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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gipfeltreffen in Genf Putin hätte Biden gern blamiert – aber es blieb ihm zu wenig Zeit
In der Schweiz wollen die USA und Russland ihr Verhältnis kitten. Doch daraus wird nichts, glaubt Wladimir Kaminer. Denn Putin hätte viel lieber in der DDR verhandelt. Aber die gibt es ja gar nicht mehr.
Bei booking.com ist das Hotel Intercontinental in Genf bis zum 17. Juni ausgebucht. Kein einziges Zimmer mehr frei, nicht einmal ein kleiner Standard-Einbettraum, von der "Präsidentensuite mit Seeblick" ganz zu schweigen. Diese Präsidentensuite ist, laut hauseigener Bewertung, "besonders bei den älteren Paaren beliebt."
Kommt darauf an, was für Paare, denke ich. Wenn es um ein Präsidenten-Paar wie Joe Biden und Wladimir Putin geht, die einander nicht ausstehen können und von denen jeder sich für den mächtigsten Mann der Welt hält, könnte es sogar in der "Präsidentensuite mit Seeblick" schnell eng werden. Ich persönlich würde gern an diesem Treffen teilnehmen. Je erwachsener meine Kinder werden, umso mehr Fragen haben sie an die "alten weißen Männer", die sich auf der Erde für Ordnung und Sicherheit zuständig fühlen.
Putin wartet auf wahre Größe
Was sind diese Weltmächte mit Atomraketen wirklich, ein Garant des Friedens oder eine Gefahr für die Zukunft des Planeten? Was haben sie für eine Vision? Vielleicht könnten wir das in Genf klären? Aber wie gesagt, es war kein Zimmer frei. Die beiden werden ohne mich klarkommen müssen.
Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit rund 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Büchern gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neuestes Buch "Der verlorene Sommer. Deutschland raucht auf dem Balkon".
Der russische, für immer wiedergewählte Präsident wurde seit Langem nicht mehr zu internationalen Gipfeltreffen eingeladen, niemand aus dem Westen kam zu seiner alljährlichen Maiparade. Bereits vor Jahren sagte er "Seit Mahatma Gandhi tot ist, gibt es niemanden in der Weltpolitik, mit dem ich auf gleicher Augenhöhe reden kann."
Putin wartete auf Gandhis Wiedergeburt, vertrieb sich die Zeit mit Schwimmen und Fitness, bis die Einladung nach Genf kam, ganz unerwartet. Der amerikanische Präsident Biden ist hingegen neu im Amt und muss die stark versalzene Suppe auslöffeln, die ihm sein Vorgänger hinterlassen hat. Er geht auf seine erste Europareise, um das zerrüttete atlantische Bündnis wiederherzustellen.
Amerika verliert nämlich den Wirtschaftskrieg gegen seinen Hauptfeind China. Die Volksrepublik prahlt jetzt schon mit einem Bruttosozialprodukt, das dem der USA nahe kommt. Gerade hat die Kommunistische Partei Chinas ihrem Volk das dritte Kind in jede Familie gewünscht, in der Hoffnung, dieses dritte Kind werde China noch schneller zur stärksten Volkswirtschaft der Welt trampolieren.
Der Wunsch der Partei ist dem Volk ein Befehl, die quietschenden Betten in der Volksrepublik sorgen bei dem neuen amerikanischen Präsidenten für Tinnitus und Kopfschmerzen.
China ist die wahre Herausforderung
Das Leben ist ein Meer, der Fährmann ist das Geld: Wer dies nicht besitzt, schifft übel durch die Welt, sagt die deutsche Lyrik. Und wenn die Chinesen Amerikas Schulden aufkaufen, werden die Amerikaner ihren Rock 'n' Roll zu einer Rohrflöte tanzen müssen. Sollte es aber Biden gelingen, die amerikanischen und europäischen Staaten zu einer Wirtschaftsmacht zusammenzufassen und enger an die USA zu binden, wird China über das vierte Kind in Ruhe nachdenken müssen.
Vor diesem Hintergrund ist für Biden Putin in Genf eigentlich nur ein Hindernis, ein fünftes Rad am Wagen. Was soll er mit dem Mann besprechen, den er gerade in einem Interview als Mörder bezeichnete? Ein Präsident, dessen Land zwar alte Atomraketen aus der Sowjetzeit in Mengen besitzt, aber keine nennenswerte Wirtschaftsstärke aufweist?
Worüber sollen sie reden, über Menschenrechte? Über Gasleitungen? Über den Seeblick? Angeblich war das Hotel Intercontinental Putins Wahl. In diesem Hotel haben schon Michail Gorbatschow und Ronald Reagan dem Kalten Krieg ein Ende gesetzt. Das wäre ein Witz ganz im Putins Sinne, im gleichen Gebäude den Kalten Krieg 2.0 zu forcieren.
Pools ohne Tiefgang nötig
Außerdem erinnert ihn das Haus an das Interhotel in der Prager Straße in Dresden in den Achtzigerjahren, seine schönste Lebenszeit, wie er immer wieder betont. Leider kann das Treffen nicht in der DDR stattfinden, wegen der Abwesenheit der Deutschen Demokratischen Republik. Aber Genf geht zur Not auch, dachte der russische Kollege, das Frühstück ist inklusive und der Fitness-Bereich 24 Stunden geöffnet. Der dortige Swimmingpool wurde bereits von russischen Sicherheitsexperten geprüft, das Wasser wurde teils abgelassen (alle Pools, in deren der russische Präsident schwimmen geht, dürfen nicht tiefer als 1,50 Meter sein).
Es gibt aber in dem besagten Haus nur eine große Präsidentensuite, 650 Quadratmeter für 55.000 Dollar die Nacht – und die hat die Administration von Biden im Voraus reserviert. Die kleineren Suiten, mit 120 Quadratmetern, sind zwar vorhanden, aber wenn jemand sich bereits bei der Frage der Unterbringung eine solche Schmach gefallen lässt, braucht er zu den Verhandlungen gar nicht mehr zu erscheinen.
Die Russen könnten natürlich das Hotel kaufen und aus den übrig gebliebenen, kleineren Präsidentensuiten eine übergroße bauen, um Biden zu blamieren. Dafür ist jedoch die Zeit zu knapp. Je weniger Tage bis zum Treffen bleiben, umso nervöser wird der russische Präsident. Auf einmal möchte er gar nicht im Hotel Intercontinental verhandeln, weil dort die Auflösung der Sowjetunion beschlossen wurde.
Als Ersatzraum zum Wohnen und Verhandeln wurde ihm die Villa "La Grange" angeboten, sie hat aber keinen Swimmingpool, der den Sicherheitsanforderungen entspricht. Allein schon deswegen ist dieses Treffen von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Es wird kein gemeinsames Bild, keine Pressekonferenz und kein Communiqué geben. Russland kann Amerika in seinem Kampf gegen China wenig helfen und noch weniger schaden. Und das Schicksal der Pipeline "Nord Stream 2" interessiert in Wahrheit niemanden außer der Ukraine.
Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.