Diktator, Arzt oder Journalist Wer macht das Rennen um den Friedensnobelpreis?
Am Freitag wird der Friedensnobelpreis vergeben: 2018 scheint die Wahl so schwer wie nie. Niemand weiß, wie nachhaltig die momentanen Friedensbemühungen in der Welt sind.
Es ist ein Moment für die Geschichtsbücher und wohl das diplomatische Bild des Jahres: Hand in Hand steigen Südkoreas Präsident Moon Jae In und der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un über eine Betonschwelle im Grenzdorf Panmunjom. Es ist jene Linie, die seit dem Ende des Bruderkriegs vor 65 Jahren die koreanische Halbinsel trennt. Mit hoher Symbolkraft betreiben beide Länder eine vorsichtige Annäherung, die neue Hoffnung auf Frieden schürt. Doch kann es dafür am Freitag schon einen Friedensnobelpreis geben?
Die Gespräche zwischen Süd- und Nordkorea seien in jedem Fall "der große Durchbruch in internationalen Beziehungen in diesem Jahr", sagt der Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri, Dan Smith. "Doch ich frage mich, ob die Jury das tun kann. Ein Preis für Korea mag verlockend sein, doch auch verfrüht. Und die Protagonisten könnten das Komitee dazu bringen, dagegen zu stimmen."
Kann einem Diktator der Nobelpreis verliehen werden?
Damit meint Smith vor allem den unberechenbaren nordkoreanischen Machthaber. Der spricht zwar mit Südkoreas Staatschef über atomare Abrüstung, eine dauerhafte Friedenslösung und eine Verbesserung der innerkoreanischen Beziehungen. Außerdem wollen sie die Militärübungen nahe der Grenze zum 1. November einstellen und sich zusammen um die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele bewerben. "Doch ich frage mich wirklich, ob das Friedensnobelpreis-Komitee imstande wäre, Kim Jong Un einen Preis zu verleihen", sagt Smith.
Die Zweifel, wie weit die Annäherung zwischen den beiden Staaten trägt, sind groß. Der Erfolg sei noch nicht ausreichend zementiert, sagt auch der schwedische Friedens- und Konfliktforscher Peter Wallensteen von der Universität Uppsala. Auch der Hamburger Friedensforscher Michael Brzoska betont: "Die tatsächlichen Fortschritte bei der Abrüstung auf der koreanischen Halbinsel sind bisher eher bescheiden."
Bedenken bereitet vor allem der Atomstreit zwischen den USA und Nordkorea. In Washington fragt man sich, wie ernst Pjöngjang es mit der Abrüstung wirklich meint. Moon will hier als Vermittler auftreten und die Zweifel ausräumen. Kim hat zuletzt angeboten, seine wichtigste Atomanlage Yongbyon abzubauen, wenn die USA Zugeständnisse machen. Das sind zwar ganz andere Töne als noch vor einem Jahr. Damals hatte US-Präsident Donald Trump Kim einen "kleinen Raketenmann" genannt. Doch bleibt offen, wann das Atomwaffen- und Raketenarsenal Nordkoreas tatsächlich abgebaut werden kann.
Wurde Ahmed rechtzeitig nominiert?
Vor diesem Hintergrund tun sich internationale Experten schwer, Kandidaten für den Friedensnobelpreis 2018 zu nennen. In den vergangenen zwei Jahren seien die Preise für den Friedensprozess in Kolumbien und die Anti-Atomwaffenkampagne Ican vorhersehbar gewesen, sagen sie. Diesmal gehe das kaum, da sich mehrere Kandidaten – wie zum Beispiel Moon – in labilen Umfeldern bewegten.
Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed ist auch so ein Kandidat. Er söhnte sich in diesem Sommer scheinbar über Nacht mit dem Nachbarland Eritrea aus und akzeptierte einen Kompromissvorschlag für die Grenzziehung. Die Länder schlossen im Juli überraschend Frieden – doch der ist ebenfalls alles andere als gesichert.
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Ein Friedensnobelpreis für Abiy sei trotzdem "wahrscheinlicher als einer für Korea", sagt Wallensteen. Es sei bloß unsicher, ob der Äthiopier rechtzeitig nominiert wurde. Die Frist endet eigentlich schon im Frühjahr. 216 Personen und 115 Organisationen stehen auf der diesjährigen Liste für das fünfköpfige norwegische Nobelkomitee.
Experten tippen auf sicheren Nobelpreis
Smith tippt auf einen sicheren Nobelpreis für einen langjährigen Favoriten. "Oder für jemanden in der Menschenrechts- oder Klimawandel-Bewegung." Der norwegische Friedensforscher Henrik Urdal vom Prio-Institut hat das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen sowie den kongolesischen Arzt Denis Mukwege ganz oben auf seiner Liste.
Mukwege kämpft seit Jahren öffentlichkeitswirksam gegen sexuelle Gewalt und gibt Vergewaltigungsopfern neue Hoffnung. Auch Smith, Wallensteen, Brzoska und der norwegische Nobelexperte Asle Sveen nennen ihn – im Jahr der #metoo-Debatte um sexuelle Belästigung möglicherweise eine naheliegende Wahl.
Ebenso aktuell könnte angesichts zunehmend manipulativ verbreiteter und gefälschter Nachrichten ein Medienpreis sein. "Schließlich hat Trump mit seinen ständigen Angriffen gegen die Presse viele Gemüter erregt", sagt Brzoska. Das Komitee könnte etwa die türkische Zeitung Cumhuriyet und ihren verfolgten Chefredakteur Can Dündar auszeichnen. Auch sie gehören zu den langjährigen Favoriten.
Menschenrechtspreis statt Preis für Friedensprozess
Nach zwei Jahren klassischer Nobelpreise für Friedensprozesse und Abrüstung könnte es Zeit sein für einen Menschenrechtspreis. Urdal und andere nennen die russische Organisation Memorial und ihre Aktivistin Svetlana Gannushkina. "Ein Friedensnobelpreis für Memorial wäre eine Anerkennung der friedlichen Bemühungen der russischen Zivilgesellschaft, sich gegen den Autoritarismus zu stellen und für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in Russland einzutreten", sagt er.
Wahrscheinlich, sagt Smith, werde es am Ende jemand, den keiner auf der Liste hatte, den aber jeder kenne. "Und dann werden wir uns an die Stirn schlagen und uns wundern, warum uns der Name nicht selbst eingefallen ist."
- dpa