Weltwirtschaft auf der Kippe IWF-Chefin appelliert an Trump: "Tut das Richtige!"
Die Weltwirtschaft wächst langsamer – daran hat wohl auch die Politik Schuld. Jetzt fordert der Internationale Währungsfonds die politisch Verantwortlichen auf, weitere Schäden zu vermeiden.
In einer Zeit weltweit schwächelnder Konjunktur hat der Internationale Währungsfonds (IWF) Angst vor Störfeuer aus der Politik. "Wir müssen vermeiden, uns selbst Wunden zuzufügen", sagte IWF-Chefin Christine Lagarde am Donnerstag in Washington. Sie rief den politisch Verantwortlichen zu: "Verursacht keine Schäden. Tut das Richtige!"
Der Appell war zu einem guten Teil an das fast in Rufweite befindliche Weiße Haus gerichtet, wo US-Präsident Donald Trump mit seiner "America First"-Politik Turbulenzen für den Welthandel ausgelöst hat. "Der Schlüssel ist, die falsche Politik zu vermeiden, und das betrifft insbesondere den Handel", betonte Lagarde zum Auftakt der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank. Zölle und andere Handelsschranken verursachten Schäden für die Weltwirtschaft.
Wirtschaftsleistung wächst schwächer
Bundesfinanzminister Olaf Scholz rief die internationalen Partner zu einem stärkeren gemeinsamen Vorgehen auf. "Ich glaube, dass es jetzt das Wichtigste ist, die politischen Risiken zu beseitigen", sagte der SPD-Politiker am auf dem Flug zur IWF-Tagung in Washington. "Es ist unsere Aufgabe, für ein sicheres Umfeld zu sorgen, damit Unternehmen und Verbraucher investieren."
Die weltweite Wirtschaftsleistung wird nach Einschätzung des IWF 2019 nur noch um 3,3 Prozent wachsen – nach 3,6 Prozent im vergangenen Jahr. Die Welt sei wirtschaftlich somit an einem "heiklen Punkt" angelangt. 70 Prozent der Weltwirtschaft seien gebremst. Die für 2020 prognostizierte Erholung auf dann wieder 3,6 Prozent sei noch nicht gesichert - sie hängt vor allem an der Entwicklung in Schwellenländern wie der Türkei oder Argentinien. Für das südamerikanische Land, wo der IWF zuletzt mit 57 Milliarden US-Dollar Hilfe geleistet hatte, zeigte sich Lagarde optimistisch.
Im zwei Tage zuvor vorgestellten Weltwirtschaftsbericht hatte IWF-Chefvolkswirtin Gita Gopinath auch sorgenvoll in Richtung Europa geblickt. Die Entwicklung in der Eurozone sei schwieriger als erwartet. Deutschland als Motor habe mit Einbußen zu kämpfen, die unter anderem die Automobilbranche wegen neuer Abgasnormen beim Diesel träfen.
Ärmere Länder schließen weniger stark zu reichen Ländern auf
Die Eurozone sei jedoch für mögliche neue Turbulenzen deutlich besser gerüstet als vor der Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren, sagte der Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, Klaus Regling. Die Frage, ob die Eurozone die nächste Krise überstehen könne, lasse ihn nicht mehr nachts wach liegen, sagte Regling. Vor zehn Jahren, als die Stabilitäts-Instrumente geschaffen werden mussten, sei dies der Fall gewesen.
Integrierter, weltweiter Handel habe über Jahrzehnte dazu beigetragen, die Produktivität zu steigern, Innovationen und Beschäftigung zu fördern und die Lebenshaltungskosten besonders für die Ärmsten zu senken, sagte Lagarde. Die Entwicklung, dass ärmere Länder hinsichtlich ihrer Wirtschaftsleistung zu Industrienationen aufschließen, sei ins Stocken geraten.
Es sei aber auch deutlich geworden, dass Reparaturen am System notwendig seien. "Wir müssen mit Verwerfungen besser umgehen", betonte Lagarde mit Blick auf die ungleiche Verteilung von Wohlstand. In diesem Zusammenhang nannte sie den Kampf gegen Korruption als eine der wichtigsten Aufgaben des IWF in der näheren Zukunft.
Anerkennung von Guadió diskutiert
Diskutiert werde derzeit auch über eine Anerkennung des venezolanischen Oppositionsführers Juan Guaidó. "Während wir miteinander sprechen, befinden sich eine ganze Reihe Mitglieder in einem Prozess", sagte sie. Sobald dieser abgeschlossen sei, werde der IWF agieren. Auch die Weltbank wolle auf das Votum ihrer Mitglieder warten, sagte der neue Präsident der IWF-Schwesterorganisation, David Malpass.
Der IWF hat zur Zeit 189 Mitglieder. Größter und mächtigster Anteilseigner sind die Vereinigten Staaten, die Guaidó bereits als Staatsoberhaupt anerkannt haben. Es geht unter anderem auch um Zugriff auf Geld, das beim IWF lagert. Da sich die Mitglieder in der Frage bisher nicht einig sind, kann derzeit kein Geld fließen - weder an die Opposition noch an die Regierung von Staatschef Nicolas Maduro.
"Wir sind sehr, sehr besorgt über die humanitäre Krise, die in Venezuela stattfindet", sagte Lagarde. Man sei vorbereitet, so schnell zu handeln wie möglich. Die Größe der humanitären und ökonomischen Krise des Landes verlange nach Anstrengungen auf mehreren Ebenen.
Brexit-Verschiebung sorgt für mehr Unsicherheit
Lagarde begrüßte die Verlängerung der Frist für einen EU-Austritt Großbritanniens bis Ende Oktober. "Sie beseitigt das Risiko eines No-Deal-Brexits am 12. April", sagte Lagarde. Dies wäre ein "furchtbarer Ausgang" gewesen.
Die Entscheidung in Brüssel gebe den Parteien in Großbritannien mehr Zeit für Diskussionen, sagte Lagarde. Die Akteure in der Wirtschaft hätten jetzt mehr Zeit, sich auf alle denkbaren Szenarien vorzubereiten. Das gelte auch für die Arbeitnehmer in Großbritannien.
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Allerdings verlängere die Brexit-Verschiebung auch die Phase der Unsicherheit, fügte Lagarde hinzu. Ein ungeregelter Brexit gilt als eines der großen Risiken für die weltwirtschaftliche Entwicklung und als eines von mehreren Schock-Szenarien, das auch eine größere Krise hervorrufen könnte.
- Nachrichtenagentur dpa