mit Gewalt durchsetzen; Vergewaltigung in der Ehe ist damit kein juristischer Tatbestand. Auch häusliche Gewalt wird nicht bestraft, eine Frau kann sich kaum von ihrem Mann scheiden lassen, ein Mann kann dies aber tun. Homosexualität ist im Iran illegal, lesbische Frauen dürfen ihre Beziehung also keinesfalls öffentlich zeigen. Ohne Zustimmung ihres Ehemannes oder eines Vormundes erhalten iranische Frauen nicht einmal einen Pass.

"Die iranische Regierung verletzt seit Jahren systematisch fundamentale Menschenrechte. Willkürliche Verhaftungen, Folter, außergerichtliche Hinrichtungen sowie die brutale Niederschlagung von Protesten werden durch die grassierende Straflosigkeit gefördert. Die internationale Gemeinschaft ist dringend zum Handeln aufgerufen", sagt Katja Müller-Fahlbusch, Expertin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International in Deutschland. Konkrete Handlungsempfehlungen gibt sie nicht.

Es sieht derzeit nicht danach aus, als wolle die iranische Regierung auch nur ein kleines Stück von den Gesetzen, die auf Grundlage des Korans gelten, abrücken. Erst am Donnerstag hatte der Präsident des Irans ein Interview mit der international bekannten CNN-Journalistin Christiane Amanpour platzen lassen, weil sie kein Kopftuch tragen wollte. Raisi hatte erklärt, für ihn sei es ein "Zeichen des Respekts". Das Interview kam nicht zustande.

Mahsa Amini wollte in dieser Woche ihr Studium an der Universität anfangen, die Reise nach Teheran sollte ihr letzter Urlaub werden, bevor die Uni beginnt. "Sie wollte Mikrobiologie studieren", sagte ihr Vater Amjad Amini der BBC. "Sie wollte Ärztin werden." Ein Traum, der sich niemals erfüllen wird.

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