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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nervengift festgestellt Toxikologe über Fall Nawalny: "Ein häufig verwendetes Mordmittel"
Die Ärzte der Berliner Charité haben Hinweise auf eine Vergiftung des Kreml-Kritikers Nawalny festgestellt. Auch die Wirkstoffgruppe des Gifts haben sie identifiziert – zu ihr gehört unter anderem das Sowjet-Gift Nowitschok.
Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny ist offenbar vergiftet worden. Ärzte der Berliner Charité führen seine plötzliche Erkrankung auf "eine Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer" zurück, wie die Klinik mitteilte. Der forensische Toxikologe Thomas Daldrup ist überrascht, dass die Diagnose nicht bereits in Omsk gestellt wurde, wo Nawalny zunächst notbehandelt wurde. "Ärzte sollten die Symptome kennen", sagte Daldrup, der lange an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität gelehrt hat. "Krämpfe, Speichelfluss, feuchte Haut, enge Pupillen."
Gegenmittel sollte jedes Krankenhaus haben
Nicht nur, dass diese Symptome bei Nawalny zu beobachten gewesen seien, ein Test zur Bestimmung der Aktivität der Cholinesterase sei zudem Routine – aus gutem Grund. "Das als Insektizid verwendete E-605 oder Parathion ist ein Cholinesterase-Hemmer", sagte Daldrup. Bis in die Achtziger Jahre sei es ein häufig verwendetes Mord- und Suizidmittel gewesen, nicht nur in Deutschland. Auch zu Unfällen damit kam es regelmäßig. Da dieses Risiko auch weiterhin bestehe, sollte laut Daldrup das Gegenmittel Atropin in jedem Krankenhaus vorrätig gehalten werden.
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Zur gleichen Wirkstoffgruppe wie E-605 zählen laut Daldrup auch noch stärkere Nervengifte wie Nowitschok, VX oder Sarin. "Nowitschok und Sarin weisen eine wesentliche höhere Potenz als Parathion auf." Allen Giften sei gemein, dass sie ein Enzym blockieren, das zur Muskelentspannung durch Abbau von Acetylcholin dient. "Die Stoffe können oral aufgenommen werden, aber auch über den Kontakt mit der Haut. Kampfstoffe werden überwiegend als Aerosol in der Luft verteilt und von den Opfern eingeatmet."
War es wieder Nowitschok?
Welches Mittel für den Angriff auf Nawalny konkret zur Anwendung kam, ist weiter offen. Das in der Sowjetunion entwickelte Nowitschok erlangte durch den folgenschweren Anschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergei Skripal im britischen Salisbury Berühmtheit. Als Verdächtige gelten mehrere russische Geheimdienstler. Das Gift kann beispielsweise durch Hautkontakt übertragen werden, der Kampfstoff Sarin auch über die Atemwege. Sarin kam zuletzt bei den Angriffen des syrischen Regimes in der Region Ghuta zum Einsatz, bei dem zahlreiche Zivilisten starben.
Die verzögerte Diagnose im Fall Nawalny erschwere vermutlich die Behandlung, sagte Daldrup t-online.de. Nawalny war am Donnerstag während eines innerrussischen Flugs zusammengebrochen und daraufhin zur Notbehandlung ins Krankenhaus im sibirischen Omsk eingeliefert worden. Erst am Samstag durfte er nach Deutschland ausgeflogen werden. "Nun könnten die Nervenschäden und die Schäden des Gehirns schon sehr weit fortgeschritten sein", sagte Daldrup t-online.de. "Es dürfte vermutlich eine längere intensivmedizinische Behandlung und Gabe des Antidots Atropin notwendig sein."
- eigene Recherchen